In dem Symposium werden zunächst Befunde aus bildgebenden Verfahren zu hochfrequentem Pornografiekonsum und zwanghafter sexueller Verhaltensstörung gezeigt und klinisch eingeordnet (Krüger). Anschließend werden die psychologischen Mechanismen, die dieser Störung zugrunde liegen, vorgestellt und diskutiert (Antons & Brand). Dann werden die diagnostischen Möglichkeiten insbesondere im Kontext der ICD-11, Prävalenzschätzungen und ein integratives therapeutisches Vorgehen bei zwanghafter sexueller Verhaltensstörung vorgestellt (Briken). Es folgen Ergebnisse aus einer systematischen Übersicht zu therapeutischen Interventionen bei der problematischen Pornografienutzung, die im Rahmen einer AWMF Leitlinie zum Thema erstellt wurde (Stark).
Befunde aus bildgebenden Verfahren zu hochfrequentem Pornografiekonsum und zwanghafter sexueller Verhaltensstörung
Tillmann H. C. Krüger, Hannover (Germany)
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Tillmann H. C. Krüger, Hannover (Germany)
Erst in der kürzlich erschienenen Version der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) ist die sogenannte „zwanghafte sexuelle Verhaltensstörung“ (6C72; CSBD) in dem Kapitel Impulskontrollstörungen aufgenommen worden. Das im Sprachgebrauch oft auch als „Sexsucht“, „hypersexuelle Störung“ oder „außer Kontrolle geratendes Sexualverhalten“ benannte Störungsbild war zuvor in der ICD-10 am ehesten unter „gesteigertes sexuelles Verlangen“ (F52.7) zu finden, wo auch noch die Begrifflichkeiten Nymphomanie und Satyriasis genannt werden. Klinisch findet sich häufig auch das Phänomen des problematischen Pornographiekonsums.
Das Störungsbild ist bislang noch nicht ausreichend untersucht. Am Anfang eines ätiologischen und pathogenetischen Verständnisses stehen neben umfassenden klinischen Erhebungen auch die Erfassung von neurobiologischen Korrelaten und der Vergleich zu Befunden zu Verhaltenssüchten und substanzgebundenen Abhängigkeiten.
Die Befundlage hinsichtlich der wenigen bislang erschienenen Studien ist noch als heterogen zu bezeichnen. Auf der strukturellen Ebene sind Volumenminderungen der grauen Substanz im Bereich frontaler und temporaler Strukturen und der Basalganglien zu finden, die zum Teil negativ mit Pornographiekonsum korreliert sind. Funktionelle Untersuchungen zeigen überwiegend eine schnellere und verstärkte Antwort auf sexuelle Hinweisreize in Strukturen wie dem anterioren Cingulum (ACC), Striatum und Amygdala sowie präfrontalen Arealen. Eigene Untersuchungen zeigen Interferenzen zwischen dem Arbeitsgedächtnis und sexuellen Reizen (valenced n-back) mit einer langsameren Performanz und gleichzeitig erhöhter Aktivierung des Gyrus lingualis sowie einer besseren Merkfähigkeit für sexuelle Reize.
Zusammenfassend sind die ersten Befunde vereinbar mit Auffälligkeiten im Motivations- bzw. Salienznetzwerk wie sie auch bei substanzgebundenen und -ungebundenen Abhängigkeiten beschrieben sind.
Psychologische Mechanismen bei problematischem Pornografiekonsum
Stephanie Antons, Duisburg (Germany)
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Stephanie Antons, Duisburg (Germany)
Zielsetzung: Der problematische Konsum von Pornographie kann als eine Subgruppe des im ICD-11 als Impulskontrollstörung klassifizierten Störungsbildes der Compulsive Sexual Behavior Disorder (CSBD) verstanden werden. Es wird jedoch diskutiert, ob der problematische Pornographiekonsum besser als Verhaltenssucht eingestuft werden sollte. Die zunehmenden Erkenntnisse über psychologische Mechanismen tragen zu einem besseren Verständnis des problematischen Pornographiekonsums bei und ermöglichen eine Bewertung der jüngsten Klassifizierung.
