Das BMG-geförderte Projekt „FraPPE“ (Frankfurter Projekt zur Prävention von Suiziden mittels Evidenzbasierter Maßnahmen) baut auf dem kommunalen Suizidpräventions-Verbund „FRANS“ (Frankfurter Netzwerk Suizidprävention) auf und begann 2017. Ziel des Projekts war, in einem Mehrebenen-Ansatz die Zahl der Suizide in Frankfurt um 30% zu senken. Nach Erhebung der Baseline zu Suiziden und Suizidversuchen erfolgte dann eine aus mehreren Modulen bestehende System-Intervention. Die Covid19-Pandemie als globaler Mega-Stressor verunmöglichte allerdings als konfundierender Faktor die Evaluation der Intervention; allerdings konnte durch das longitudinale Design eine Veränderung der Muster von Suiziden und Suizidversuchen im Gefolge der Pandemie untersucht werden. In diesem Symposium werden die beiden Frankfurter Projekte als ein kommunales Best-Practice-Beispiel für Suizidprävention vorgestellt und erste Daten aus dem Projekt präsentiert. Zunächst wird der Aufbau und die Struktur von FRANS und FraPPE dargestellt und der Stellenwert von Suizidprävention als kommunale Aufgabe aufgezeigt (Dr. Schlang); das Zusammenspiel und Koordination der unterschiedlichen Sektoren sind hier eine besondere Herausforderung. Danach werden Veränderungen bei den Suizidversuchen im Hinblick auf Methoden, zugrundeliegende Diagnosen und sozioökonomische Rahmenbedingungen vor und nach der Covid19-Pandemie berichtet (Dr. Reif-Leonhard), gefolgt von der rechtsmedizinischen Aufarbeitung von vollendeten Suiziden (Dr. Holz). Abschließend erfolgt eine Geoanalyse von suizidalen Handlungen im Standgebiet Frankfurt, die erlaubt, Hotspots und sozioökonomische Risikofaktoren im städtischen Umfeld zu erkennen (Dr. Lemke). Insbesondere im Hinblick auf gezielte Präventionsmaßnahmen sind solche Analysen ein wichtiger Baustein. Die Ergebnisse sollen verdeutlichen, dass Suizidprävention eine interdisziplinäre Herausforderung ist, die einer soliden Datengrundlage durch kontinuierliches Monitoring bedarf.
FRANS und FraPPE als Best-Practice-Beispiele kommunaler Suizidprävention
Christiane Schlang, Frankfurt am Main (Germany)
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Autor:in:
Christiane Schlang, Frankfurt am Main (Germany)
Prävention und Gesundheitsförderung gehören zu den Kernaufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Das im Jahr 2014 auf Initiative des Gesundheitsamtes gegründete Frankfurter Netzwerk für Suizidprävention (FRANS), dem sich inzwischen mehr als 70 Institutionen und Organisationen angeschlossen haben, ist ein Beispiel dafür, wie kommunale Suizidprävention erfolgreich etabliert werden kann.
Im Fokus der Aktivitäten von FRANS stehen neben der Erfassung aktueller und zuverlässiger lokaler Daten die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen und suizidaler Handlungen durch öffentlichkeitswirksame Maßnahmen, die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Gatekeepern sowie die Vernetzung der beteiligten Akteure.
Im Rahmen des begleitenden Frankfurter Projekts zur Prävention von Suiziden mittels Evidenz-basierter Maßnahmen (FraPPE) konnten die Aktivitäten von FRANS ausgebaut und evaluiert werden. Dadurch ist es gelungen, Zielgruppen und Hot Spots zu identifizieren, neue Angebote zu schaffen und die Suizidprävention in Frankfurt an die regionalen Bedürfnisse anzupassen.
Veränderung im Muster von Suizidversuchen im Gefolge der COVID-19-Pandemie
Christine Reif-Leonhard, Frankfurt am Main (Germany)
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Christine Reif-Leonhard, Frankfurt am Main (Germany)
Die Folgen der aktuellen Covid-19-Pandemie für die psychische Gesundheit hinsichtlich der Auswirkungen auf suizidales Verhalten sind unklar.
