Wohnangebote für Menschen mit psychischen Erkrankungen gehören seit langem zum Kern psychiatrischer Versorgung. Im Rahmen der Deinstitutionalisierung und Enthospitalisierung der 1980er- und 1990er-Jahre wurden zahlreiche institutionelle Angebote als Wohnheime oder Wohngemeinschaften etabliert. Seit einigen Jahren ist im Zusammenhang mit Entwicklungen wie der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen eine neue Entwicklung vorangeschritten, die das Leben mit professioneller Unterstützung in der eigenen Wohnung ermöglicht.
Im Rahmen einer länderübergreifenden Kooperation wurden in Deutschland und in der Schweiz drei Forschungsprojekte etabliert, welche das Wohnen in besonderen Wohnformen (stationäres Wohnen) mit unterstütztem Wohnen in der eigenen Wohnung hinsichtlich diverser Outcome-Indikatoren vergleichen. Das Symposium berichtet über den aktuellen Forschungsstand in den drei Regionen Nordrhein-Westfalen und Südwürttemberg in Deutschland sowie Bern und Zürich in der Schweiz. Während die deutschen Studien das Design der vergleichenden Beobachtungsstudie anwenden, wird in der Schweiz zeitgleich eine randomisierte kontrollierte Studie in Zürich sowie eine Beobachtungsstudie in Bern durchgeführt. Ergänzt wird das Symposium mit den Ergebnissen einer ebenfalls länderübergreifenden Entwicklung einer Modelltreue-Skala zum Unterstützten Wohnen, die in Nordrhein-Westfalen sowie in der Schweiz bereits zum Einsatz kam.
abgesagt: Unabhängiges Wohnen mit Unterstützung vs. konventionelle Wohnangebote für Menschen mit psychischen Erkrankungen – eine randomisiert-kontrollierte Studie und eine Beobachtungsstudie in der Schweiz
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Bislang kamen die meisten Studienergebnisse zur Wohnversorgung aus Nordamerika und betrafen Obdachlose. Das in diesem Kontext am meisten beschriebene und untersuchte Modell «Housing First» hat sich in multizentrischen Studien als vorteilhaft für die Wohnstabilität, die soziale Integration und die Lebensqualität der Betroffenen erwiesen. Sowohl in Westeuropa als auch für nicht-obdachlose Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen existierten bis vor Kurzem kaum grössere Untersuchungen zu überzeugenden Konzepten der Wohnrehabilitation.
In Deutschland und der Schweiz wurden in den letzten Jahren an verschiedenen Orten Versorgungsformen nach dem Paradigma «First place, then train» (Unabhängiges Wohnen mit flexibler Unterstützung, Wohn-Coaching, intensiv ambulant betreutes Wohnen) eingeführt. Diese Komplexinterventionen (Interventionsgruppe) werden nun unter anderem in Bern und Zürich evaluiert und mit etablierten Unterstützungsangeboten im betreuten Wohnen (Kontrollgruppe) verglichen. Während in Bern aus verschiedenen Gründen ein Beobachtungsdesign gewählt wurde, konnte in Zürich ein pragmatisches RCT Design angewendet werden. Die Ergebnisse von Studieneinschluss bis zum zweiten Follow-up nach einem Jahr werden im Beitrag vorgestellt. Die Outcome-Masse soziale Inklusion, Lebensqualität, Inanspruchnahme von Behandlungsleistungen, Symptombelastung, Bedarf, Funktionseinschränkungen etc. unterscheiden sich entsprechend der Non-inferioritäts-Hypothese nicht zwischen Interventions- und Kontrollgruppen. Die Präferenz der Proband*innen spricht eindeutig für die Intervention, welche durch gezielte Empowerment- und Recovery-orientierte persönliche Assistenzleistungen mit Fokus auf wohnrelevante Themen auch deutlich kostengünstiger ausfällt als herkömmliche betreute Wohnformen.
WiEWohnen in Nordrhein-Westfalen – Ergebnisse einer Vergleichsstudie zum Wohnen in verschiedenen Settings für Menschen mit psychischen Erkrankungen
Lorenz Dehn, Bielefeld (Germany)
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Autor:in:
Lorenz Dehn, Bielefeld (Germany)
Hintergrund: In Deutschland besteht ein Mangel an empirischer Forschung zum unterstützen Wohnen für nicht obdachlose Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen. Insbesondere fehlt es hier an systematischen Studien, die die Wirksamkeit von Angeboten der Wohnunterstützung im Vergleich evaluieren. Das Ziel unserer prospektiven Beobachtungsstudie war es daher, den psychosozialen Rehabilitationserfolg von Unterstützungsangeboten in der eigenen Wohnung und solchen in besonderer Wohnform über einen Zwei-Jahres-Zeitraum zu untersuchen.
