Die Anorexia nervosa zählt zu den schwerwiegenden psychischen Erkrankungen, insbesondere im Jugend- und jungen Erwachsenenalter und weist die höchste Mortalitätsrate unter den psychischen Erkrankungen auf. Bei einem erheblichen Anteil der Betroffenen kommt es zu einem chronischen Verlauf, komorbide psychiatrische Erkrankungen sind häufig. Insbesondere die frühe Erkennung, aber auch eine Verbesserung der Therapiemöglichkeiten, sowie Rückfallprophylaxe stellen eine wichtige Herausforderung für die Psychotherapie- und Versorgungsforschung dar.
In dem Symposium werden in allen 4 Beiträgen aus vier verschiedenen Studienzentren neue Studienergebnisse berichtet werden.
Frau Prof. Antje Gumz vom UKE Hamburg führt im Rahmen eines DFG geförderten Projektes Studien zu förderlichen und hinderlichen Faktoren für eine Verkürzung der unbehandelten Erkrankung bei Anorexia nervosa durch. Die Aussicht auf einen Behandlungserfolg bei diesem Krankheitsbild könnte deutlich verbessert werden, wenn die Therapie frühzeitiger erfolgt.
Dr. Silke Naab von der Schön Klinik Roseneck in Prien berichtet neue Ergebnisse einer sehr großen Analyse von Routinedaten anhand derer sie auf Prädiktoren für den Behandlungserfolg stationärer Therapien sowie im 1-Jahres Follow-up eingehen wird.
Dr. Verena Haas von der Charité Berlin berichtet über familienbasierte Therapie bei Jugendlichen mit Anorexia nervosa. Bisher gab es keine Studien, die die Wirksamkeit dieses therapeutischen Ansatzes im deutschen Sprachraum untersucht haben. Frau Haas wird die ersten Ergebnisse einer neuen Pilotstudie berichten.
Frau Prof. Katrin Giel vom Universitätsklinikum Tübingen befasst sich mit der Bedeutung von E-mental Health in der Rückfallprophylaxe bei Anorexia nervosa und wird den aktuellen Stand der Forschung und auch eigene Studienergebnisse berichten.
zugeschaltet: Wie kann die Dauer der unbehandelten Erkrankung bei Anorexia nervosa verkürzt werden: Stand der Forschung und neue Studienergebnisse
Antje Gumz, Berlin (Germany)
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Autor:in:
Antje Gumz, Berlin (Germany)
Die Dauer der unbehandelten Erkrankung (DUE), d.h. das Intervall zwischen Erkrankungs- und Behandlungsbeginn, hat einen starken Einfluss auf den Krankheitsverlauf bei Anorexia nervosa (AN). Patientinnen mit AN haben eine deutlich bessere Prognose, wenn sie früh behandelt werden. Das DFG- geförderte Projekt FABIANA (Faktoren in der Behandlungsinitiierung bei Anorexia nervosa) verfolgt das Ziel, Prädiktoren für die DUE zu ermitteln. Kooperationspartner im Projekt sind elf auf die Behandlung von Essstörungen spezialisierte Kliniken sowie weitere ambulante Zentren. Es handelt sich um eine dreiphasige Mixed-Method- und Multi-Informant-Studie - neben der Perspektive der AN-Patientinnen wird die Sicht von Angehörigen und von Primärversorgern einbezogen. In der qualitativen Projektphase I wurden anhand von halbstrukturierten Interviews beeinflussbare Faktoren, die sich förderlich oder hemmend auf die DUE bei AN auswirken, aus unterschiedlichen Perspektiven (Patientinnen, Angehörige, Primärversorger) identifiziert (Auswertung mittels Grounded Theory). In Phase II wurde hieraus die FABIANA-Checkliste (18 Items) entwickelt.
In der dritten aktuell laufenden Projektphase III wird quantitativ und ebenfalls mittels Multi-Informant-Ansatz geprüft, wie hoch der Einfluss von a) a priori festgelegten, unbeeinflussbaren Faktoren und b) mittels der Checkliste erhobenen beeinflussbaren Faktoren auf die DUE ist. Zum aktuellen Zeitpunkt konnten 94 Patientinnen mit einer AN (36 jugendliche, 58 erwachsene) eingeschlossen werden. Die mittlere DUE betrug etwas mehr als ein Jahr (M=397 Tage, SD = 722,3 Tage, r=-162 bis 3542).
