Psychoedukative Gruppen in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung zählen mittlerweile zum Behandlungsstandard und bekamen sowohl in den Leitlinien für schwer psychisch Kranke (Riedel-Heller, et al, 2013/2019) als auch für schizophren erkrankte Patienten (Falkai et al, 2005/2019) das Level A zuerkannt. Die systematische Einbeziehung der Angehörigen wird in beiden LL ebenfalls als TAU (Treatment as usual) definiert.
Die Besonderheit der Psychoedukation besteht vor allem darin, dass sie durch ihre basale Ausrichtung sowohl den Patienten und Angehörigen als auch den Profis dazu verhilft, die in den jeweiligen Leitlinien vorgesehenen Therapiestandards „nachzulesen“ und auch entsprechend umzusetzen! Dieses Vorgehen entzieht jeglicher konkurrierender Therapiebetrachtung den Boden und verpflichtet alle Beteiligten – Therapeuten wie Betroffene – sich an den evidenzbasierten Fakten zu orientieren. Die interaktive Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner hinsichtlich der unterschiedlichen individuellen Krankheitskonzepte und Therapievorstellungen unter professioneller Moderation schützt sowohl vor dem idiosynkratischen Abgleiten in irrationale Alleingänge als auch den autoritären Therapieanweisungen vergangener Zeiten. Dass dies schwer erkrankten Menschen mit Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis oder Manien nicht automatisch zu einer optimalen Adhärenz verhilft darf keine Entschuldigung dafür sein, nicht trotzdem mit allen Kräften nachhaltig und beharrlich um die Kooperationsbereitschaft dieser Menschen zu werben. Eine psychoedukative Grundinformation im Gruppenrahmen schafft hierbei eine sehr wertvolle Ausgangslage (Bäuml, Pitschel-Walz, 2020).
In diesem Symposium werden die Ergebnisse einer großen Umfrage (n>1000) unter den verschiedenen psychiatrischen Berufsgruppen hinsichtlich ihres eigenen psychoedukativen Rollenverständnisses dargestellt, sowie verschiedene neue, integrative Therapiekonzepte zur Umsetzung von Psychoedukation bei wichtigen psychiatrischen Erkrankungsbildern in unterschiedlichen Settings präsentiert.
Stellenwert und Umsetzung der Psychoedukation bei den verschiedenen psychiatrischen Berufsgruppen: Ergebnisse einer Fragebogen-Untersuchung
Josef Bäuml, München (Germany)
Gabriele Pitschel-Walz, München (Germany)
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Autor:innen:
Josef Bäuml, München (Germany)
Gabriele Pitschel-Walz, München (Germany)
Einleitung:
Psychoedukation zählt mittlerweile zum TAU (Treatment as usual). Deshalb Level A sowohl in den Leitlinien für schwer psychisch Kranke (Riedel-Heller, et al, 2013/2019) als auch für schizophren erkrankte Patienten (Falkai et al, 2005/2019) mit systematischer Einbeziehung der Angehörigen. Bisher wenig Daten, wie die einzelnen Berufsgruppen über Psychoedukation denken und welchen Stellenwert sie ihr sowohl für die eigene berufliche Tätigkeit als auch die Auswirkungen auf das Leben und Verhalten der Patienten und Angehörigen zuordnen. Deshalb Durchführung einer Fragebogen-Untersuchung.
Methodik:
2016-2018: Fragebogen mit insgesamt 66 Items an Teilnehmer von Vorträgen oder Workshops des Referenten. Antwortalternativen von 1 („sehr zutreffend“) bis 6 („überhaupt nicht zutreffend)“. Bewertung von 1–3: Bejahung. Ca. 50 Veranstaltungen mit etwa 2.500 Teilnehmern, 1.037 FB kamen zurück (41%).
