In der Versorgung psychisch kranker Menschen gewinnen aufsuchende Behandlungsformen immer mehr an Bedeutung. Die aufsuchenden Hilfen setzen an der Lebenswelt der Betroffenen an und zielen auf eine bedürfnis- und bedarfsgerechte Versorgung, Ressourcenaktivierung und den Einbezug des psychosozialen Netzwerks ab. Unter teils unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Zielsetzungen haben sich in jüngerer Zeit neben StäB weitere neue Versorgungsformen auch für aufsuchende Behandlungen entwickelt. In dem Symposium wird aus verschiedenen Projekten und Praxismodellen über aufsuchende Behandlungsformen und -verläufe akut psychisch Kranker berichtet.
Beim RECOVER-Behandlungsmodell am UKE handelt sich um eine sektorenübergreifend-koordinierte, schweregrad-gestufte und evidenzbasierte Versorgung für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Es werden die Ergebnisse der aufsuchenden Akutbehandlung (crisis resolution team) im Rahmen des Projekts dargestellt.
Mit "Bremen ambulant vor Ort" bietet das Klinikum Bremen-Ost flexible aufsuchende Hilfen durch ein multiprofessionelles Team. Übergeordnete Zielsetzung des lebensumfeldnahen Behandlungsangebotes ist dabei, stationäre Leistungen durch eine ambulante Akutbehandlung zu ersetzen.
Am St. Marien-Hospital in Hamm erfolgt die Versorgung psychisch Kranker im Rahmen eines Modellprojektes nach § 64b SGB V. Patienten werden settingunabhängig durch ein konstantes Behandlungsteam versorgt, welches integrativ flexibel aufsuchende Behandlung anbietet. Chancen und Limitationen werden dargestellt und an Fallbeispielen verdeutlicht.
Aufsuchende psychiatrische Behandlung für wohnungslose Patienten ist nach Erfahrungen des "Neuköllner Modells" eine wichtige therapeutische Option, auch und gerade bei dem Weg aus der Obdachlosigkeit für akut psychisch kranke Menschen. Der Vortrag berichtet über die Erfahrungen mit ambulant aufsuchender Behandlung im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit der Berliner Wohnungsnotfall- und Suchtkrankenhilfe.
Bremen ambulant vor Ort (BravO) – bedarfsgerechte flexible Formen der aufsuchenden Behandlung
Jens Reimer, Bremen (Germany)
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Jens Reimer, Bremen (Germany)
Im Zentrum für Psychosoziale Medizin der Gesundheit Nord wurden 2019 20 vollstationäre Betten äquivalent in aufsuchende Behandlungskapazitäten ‚Bremen ambulant vor Ort (BravO)‘, die sich inhaltlich an Krisenintervention und flexible assertive community treatment orientieren, überführt. Aufnahmekriterien umfassen Indikation zur vollstationären Behandlung und Wohnort in Bremen-Ost. Besonderheiten von BravO liegen in a) direkter Umsetzung in die Regelversorgung , b) Flexibilität bezüglich der Frequenz der Leistungserbringung, c) Möglichkeit der zeitgleichen Nutzung des KV- Bereiches, ambulanter psychiatrischer Pflege sowie Soziotherapie. Die 269 Patienten (158 Frauen) generierten zwischen September 2019 und Juni 2021 361 Fälle, das mittlere Alter lag bei 50 Jahren; die mittlere Behandlungsdauer bei 35 Tagen (range 1 – 187), die Tage mit Leistungserbringung im Mittel bei 19 Tagen (range 1 – 128). Behandlungsdiagnosen fanden sich aus den Gruppen F2 (n=147), F3 (n=116), F4 (n=40), F6 (n=26), F0 (n=13), Sonstige (n=12), F1 (n=7) und F5 (n=2). 17,7% der Patienten wurden mehrfach in BravO behandelt; 34% der Fälle nahmen parallel Leistungen in PIA / ÖGD in Anspruch. In den 14 Tagen vor BravO wurden 35% der Fälle in PIA /ÖGD behandelt, 40% stationär und 26% hatten keine Krankenhausbehandlung. Bei Entlassung aus BravO wurden in den nachfolgenden 14 Tagen 30% der Fälle in PIA / ÖGD behandelt, 25% stationär (21% nahtlos), 45% nahmen keine Behandlung in den vorgenannten Bereichen wahr (jeweils Doppelnennungen möglich). BravO konnte bei guter Inanspruchnahme und patientenseitiger Akzeptanz erfolgreich umgesetzt werden. BravO übernahm sowohl die Funktion der Behandlungsintensivierung als auch des ‚Ausschleichens‘ stationärer Therapie. Aus BravO konnte häufig in ambulante Strukturen entlassen werden, jeder vierte Fall benötigte allerdings im Anschluss stationäre Behandlung. BravO ermöglicht eine bedarfsadaptierte Behandlung in der Regelversorgung.