Im Rahmen einer Längsschnittstudie wurden Suizidversuche und Suizide in allen psychiatrischen Kliniken in Frankfurt am Main (765.000 Einwohner) systematisch dokumentiert und analysiert. Anzahl, soziodemographische Faktoren, Diagnosen und Methoden von Suizidversuchen und Suiziden wurden zwischen den Zeiträumen März - Dezember 2019 und März - Dezember 2020 verglichen. Ziel der hier vorgestellten Untersuchung war eine Bewertung der Veränderungen im Muster der Suizidversuche als Folge der Covid-19-Pandemie.
Im Gegensatz zu den vollendeten Suiziden nahm die Anzahl der Suizidversuche ab. Alter, Geschlecht, beruflicher Status und psychiatrische Diagnosen änderten sich bei den Patienten mit Suizidversuch nicht; der Prozentsatz der Patienten, die während des Suizidversuchs allein lebten, nahm zu. Die Rate und Anzahl der Intoxikationen als Suizidversuchs-Methode nahm zu, und mehr Menschen unternahmen einen Suizidversuch in ihrer eigenen Wohnung. Diese Verlagerung von öffentlichen Orten nach Hause wird durch den Wochentag der Suizidversuche unterstützt, da die Suizidversuchsrate an Wochenenden während der Pandemie deutlich niedriger war, was wahrscheinlich auf die Schließungsmaßnahmen zurückzuführen ist.
Da es unwahrscheinlich ist, dass die Zahl der Suizidversuche abnahm, während die Zahl der Suizide unverändert blieb, ist es denkbar, dass die Dunkelziffer der Suizidversuche zunahm. Wir gehen davon aus, dass während der Pandemie aufgrund der Lage und der Anwendung von Methoden mit geringerer Letalität eine höhere Zahl von Suizidversuchen unbemerkt blieb. Dies könnte schwerwiegende Folgen für die Erkennung, Behandlung und Bekämpfung der Suizidversuche und der zugrundeliegenden psychischen Erkrankungen haben.
Rechtsmedizinische Aufarbeitung von Suiziden vor und während der Corona-Pandemie
Sarah Kölzer, Frankfurt am Main (Germany)
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Autor:innen:
Sarah Kölzer, Frankfurt am Main (Germany)
Franziska Holz, Frankfurt am Main (Germany)
Fragestellung: Die Folgen der Pandemiesituation für die psychische Gesundheit sind Gegenstand aktueller Debatten. Der Vortrag beleuchtet Prävalenz und Charakteris¬tiken aller vollendeten Suizide im Stadtgebiet Frankfurt am Main (ca. 765.000 Einwohner). Verglichen wird ein Zeitraum vor der Pandemie (03/19-12/19) mit einem Zeitraum während der Pandemie (03/20-12/20).
Methoden: Die rechtsmedizinische Datenerhebung erfolgte in Zusammen¬arbeit mit dem Gesundheitsamt und der Kriminalpolizei. Die Daten wurden deskriptiv-statistisch ausgewertet.