Ergebnisse:
Erfahrungen mit PE-Gruppen: 33% für Patienten, 16,3% für Angehörige. Begriff PE noch zu wenig klar definiert (52,2%), trotzdem betrachteten ihn 78,9% als „sehr zutreffend“. PE finde viel zu selten statt (84,6%), die Durchführung in der Klinik befürworteten 98,5%. Integration der PE in die Ausbildungscurricula aller Berufsgruppen wurde von über 94% bejaht, über 90% bejahten Durchführung der PE durch sämtliche Berufsgruppen. Verbesserung der Krankheitseinsicht (97%), der Compliance (96,8%), der Mitwirkung bei der Psychopharmakotherapie (96,8%) als auch bei der Psychotherapie (96,8%) wurde von der überwältigenden Mehrheit bestätigt. Größere Sensibilität gegenüber Nebenwirkungen (79,2%) bei gleichzeitig höherer Akzeptanz der NW (68%) wurde angegeben. Patienten würden „selbstbewusster“ (95,4%), „Krankheitsverlauf besser“ (94,3%). PE sei wichtig für das „Shared-decision-making“ (93,9%). NL seien sowohl in der Akut- (95,2%) als auch Langzeittherapie (82,1%) unverzichtbar, aber sowohl die EPMS (86%) als auch das Metabolische Syndrom (88,5%) wurden als gravierende NW eingeschätzt. NW seien schlimmer als ein Rückfall bejahten 22,4%.
Fazit:
Sehr positive Effekte von PE auf Pharmakotherapie sowie PT. Hohe Akzeptanz gegenüber NL bei sehr kritischer Beurteilung von NW. Sehr hohe Wertschätzung bei allen Berufsgruppen.
Mehr-Familienintervention für Familien mit einem an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung erkrankten Familienmitglied in einem Online-Setting
Hans Gunia, Darmstadt (Germany)
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Autor:innen:
Hans Gunia, Darmstadt (Germany)
Darya Yatsevich, Darmstadt (Germany)
Talisa Höning, Bad Kreuznach (Germany)
Die bisherige Forschung zeigt, dass Angehörige von an einer Borderline Persönlichkeitsstörung leidenden Betroffenen mitleiden und ein höheres Risiko tragen selbst psychisch zu erkranken. Aufgrund der Covid-19-Pandemie war es nicht möglich, geplante Gruppen-Interventionen, die aus einem psychoedukativen und einem Kommunikationsteil bestanden, persönlich durchzuführen. Wir haben deshalb aus der Not eine Tugend gemacht und haben im Rahmen einer Evaluation von Familienansätzen in einer Pilotstudie die Akzeptanz der Durchführung einer solchen Gruppe im Onlineformat untersucht.
Betroffene mit einer diagnostizierten Borderline Persönlichkeitsstörung und ihre Familienangehörigen wurden aus der Klientel unseres ambulanten DBT-Netzwerkes rekrutiert. Eine randomisierte Zuordnung zu Interventions- und Kontrollgruppe war aufgrund der geringen Teilnehmerzahl allerdings nicht möglich. Die Online-Gruppe wurde über den Videokonferenzdienst Zoom von zwei erfahrenen Psychotherapeuten durchgeführt. Die Teilnehmer wurden gebeten, nach jeder von 8 Sitzungen ein Feedback auf mehreren Skalen abzugeben.
Es wurden insgesamt 3 Patienten und 8 Angehörige rekrutiert. Die Teilnehmer kamen aus dem Raum Darmstadt. Die Sitzungen waren gut besucht. Die Ergebnisse zeigen eine hohe Akzeptanz der online durchgeführten Familienintervention bei allen Teilnehmern. Der mittlere Grad der Zustimmung zur Fragebogenaussage "Ich finde es gut, dass die Familienintervention online durchgeführt wird" auf einer 10-Punkte-Skala (stimme überhaupt nicht zu (1) - stimme voll zu (10)) beträgt M = 7,92 .
Die Ergebnisse dieser Pilotstudie legen nahe, dass Familieninterventionen, die synchron online über Videokommunikationsdienste durchgeführt werden, machbar und akzeptabel sind. Außerdem bieten sie eine gute Möglichkeit gerade auch für Teilnehmer, die nicht zusammenwohnen, an einer solchen Intervention teilzunehmen. Wir stellen das Konzept der Gruppe vor und berichten erste Daten.
