Der Partizipationsgedanke gewinnt immer weiter an Bedeutung. In Forschung und Praxis geht es längst nicht mehr nur allein darum, das Erleben von Menschen mit psychischen Erkrankungen ausschließlich nur zu verstehen. Das Ziel ist es vielmehr, in einem kollaborativen Prozess gemeinsam Wissen zu generieren und Einfluss auf Veränderungen der Psychiatrie und ihrer Angebote und gesellschaftlicher Strukturen zu nehmen. Das Sicht- und Hörbarwerden und gegenseitige Verstehen, weniger Stigmatisierung und mehr Teilhabe fordern jedoch von allen Beteiligten eine reflexive und kritische Auseinandersetzung mit sich selbst, aber auch den eigenen Kontextbedingungen. Stillschweigende Übereinkünfte über Tabus zwingen zur Frage wie das „Drüber- Reden“ gelingen kann und wann das „Drüber-Schweigen“ unter Umständen die bessere Wahl ist. Ob Erfahrungen mit eigenen psychischen Erkrankungen für Fachpersonen eine Chance oder ein Risiko darstellen, ist auch von den umgebenden Bedingungen mitbestimmt. Erkenntnisse aus Forschungsprojekten und subjektive Erfahrungen werden in dem Symposium zusammengebracht.
Mitarbeitende in der Psychiatrie im Spannungsfeld der Doppelrolle als Patient*in und Fachperson
Sebastian von Peter, Neuruppin (Germany)
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Autor:in:
Sebastian von Peter, Neuruppin (Germany)
Es gibt viel Evidenz für Genesungsbegleitung in psychiatrischen und psychosozialen Praxen. Demgegenüber gehen Mitarbeiter*innen anderer Berufsgruppen (die herkömmlichen „Profis“) häufig anders mit eigenen Krisen-, oder Behandlungs-Erfahrungen um: Sie offenbaren sich selten, bzw. so gut wie nie gegenüber Patient*innen, häufig im Namen der therapeutischen Abstinenz oder aus Angst vor Stigmatisierung und persönlicher Verwicklung, und es gibt kaum systematische Forschungsarbeiten zu diesem Thema.
In diesem Beitrag werden die Hauptergebnisse aus einem Promotionskolloqium zum Thema der eigenen Krisen- und Behandlungserfahrung von in der Psychiatrie tätigen Mitarbeiter*innen vorgestellt, dass seit 2017 zwischen der Medizinischen Hochschule Brandenburg und dem Universitätsklinikums Leipzig arbeitet. Nach qualitativen Vorstudien wurde eine Befragung an Kliniken der Primärversorgung in Berlin und Brandenburg durchgeführt. Insgesamt gab es 218 Rückläufe von Mitarbeiter*innen ver-schiedener Berufsgruppen, die Fragen zur eigenen beruflichen Sozialisation, zu Rollen- und Krank-heitsvorstellungen, zu eigenen Krisen- und Behandlungserfahrungen, und zum Umgang damit gegenüber Patient*innen beantworteten.
Rund 85% der Befragten gab an, über eigene Krisen- und/ oder Behandlungserfahrungen zu verfügen. Rund 74% haben für diese Erfahrungen Unterstützung in Anspruch genommen. Mit der Offenlegung dieser Erfahrungen wird unterschiedlich umgegangen und im Umgang gegenüber Patient*innen werden sie als nutzvoll eingeschätzt. Die eigenen Erfahrungen werden als etwas grundsätzlich Anderes eingestuft als diejenigen der Patient*innen.
Die hohe Prävalenz von eigenen Krisen- und Behandlungserfahrungen unter den Befragten hatte u.a. auch methodische Gründe. Trotz eines hohen Vorkommens eigener Krisen- und Behandlungs-erfahrungen persistiert bei selbst betroffenen Mitarbeiter*innen die Abgrenzung gegenüber von Patient*innen.