Ergebnisse: In dem ausgewerteten 10-Monatsintervall vor Beginn der Pandemie begingen 86 Personen Suizid, während der Pandemie waren es 81 Personen. Während der Pandemie suizidierten sich mehr Männer (63% vs. 73%), das Alter der Suizidenten beider Geschlechter war vergleichbar (Median: 54,8 vs. 53,1 Jahre; Range: 16-96 Jahre vs. 16-89 Jahre). Bei den männlichen Suizidenten gab es in Bezug auf die drei häufigsten Suizid¬methoden keinen Unterschied zwischen den beiden Beobachtungszeit¬räumen: Sturz aus der Höhe (26% vs. 22%), Intoxikation und Erhängen/Ersticken (jeweils 24% vs. 19%). Bei den weiblichen Suizidenten gab es eine Verschiebung von Erhängen/Ersticken (38%), Intoxikation (28%), Sturz aus der Höhe (19%) vor der Pandemie zu Sturz aus der Höhe (50%), Erhängen/Ersticken (18%), Intoxikation und Kollision mit einem Schienenfahrzeug (jeweils 14%) während der Pandemie. Die eigene Wohnung wurde vor der Pandemie in etwa zwei Drittel der Fälle (65%) als Suizidort gewählt, während der Pandemie war dies nur bei etwa jedem zweiten Suizid (52%) der Fall. Etwa die Hälfte der Suizidenten lebte allein (51% vs. 49%). Während der Pandemie ergab sich eine Tendenz zu mehr nicht-deutschen Suizidenten (Suizidrate pro 100.000 Einwohner: deutsch 14,3 vs. 11,5; nicht-deutsch 4,3 vs. 8,8). Vor der Pandemie waren bei 54%, während der Pandemie bei 44% der Suizidenten eine psychische Erkrankung bekannt.
Schlussfolgerungen: In Frankfurt am Main gab es keinen Anstieg der vollendeten Suizide während der Pandemie. Es wurde in der Pandemie ein Trend zu mehr männlichen und mehr nicht-deutschen Suizidenten sowie eine Verschiebung der gewählten Suizidmethoden festgestellt.
Geoanalysen suizidaler Handlungen als Grundlage von gezielter Prävention
Dorothea Lemke, Frankfurt am Main (Germany)
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Autor:in:
Dorothea Lemke, Frankfurt am Main (Germany)
Die Pandemie hat einen Einfluss auf Suizide und Suizidversuche (SV). In diesem Vortrag soll die räumliche Dimension der Pandemie auf suizidale Handlungen vorgestellt werden. Dazu wird die epidemiologische Verteilung der Suizidmortalität und Suizidversuchs-Inzidenz im Stadtgebiet Frankfurt auf Stadtbezirksebene während der Pandemie im Vergleich zu vor der Pandemie analysiert. Also, ob es eine Verschiebung der Risiko-Stadtbezirke während der Pandemie zu beobachten war und mit welchen räumlichen Umwelt- und Kontextfaktoren diese korreliert sind. In einer zweiten Fragestellung wird vorgestellt, ob es während der Pandemie zu einer räumlichen Verschiebung der Tatorte (Hotspotanalysen) von Suiziden und SV kam, zusätzlich stratifiziert nach Suizidmethoden. Für diese Analysen wurden auf die Daten des FraPPE (Frankfurter Projekt zur Prävention von Suiziden mittels Evidenz-basierter Maßnahmen) zurückgegriffen, dass zum Ziele hatte die Zahl der Suizid und SV durch Suizidpräventionsmaßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen der Stadt Frankfurt nachhaltig zu senken. Dazu wurde in FraPPE auch ein räumliches Monitoring implementiert, dass nehmen dem Wohnort auf Stadtbezirksebene auch die konkreten Tatorte als Geokoordinaten dokumentiert und mit einem Geographischen Informationssystem (GIS) analysiert. Erste Ergebnisse zeigen, dass sich das Suizidversuchsgeschehen in der Pandemie mehr in die Häuslichkeit verlagert hat. So ist die Streuung der SV-Tatorte während Pandemie über das Stadtgebiet wesentlich geringer als vor der Pandemie. Auch bei der (geglätteten) SV-Inzidenz zeigt sich eine klarere Abgrenzung von Risiko-Bezirken als vor der Pandemie. Diese Analysen zeigen die Wichtigkeit eines räumlichen Monitorings der Suizide und SV, einmal durch die schnelle Interventionsmöglichkeit bei Suzid oder SV-Hotspot, z.B. durch bauliche Sicherungsmaßnahmen. Auf der anderen Seite können Präventionsmaßnahmen konzentrierter in Risiko-Stadtteilen durchgeführt werden.