Im Vortrag werden erste Ergebnisse der Projektphase III präsentiert. Schlussfolgernd sollen aus dem Projekt Empfehlungen zur inhaltlichen Ausgestaltung von sekundärpräventiven Interventionen abgeleitet werden, um perspektivisch die Prognose für AN-Patientinnen zu verbessern.
zugeschaltet: Anorexia nervosa: Prädiktoren für das kurzfristige und langfristige Therapie-Outcome stationärer Behandlung
Silke Naab, Prien am Chiemsee (Germany)
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Autor:in:
Silke Naab, Prien am Chiemsee (Germany)
Anorexia nervosa (AN) ist eine schwerwiegende oft chronische, lebensbedrohliche Erkrankung. Obwohl Lebenszeitprävalenz mit 0.3% und Inzidenz relativ stabil ist mit Evidenz für früheren Beginn und erhöhte Inzidenz bei Jugendlichen. Frühe Intervention ist empfohlen, um schlechten Verlauf und Chronifizierung zu vermeiden. Intensive spezialisierte multimodale stat. Behandlung führt zu effektiver Steigerung von Körpergewicht und Verminderung von Essstörungssymptomen bei Jugendlichen mit AN (Schlegl et al.,2016), jedoch mit Rückfallrisiko innerhalb ersten Jahres nach Entlassung. Faktoren für langfr. Behandlungserfolg werden analysiert. Der Behandlungsverlauf von jugendlichen Patientinnen mit AN (N=142) wird untersucht, 85% nahmen an 1-Jahres Katamnese teil. Abhängige Variablen wie BMI-Perzentile Essstörungssymptome (EDE-Q), depressive Symptome (BDI-II), zwanghaftes Bewegungsverhalten und Lebenszufriedenheit wurden erfasst. Im Verlauf der Behandlung erfolgte Steigerung Körpergewichts, Reduktion der Essstörungssymptome sowie der depressiven Symptome mit Stabilisierung beim Follow-up, Reduzierung des zwanghaften Bewegungsverhalten, Erhöhung der Lebenszufriedenheit mit Steigerung Follow up. Alter, Erkrankungsdauer, frühere stat. Behandlungen, Behandlungsdauer und Wiederaufnahme beeinflussten die Veränderungen einiger Faktoren. Die Analyse eigener Behandlungsergebnisse bestätigt hohe Effektivität einer stat. Behandlung für jugendliche Pat. mit AN, ebenso Stabilität der Behandlungsergebnisse mit teilweise Verbesserung des ersten Jahres nach Entlassung. Eine Gruppe der Patientinnen (ältere, längere Krankheitsdauer, vorherige stat. Behandlungen) benötigt spezifische ther. Aufmerksamkeit während der Behandlung und nachstationär, um Rückfälle zu vermeiden. Neben der eigenen Untersuchung werden Prädiktoren für den kurz- und langfristigen Therapieverlauf anhand der aktuellen Literatur dargestellt. Als positive Prädiktor gilt vor allem eine schnelle Symptomveränderung zu Behandlung.
