Die Fragen, wer im Laufe des Lebens psychisch erkrankt und wer nicht, welche Faktoren das Risiko für psychische Erkrankungen erhöhen und welche protektiv wirken, können methodisch am besten durch Untersuchungen in großen Langzeitstudien in der Bevölkerung beantwortet werden. In der NAKO Gesundheitsstudie, Deutschlands größter Gesundheitsstudie, werden landesweit in 18 Studienzentren 200.000 Personen regelmäßig umfassend medizinisch untersucht und nach ihren Lebensgewohnheiten befragt. Dazu gehört auch eine detaillierte Untersuchung der psychischen Gesundheit.
In diesem Symposium wird die NAKO-Expertengruppe „Neurologische und Psychiatrische Erkrankungen“ das Konzept zur Untersuchung emotionaler und kognitiver Funktionen in der NAKO darstellen und erstmalig Untersuchungsergebnisse präsentieren. Hierbei werden Daten zu Kindheitstraumata, Stress, Generalisierter Angst und Panik, Depression, kognitiven Funktionen, sowie deren Beziehung untereinander, dargestellt. Die Daten der NAKO-Gesundheitsstudie werden zukünftig eine wichtige internationale Referenzgröße und Ressource zur Erforschung psychischer Gesundheit in der Bevölkerung darstellen. Dieses Symposium erläutert in allgemeinverständlicher Art die Erhebung, Ergebnisse, Relevanz und Nutzbarkeit der Daten.
Kindheitstrauma und affektive Symptome in der NAKO
Johanna Klinger-König, Greifswald (Germany)
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Autor:innen:
Johanna Klinger-König, Greifswald (Germany)
Fabian Streit, Mannheim (Germany)
Angelika Erhardt, München (Germany)
Luca Kleineidam, Bonn (Germany)
Florian Schmiedek, Frankfurt am Main (Germany)
Michael Wagner, Bonn (Germany)
Marcella Rietschel, Mannheim (Germany)
Klaus Berger, (Germany)
Hans J. Grabe, Greifswald (Germany)
Kindheitstraumata werden von 20-30% der deutschen Bevölkerung berichtet und stellen einen erheblichen Risikofaktor für somatische und psychische Erkrankungen bei Erwachsen dar. In der Nationalen Kohorte (NAKO), einer Mega-Kohorte der erwachsenen deutschen Allgemeinbevölkerung, wurden Verteilungen und Häufigkeiten von Kindheitstraumata sowie erste Assoziationen von Kindheitstraumata insbesondere mit affektiven und Angstsymptomen erhoben.
Die Häufigkeit und der Schweregrad von Kindheitstraumata wurden in 83.995 Erwachsenen (Alter: 20-72 Jahre, 47,3% Männer) mit dem Childhood Trauma Screener gemessen, eine Kurzform des Childhood Trauma Questionnaire. Der Fragebogen basiert auf fünf Items, die drei Arten des Kindesmissbrauchs und zwei Arten der Kindesvernachlässigung erheben.
Insgesamt berichteten 21.131 Erwachsene (27,5%) von mindestens einer Art und 250 Erwachsene (0,3%) von allen fünf Arten der Kindheitstraumata. Ältere (MAD=5.7%), Frauen (MAD=2.6%) und Personen mit geringer Schulbildung (MAD=9.4%) berichteten häufiger Kindheitstraumata. Ein höherer Schweregrad der Kindheitstraumata war zudem mit einer stärkeren depressiven (=.23) und Angstsymptomatik (=.21) assoziiert sowie erhöhtem subjektivem Stress (=.23). Die Assoziationen mit affektiven und Angstsymptomen im Erwachsenenalter fanden sich insbesondere bei emotionalem Kindesmissbrauch und emotionaler Kindesvernachlässigung.
Die Häufigkeiten und Verteilungen von Kindheitstraumata in der NAKO sind vergleichbar mit früheren Studienergebnissen. Darüber hinaus deuten die Ergebnisse in Abhängigkeit der Art des Kindesmissbrauchs oder der Kindesvernachlässigung auf unterschiedlich starke Assoziationen zwischen Kindheitstraumata und affektiven bzw. Angstsymptomen bei Erwachsenen hin.
Generalisierte Angst und Paniksymptome in der NAKO
Angelika Erhardt, Würzburg (Germany)
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Autor:innen:
Angelika Erhardt, Würzburg (Germany)
Götz Gelbrich, Würzburg (Germany)
Jürgen Deckert, Würzburg (Germany)
Ziele: Angsterkrankungen sind in der Allgemeinbevölkerung weit verbreitet und führen zu hoher emotionaler Belastung und Behinderung im Alltag. Die Deutsche Nationale Kohorte (NAKO) ist eine populations-bezogene Mega-Kohortenstudie, die Teilnehmer in 16 deutschen Regionen untersucht. Die vorliegende Studie umfasst Daten der ersten 101.667 Teilnehmer und untersucht die Häufigkeit und Schwere von generalisierten Angstsymptomen und Panikattacken (PA).
Methoden: Die Angst- und Paniksymptomatik wurde mittels der Generalized Anxiety Disorder Symptoms Skala (GAD-7) und des ersten Teils des Patient Health Questionnaire Panic Disorder (PHQ-PD) bei insgesamt 93.002 NAKO-Teilnehmern untersucht. Desweiteren wurden die Korrelationen von GAD-7 und PHQ-PD mit demografischen Variablen, Stress (PHQ-Stress), Symptomen der Depression (PHQ-9) und Kindheitstrauma (CTS) bestimmt.