Methoden: In dem Vortrag werden Erkenntnisse zu psychologischen Mechanismen bei dem problematischen Pornographiekonsum sowie der CSBD vorgestellt. Die Ergebnisse werden in Übereinstimmung mit dem Interaction of Person-Affect-Cognition-Execution Model von Brand et al. (2019) diskutiert.
Ergebnisse: Zumindest in frühen Stadien der Störung werden Betroffene von den positiven Verstärkungseffekte der Pornographienutzung angetrieben. Eine Zunahme der Symptome ist mit einer Zunahme von Craving und Reizreaktivität verbunden. Vorläufige Ergebnisse deuten auf impulsivere Handlungstendenzen, eine Zunahme der kognitiven Verzerrungen und eine risikoreichere Entscheidungsfindung hin, insbesondere wenn die Betroffenen mit sexuellen Reizen konfrontiert werden. Es hat sich gezeigt, dass das ventrale Striatum bei diesen Prozessen eine Rolle spielt. Darüber hinaus weisen vorläufige Ergebnisse auf funktionelle Veränderungen in präfrontalen und insulären Regionen hin.
Schlussfolgerungen: Es gibt erste Hinweise auf Gemeinsamkeiten im Hinblick auf psychologische Mechanismen zwischen süchtigem Verhalten und dem problematischen Pornographiekonsum. Künftige Forschungsarbeiten sollten sich mit der Neurobiologie und den neurokognitiven Prozessen des problematischen Pornographiekonsums, auch in Abgrenzung zur CSBD befassen, um das Störungsbild uns seine psychologischen Mechanismen besser zu verstehen.
Systematische Übersicht zu therapeutischen Interventionen bei der problematischen Pornografienutzung
Rudolf Stark, Gießen (Germany)
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Rudolf Stark, Gießen (Germany)
Die Pornografie-Nutzungsstörung erhält im zukünftigen ICD-11 mehr Beachtung als bisher und lässt sich entweder unter den Impulsstörungen oder den Verhaltenssüchten diagnostizieren. Da es bisher keine Leitlinien für die Behandlung dieser Störung gibt, wird aktuell im Rahmen einer S1 Leitlinie-Entwicklung „Computerspielabhängigkeit und weitere mit der Internetnutzung zusammenhängende Störungen“ (AWMF: 076-011) ein systematischer Literaturreview durchgeführt, um zu wissenschaftlich fundierten Empfehlungen zu kommen.
Der systematische Literaturreview wurde bei PROSPERO (https://www.crd.york.ac.uk/prospero/) präregistriert. Die Datenbanken PubMed, PsycInfo, Sciencedirekt und WebOfScience werden für den Zeitraum vom 2000 bis Mai 2021 werden dahingehend durchsucht, ob in Zeitschriftenabstracts Stichworte wie „Pornosucht“, „Pornografieabhängigkeit“, „Hypersexualität“ und ebenso Suchbegriffe wie „Intervention“, „Maßnahme“, oder „Therapie“ vorkommen. Hierbei wurden nur Originalstudien in den Review aufgenommen, bei denen die Pornografie-Nutzungsstörung die primäre Störung ist.
Die Ergebnisse des systematischen Literaturreviews werden vorgestellt. Dabei wird darauf hingewiesen, dass in der Vergangenheit allgemein anerkannte Kriterien für die Diagnose der Pornografie-Nutzungsstörung fehlten, so dass die Ergebnisse verschiedener Studien nur bedingt miteinander verglichen werden können. Generell zeigt sich, dass bisher kaum randomisierte Behandlungsstudien vorliegen, sondern es stattdessen einige Studien mit geringen Fallzahlen gibt, die nahelegen, dass verschiedene psychotherapeutische Ansätze (z.B. ACT, CBT, Meditation) bei der Behandlung der Pornografie-Nutzungsstörung erfolgreich eingesetzt werden können. Erste pharmakologische Studien deuten an, dass medikamentöse Interventionen (z.B. mit SSRIs) – wenn überhaupt – nur kurzfristig wirken.
In der Diskussion werden die wichtigsten Erkenntnisse des Literaturreviews zusammengefasst und kritisch hinterfragt.