Methode: In die Studie an mehr als 30 Standorten in Nordrhein-Westfalen wurden Klient:innen eingeschlossen, die neu oder wieder in Unterstützungsangebote in besonderer Wohnform (n=153) oder in der eigenen Wohnung (n=104) aufgenommen worden waren. Sowohl zu Studienbeginn als auch nach zwei Jahren fand eine Erhebung der sozialen Funktionsfähigkeit (SFS), der Lebensqualität (MANSA), der Symptombelastung (SCL-9-K) sowie der Anzahl psychiatrischer Krankenhausaufenthalte statt. Für die quasiexperimentelle Wirksamkeitsevaluation wurden beide Wohnformgruppen durch Propensity-Score-Matching parallelisiert und die Daten u.a. mittels messwiederholter Varianzanalysen ausgewertet.
Ergebnisse: Die Analysen ergaben insgesamt positive Verläufe im Rahmen der Angebote des unterstützen Wohnens für nicht obdachlose Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen. Dabei zeigten sich allerdings keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Formen der Wohnunterstützung in Bezug auf die verschiedenen Ergebnisparameter. D.h., die Unterstützung in der eigenen Wohnung erzielte vergleichbare psychosoziale Rehabilitationserfolge wie das Angebot in besonderer Wohnform.
Schlussfolgerung: Unter Berücksichtigung der Präferenzen von Nutzenden sollten mobile Unterstützungsangebote in der eigenen Wohnung weiter ausgebaut und zugleich ausreichende Zugänge zu geeignetem Wohnraum geschaffen werden.
abgesagt: Dieselben Wege, dieselben Ziele? Was wirkt aus Sicht von Nutzenden und Professionellen in unterstützten Wohnformen?
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Was wirkt am unterstützten Wohnen? In den Interviews im Rahmen von WieWohnen-BW verwiesen die Nutzenden und Mitarbeitenden von Leistungsträgern und -erbringern auf zentrale Merkmale: Die Unterstützung orientiert sich am spezifischen Bedarf, der Lebenssituation und den individuellen Perspektiven der Nutzenden. Sie bietet Halt und Stabilität, ist dabei flexibel und offen für ein selbstkritisches Hinterfragen des eigenen Vorgehens. Sie ist sozialraumorientiert und ermöglicht ein Leben in größtmöglicher „Normalität“. Wichtige Rahmenbedingungen sind zudem ein integriertes, koordiniertes Vorgehen und die Kooperation der regionalen Anbieter, Leistungsträger und zivilgesellschaftlichen Akteure. Auf Basis dieser Ergebnisse wollten wir wissen: Wie unterscheiden sich die Einschätzungen der befragten Gruppen?
Die Daten wurden reanalysiert mit spezifischem Fokus auf die verschiedenen Perspektiven, mit der Professionelle und Nutzende auf die Wege und Ziele der Unterstützung blicken. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Gruppen wurden herausgearbeitet.
Die befragten Gruppen setzten in den Interviews unterschiedliche Schwerpunkte: Unter anderem nannten die Nutzerinnen und Nutzer am häufigsten Beziehungsaspekte wie die Unterstützung im Lebensalltag durch zuverlässig verfügbare Bezugspersonen, die Passung mit Mitbewohnern, außerdem, dass die Hilfestellung sich an ihrem individuellen Bedarf orientiert. Letzteren Schwerpunkt sahen auch die professionellen Kräfte als zentral, gefolgt von Ziel- und Entwicklungsorientierung, Flexibilität und Diversität der Unterstützung(-sangebote) sowie das Sicherstellen einer Unterkunft. Weitere Ergebnisse werden vorgestellt.
Die Befunde sind natürlich davon geprägt, aus welcher Perspektive die Befragten auf unterstütztes Wohnen blickten – aus professioneller oder aus Nutzenden-Perspektive. Darüber hinaus lässt sich diskutieren, inwieweit die Befragten ein gemeinsames Verständnis der Aufgabenstellung unterstützten Wohnens teilen.
Selbstbestimmtes Wohnen mit Unterstützung – Entwicklung und Überprüfung der «Modelltreue-Skala Selbstbestimmtes Wohnen (MSSW)» für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen
Dirk Richter, Bern (Switzerland)