Ergebnisse: Bezogen auf die untersuchte Kohorte gaben ca. 7,8% der Befragten Angsterkrankungen in der Vergangenheit an. Panikattacken wurden von 6,0 % und mögliche/wahrscheinliche aktuelle Generalisierte Angststörung (GAD) bei 5,2 % der untersuchten Teilnehmer berichtet. Eine höhere Angstausprägung wurde mit weiblichem Geschlecht, niedrigerem Bildungsstand, Deutsch als Fremdsprache und jüngerem Alter sowie hoher Stressempfindung und Depression assoziiert.
Schlussfolgerungen: Die Auswertung zeigt, dass klinisch relevante Symptome der generalisierten Angst sowie Panikattacken in der NAKO relevant häufig und mit definierten soziodemografischen Faktoren assoziiert sind sowie mit ausgeprägten Stress- und Depressionsniveau positiv korrelieren.
Lebenszeit und aktuelle Depression in der NAKO
Fabian Streit, Mannheim (Germany)
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Autor:innen:
Fabian Streit, Mannheim (Germany)
Lea Zillich, Mannheim (Germany)
Marcella Rietschel, Mannheim (Germany)
Klaus Berger, (Germany)
In der vorliegenden Studie werden die Instrumente zur Erfassung von Depressionen und depressiven Symptomen in der Nationalen Kohorte Deutschland (NAKO) vorgestellt. Untersucht werden die Verteilung der zentralen Depressionsmaße und deren Zusammenhänge mit soziodemografischen Faktoren.
Die aktuelle Analyse umfasst die Daten der ersten 101.667 Teilnehmer. Depressionen und depressive Symptome wurden anhand des Depressionsabschnitts des Mini-International Neuropsychiatric Interviews (MINI vs. 5.0), der selbstberichteten ärztlichen Diagnose einer Depression und der Depressionsskala des Depressionsmoduls des Patient Health Questionnaire (PHQ-9) erfasst.
15,0 % der Teilnehmer gaben an, dass ein Arzt bei ihnen im Laufe des Lebens eine Depression diagnostiziert hatte. Von diesen gaben 47,6 % an, in den letzten 12 Monaten wegen einer Depression in Behandlung gewesen zu sein. Von der Untergruppe der 26.342 Teilnehmer, bei denen der Depressionsabschnitt des MINI vollständig erhoben wurde, erfüllten 15,9 % die Kriterien einer Lebenszeitdiagnose. Auf der Grundlage des PHQ-9 wurden 5,8 % der Teilnehmer nach dem diagnostischen Algorithmus als derzeit an einer schweren oder anderen Depression leidend eingestuft, und 7,8 % nach der dimensionalen Bewertung (Score≥10). Eine größere Häufigkeit von Depressionen und höhere Depressionswerte wurden bei Frauen und Teilnehmern mit geringerer Bildung oder einer Depressionsanamnese der Eltern beobachtet.
Die beobachteten Verteilungen aller Depressionsmaße und ihre Zusammenhänge mit soziodemografischen Variablen stimmen mit der Literatur über Depression überein. Die NAKO stellt eine wertvolle epidemiologische Ressource zur Untersuchung von Depression dar. Die verschiedenen Maße von Lebenszeit- und aktueller Depression erfassen unterschiedliche Aspekte des heterogenen Störungsbildes und ermöglichen Nutzern der NAKO, die am besten für die spezifische Forschungsfrage geeigneten Instrumente auszuwählen.
Die Erfassung kognitiver Funktionen in der NAKO
Luca Kleineidam, Bonn (Germany)
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Autor:innen:
Luca Kleineidam, Bonn (Germany)
Florian Schmiedek, Frankfurt am Main (Germany)
Klaus Berger, (Germany)
Michael Wagner, Bonn (Germany)
Kognitive Funktionen werden durch eine Vielzahl von Erfahrungen und Bedingungen beeinflusst, denen ein Individuum über die gesamte Lebensspanne hinweg ausgesetzt ist. So können beispielsweise soziodemografische Faktoren, aber auch psychische Störungen einen Einfluss auf die kognitive Leistungsfähigkeit ausüben. Um die möglichen Ursachen dieser Assoziationen mit Kognition und den Beitrag kognitiver Funktionen zur Entwicklung von Erkrankungen explorieren zu können, sind große bevölkerungsbasierte Studien nötig.
In der NAKO wurden aus diesem Grund kognitive Funktionen mittels einer kurzen neuropsychologischen Testbatterie untersucht (Wortlistengedächtnistest mit 12 Worten, semantische Flüssigkeit, Stroop Test, Zahlenspanne rückwärts). Einzeltests wurden mittels konfirmatorischer Faktorenanalyse zu zwei Domänen-Scores zusammengefasst, die Gedächtnis beziehungsweise exekutive Funktionen erfassen.
Es zeigte sich, dass in der NAKO höhere kognitive Leistung in Gedächtnis und exekutiven Funktionen mit geringerem Alter und höherer Bildung sowie weiblichen Geschlecht assoziiert sind. Zudem ließ sich ein negativer Einfluss von traumatischen Kindheitserfahrungen sowie gegenwärtiger depressiver Symptome und Angstsymptomatik auf die kognitive Leistungsfähigkeit im Erwachsenenalter auffinden. Hierbei zeigten sich leicht stärkere Assoziationen mit exekutiven Funktionen als mit der Gedächtnisfunktion.
Die kognitive Testbatterie der NAKO stellt ein sensitives Instrumentarium dar, um potentielle Determinanten und Auswirkungen kognitiver Funktionen in der Allgemeinbevölkerung zu untersuchen.