zugeschaltet: Familienbasierte Therapie bei Jugendlichen mit Anorexia nervosa: Stand der Forschung und Ergebnisse einer Pilotstudie
Verena Haas, Berlin (Germany)
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Verena Haas, Berlin (Germany)
Für Kinder und Jugendliche mit Anorexia Nervosa (AN) sind in verschiedenen Ländern unterschiedliche Behandlungsansätze verfügbar, die bisweilen mit unterschiedlich langen Krankenhausaufenthalten verbunden sind. Die familienbasierte Therapie (FBT) ist ein manualisiertes, evidenzbasiertes Verfahren für medizinisch stabile Patient:innen mit AN. FBT ist eine essstörungsspezifische, ambulante Therapieform, bei der bei Bedarf ein kurzer, stationärer Aufenthalt der medizinischen Stabilisierung dient, für die es festgelegte, somatische Kriterien gibt. Das enge Einbeziehen der Eltern in die Behandlung ist Kernelement der Therapie, die Eltern werden von den FBT-Therapeut:innen dabei unterstützt, die Realimentation zu Hause durchzuführen. In Deutschland ist FBT bislang nicht verbreitet. Randomisiert-kontrollierte Studien in angelsächsischen Ländern haben FBT mit ambulanter, adoleszentenfokussierter Therapie verglichen, oder aber unterschiedliche Formen von FBT untereinander. Die Ergebnisse dieser Studien sind nicht auf die deutsche Therapielandschaft übertragbar. Ein Vergleich von FBT mit einer stationären, multimodalen Behandlung, wie sie in Deutschland üblich ist, existiert nicht. In einer monozentrischen Pilotstudie wurden bei 31 Berliner Familien von Jugendlichen mit akut behandlungsbedürftiger AN die Akzeptanz, Machbarkeit, Sicherheit und die klinischen Outcomes von FBT untersucht. Die Einschlusskriterien lehnten sich an den Kriterien für eine stationäre Aufnahme von Patient:innen mit einer AN gemäß S3-Leitlinien an. Nach initialer, Bestätigung/Herstellung der somatischen Stabilität konnte FBT starten, ein Teil der Therapiesitzungen und des somatischen Monitorings erfolgte durch die Covid-19-Pandemie telemedizinisch. Im Vortrag werden neben den Grundprinzipien von FBT erste Ergebnisse der Pilotstudie, inklusive der Akzeptanz von FBT und der Entwicklung von Gewicht und Psychopathologie der Proband:innen über den Verlauf von 6 Monaten präsentiert.
zugeschaltet: Kann die Rückfallrate bei Anorexia nervosa durch Einsatz digitaler Interventionen gesenkt werden? Stand der Forschung
Katrin Giel, Tübingen (Germany)
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Katrin Giel, Tübingen (Germany)
Hintergrund: Frühe Rückfälle nach Entlassung aus der (teil-)stationären Therapie stellen eine große Herausforderung in der Therapie der Anorexia nervosa dar. Methode: Unsere Arbeitsgruppe hat die Evidenz zur Wirksamkeit spezialisierter Interventionen und Versorgungsansätze zur Nachsorge bei Anorexia nervosa unter Einbezug von Daten aus randomisiert-kontrollierten Studien (RCTs) systematisch ausgewertet. Ergebnisse: Die Ansätze reichen von pharmakologischen Interventionen über angeleitete Selbsthilfe bis hin zu ambulanter Psychotherapie, wobei insbesondere Selbsthilfeansätze auf digitale Umsetzung zurückgreifen. Während Pharmakotherapie und niederschwellige Angebote zur angeleiteten Selbsthilfe eingeschränkte Akzeptanz erfahren und hohe Dropout Raten aufweisen, scheinen neue Selbsthilfeansätze per mobiler App vielversprechender aufgrund hoher Patientinnenzufriedenheit, die Wirksamkeit ist aber noch nicht nachgewiesen. Face-to-face kognitive Verhaltenstherapie kann möglicherweise Rückfälle hinauszögern, hier basiert die Evidenz jedoch auf einer einzelnen Studie. Diskussion und Ausblick: Es gibt derzeit keine klare Evidenz für die Überlegenheit einer Strategie in der post-stationären Nachsorge bei erwachsenen Patientinnen mit Anorexie. Digitale Interventionen haben das Potenzial, Versorgungslücken zu schließen und sind sehr gut akzeptiert unter den Betroffenen, was wiederum eine Aufnahme der Intervention fördern und Dropoutraten senken könnte – zwei zentrale Herausforderungen in der Versorgung dieser Essstörung. Unsere Arbeitsgruppe führt derzeit einen RCT durch zur Wirksamkeit einer spezialisierten ambulanten Psychotherapie direkt im Anschluss an die (teil-)stationäre Behandlung für erwachsene Patientinnen mit Anorexie. Die Behandlung wird vorwiegend über Videokonferenz durchgeführt, um die Kontinuität der Versorgung zu gewährleisten. Aspekte des Bedarfs, der Akzeptanz und Zufriedenheit mit der digitalen Vermittlung der Therapie werden besonders evaluiert.