Raum:
Saal London 1
Topic:
Wissenschaftliches Programm
Topic 02: Psychische Störungen durch psychotrope Substanzen, Verhaltenssüchte, F1
Format:
Symposium
Dauer:
90 Minuten
Besonderheiten:
Q&A-Funktion
Die Gemeinschaft der Anonymen Alkoholiker (AA) wurde im Jahr 1935 gegründet und stellt seit langem eine weltweite Bewegung dar. Der Alkoholismus wird bei den AA als chronische Erkrankung verstanden, von der die Betroffenen mithilfe des 12-Schritte Programms genesen können. Spiritualität bzw. der Glaube an eine höhere Macht darf hier als das zentrale Element gelten. Des Weiteren kommt dem Leben in der Gemeinschaft bzw. dem Zusammenhalt in der Gruppe eine besondere Bedeutung zu. Die Effektivität der Arbeit der AA konnte mittlerweile durch zahlreiche Studien demonstriert werden – auch finden sich kritische Stimmen, die zu einem lebendigen Dialog beitragen. Die Digitalisierung stellt die AA-Gemeinschaft vor neue Herausforderungen. Zwar gibt es bereits seit langem neben den Präsenzmeetings auch digitale Meeting, jedoch hat die Corona-Pandemie den Schwerpunkt sehr stark in Richtung digitaler Meetings verlagert. Dabei sind Fragestellungen wie Wertebetrachtung der AA vor dem Hintergrund der Digitalisierung, oder Auswirkungen der Digitalisierung auf die Selbsthilfe kritisch zu hinterleuchten. Diese und ähnliche Schwerpunkte möchten wir in unserem Symposium auf der Basis von Erfahrungsberichten von Mitgliedern der AA bzw. gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnisse gemeinsam thematisieren.
AA-Wertebetrachtung vor dem Hintergrund der Digitalisierung
Lothar *, Duisburg (Germany)
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Autor:in:
Lothar *, Duisburg (Germany)
Aus der Präambel der Anonymen Alkoholiker stellen sich für die Angehörigen der Gemeinschaft zwei, aber eigentlich nur eine, Aufgaben:
Indem ich anderen Alkoholikern zur Genesung verhelfe, helfe ich mir selbst.
Daraus ergibt sich: Ich brauche andere Betroffene, mit denen ich in Kontakt treten kann und ich muss etwas tun. Das AA-Programm ist ein „Tun-Programm“. Dadurch dass mir niemand den Weg ebnet, bin ich gezwungen den Weg zur zufriedenen Trockenheit selbst zu suchen und zu gehen. Seit Beginn an gibt es die unterschiedlichsten Wege, aber das Prinzip ist immer das Gleiche: Ich brauche jemanden, der mit mir teilt. Durch die Struktur der Gemeinschaft der Anonymen Alkoholiker konnten wir uns recht schnell mit der neuen, verschärften Situation anfreunden. Digitaler Austausch ist bei uns seit vielen Jahren in sogenannten online-Meetings möglich. Ein Großteil der Gemeinschaft glaubt:
„Wir sind die Gewinner der Situation"
Trotzdem gehört zur „Genesung“ der persönliche Kontakt, denn so gelingt das Erwecken meiner Gefühle wesentlich besser oder was bringt mir mehr: Eine klangvolle CD abgespielt auf der besten Anlage zu Hause oder ein Konzert mit einem großen Orchester im schönen Konzertsaal und vielen aufmerksamen Zuhörern?
Auswirkungen der Digitalisierung auf die Selbsthilfe
Jürgen Hoß, Gottfrieding-Unterweilnbach (Germany)
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Autor:in:
Jürgen Hoß, Gottfrieding-Unterweilnbach (Germany)
Die Corona Pandemie erfordert besondere Reflexionen, Reaktionen und Kompetenzen. Anfangs waren besonders bei älteren und konservativ eingestellten Teilnehmer*Innen Frustrationen, Ängste vor dem Verlust des Gruppengeheimnisses und Widerstände gegen alles Virtuelle und Digitale zu beobachten. Teilnahmeregularien mussten neu entwickelt werden. Erörterungen über den Datenschutz verschiedener Anbieter digitaler Konferenzen wurden notwendig, um den Schutz der Anonymität der Teilnehmer*Innen zu gewährleisten.
Es wurden neue und kreative Ideen zur Gruppenarbeit entwickelt. Alte Gesetzmäßigkeiten der Kommunikation wurden durch neue Regeln ersetzt. Erkenntnisprozesse sind sowohl in digitalen als auch in Präsenzmeetings möglich. Beide Veranstaltungsformen haben Vor- und Nachteile. Die Motivation zur kontinuierlichen Teilnahme an Selbsthilfegruppen entsteht in face-to-face Meetings durch Direktheit, emotionale und körperliche Präsenz, wirkliche Begegnung und die Erfahrung und Kompetenz der Sprecher*Innen oder der Gruppenleiter*Innen.
Erfolgreiche Beziehungsbildung fördert den Wunsch nach weiteren Gruppenbesuchen. In virtuellen Meetings müssen neue Qualitäten der Moderation erlernt werden. Erforderlich ist eine höhere Disziplin in den Gruppengesprächen. Nichtsprachliche Reaktionen sind schwer zu erkennen. Die Interaktion der Teilnehmer*Innen untereinander ist eingeschränkt. Die Kunst der Motivation ist hier evtl. vergleichbar mit der Erfahrung von TV-Moderator*Innen, die sich auch wünschen, dass die Zuschauer*Innen bei der nächsten Sendung wieder einschalten.
Die Neugierde und das Bedürfnis, Erfahrung, Kraft und Hoffnung zu teilen, sind vor dem PC nicht gescheitert. In Zukunft werden sowohl die face-to-face Meetings als auch die digitalen Meetings Bestand haben.
Erfahrungsbericht: meine Erfahrung mit digitalen Meetings
Nicola *, Berlin (Germany)
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Autor:in:
Nicola *, Berlin (Germany)
Im März 2020 beschließt die Bundesregierung aufgrund der Pandemie ein umfassendes Kontaktverbot. Eine Vielzahl der Meetings der Anonymen Alkoholiker entscheidet sich über Nacht auf die digitale Plattform Zoom umzuziehen. Alkoholismus ist die Krankheit der Isolation und fordert ein sofortiges Handeln, denn Einsamkeit erhöht die Gefahr des Rückfalls.
Neue digitale Meetings entstehen und die Gemeinschaft wächst im deutschsprachigen Raum. Ein deutlicher Zulauf ist auch von jüngeren AlkoholikerInnen ist zu spüren.
Der Vorteil digitaler Meetings ist die plötzliche Einfachheit – mit wenigen Klicks – an einem AA Meeting ohne die Überwindung der räumlichen Distanz teilzunehmen. Doch auch Nachteile birgt die neue Form, nämlich das unauffällige Verschwinden Einzelner.
Anhand des Mittwochabendmeetings in Berlin Mitte wird gezeigt, wie sich die Gemeinschaft im digitalen Umbruch gewandelt hat.