Psychoedukation zur Bewältigung von arbeitsbezogenem Stress (PeBaS)
Matthias Bender, Kassel (Germany)
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Autor:innen:
Matthias Bender, Kassel (Germany)
Peter M. Wehmeier, Weilmünster (Germany)
Immer mehr psychisch erkrankte Menschen klagen über berufliche Überlastungsreaktionen oder Erschöpfungszustände. PeBaS bietet hierfür einen sinnvollen Baustein in der transdiagnostischen modularen Psychotherapie im Gruppensetting. Ziel ist es, über die Auswirkung von Stress aufzuklären, berufsbedingten Stress als krankheitsauslösenden Faktor zu identifizieren und den Umgang mit individuellen Stressoren zu thematisieren, um die sinnvolle oder sinnstiftende Form der Arbeit als protektive Ressource im salutogenetischen Sinne nutzen zu können.
Das bereits multizentrisch in der Versorgungspsychiatrie bewährte Therapieprogramm mit seinen fünf Basismodulen und gruppenspezifischen Zusatzmodulen (z.B. PeBaS + Sucht; PeBaS+ADHS, PeBaS bei Patienten mit Migrationshintergrund) wird in seinem inhaltlichen und didaktischen Aufbau sowie mit Praxisbeispielen vorgestellt.
Psychoedukation Depression in der Hausarztpraxis – wichtiger Bestandteil in der Umsetzung des Chronic-Care-Modells
Gabriele Pitschel-Walz, München (Germany)
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Autor:innen:
Gabriele Pitschel-Walz, München (Germany)
Antonius Schneider, München (Germany)
Jochen Gensichen, München (Germany)
In psychiatrischen Kliniken haben sich psychoedukative Interventionen bei Depressionen bewährt. Für Patienten mit Depressionen sind allerdings mehrheitlich nicht die Psychiater, sondern die Hausärzte erste Anlaufstelle. Daher sollte auch dort Psychoedukation angesiedelt sein. International gibt es erste positive Erfahrungen mit Primary Care Psychoedukation. Strukturierte Psychoedukation bei Depression durch Hausärzte wurde in Deutschland noch nicht untersucht.
Im Rahmen des DFG-geförderten Graduiertenkollegs „PrädiktOren und Klinische Ergebnisse bei depressiven ErkrAnkungen in der hausärztLichen Versorgung“ (POKAL) widmet sich eines von neun Projekten der Psychoedukation. Zur inhaltlichen Strukturierung der Projekte wird das Chronic Care Modell (CCM) genutzt. Das CCM hat sich international zur Optimierung der Versorgung von Patienten mit chronischen Erkrankungen etabliert. Ein wichtiger Bestandteil ist dabei eine „produktive Interaktion“ zwischen behandelndem Arzt und dessen Patienten, wobei das Selbstmanagement des Patienten unterstützt wird. Im Psychoedukations-Projekt sollen für die stationäre Psychiatrie entwickelte Module der Psychoedukation bei Depression für das hausärztliche Setting adaptiert werden. Danach ist eine kontrollierte Pilotstudie mit begleitender Prozessevaluation geplant, durchgeführt in 20 Kooperationspraxen mit 140 Patienten mit Depression. Zielgrößen sind Wissen, depressive Symptomatik, Therapiemotivation und Selbstwirksamkeit. Die Daten werden hinsichtlich Zeit- und Gruppeneffekten explorativ ausgewertet (Varianzanalysen, Effektstärken, Reliable Change Indices). Die formative Evaluation bezieht sich auf Akzeptanz, Durchführbarkeit, subjektiven Nutzen und Verbesserungsvorschläge.
Es wird erwartet, dass die psychoedukative Intervention entscheidend zum Selbstmanagement der betroffenen Patienten beiträgt, die Arzt-Patienten-Interaktion stärkt und insgesamt die Behandlungsergebnisse verbessert.