Die molekularbiologische Erforschung psychischer Erkrankungen der letzten Jahre hat das klassische Bild der Genetik revolutioniert. Statt nur „statische“ Gegebenheiten im Genom abzubilden, zeigen neue Forschungsansätze die immense Dynamik in der genetischen Regulation im Zusammenspiel von Genom und Umwelteinflüssen. Dabei zeigt sich, dass der erhebliche Einfluss, den frühe Lebenserfahrungen, aber auch exogene Faktoren wie Ernährung und Substanzgebrauch auf die Entwicklung von psychischen Störungen haben, unter anderem durch langfristige Veränderungen der genetischen Aktivität ausgeübt wird. Die Erforschung epigenetischer Mechanismen hat dabei einen starken translationalen Charakter; aktuell werden vor allem Biomarker zur Verbesserung von Diagnostik, Früherkennung und Prädiktion untersucht. Zusätzlichen Schub erhält dieser Forschungsansatz durch neuste technologische Entwicklungen im Bereich der Sequenziertechnik (z.B. Sequenzierung mit Nanoporen), die die direkte Messung von Veränderungen der DNA in Echtzeit erlauben. Diese neuen Technologien stellt Franz-Josef Müller (Kiel) vor. Zusätzliche Dynamik gewinnt das Feld durch Neuentwicklungen im Bereich der Algorithmen-basierten Auswertung, mittels derer ganze Muster von epigenetischen Veränderungen erfasst und zur Prädiktion genutzt werden können. Mittels der sogenannten epigenetic clock-Algorithmen kann aus epigenomweiten Methylierungsdaten das „epigenetische“ Alter eines Organismus bzw. einzelner Gewebe bestimmt werden. Linda Dieckmann (München) stellt Befunde zu epigenetic clocks im Zusammenhang mit frühkindlichen Entwicklungsprozessen vor. Konkrete Anwendungsbeispiele von epigenetischen Biomarkern präsentiert Miriam Schiel (Freiburg) am Beispiel der Zwangsstörung und Helge Frieling (Hannover) stellt erste konkrete Erfahrungen mit der klinischen Anwendung von epigenetischen Biomarkern, insbesondere der Methylierung von BDNF im Zusammenhang mit depressiven Erkrankungen vor.
abgesagt: Neue Technologien für die patientennahe epigenetische Diagnostik
abgesagt: Anwendungen von epigenetic clocks bei der Erforschung frühkindlicher Entwicklungsprozesse
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Eine detaillierte Kenntnis menschlicher Alterungs- und Entwicklungsprozesse ist von zentraler Bedeutung, um die Prävention und Behandlung einer Vielzahl von Krankheiten zu optimieren. Das chronologische Alter ist dabei nicht der einzige Indikator für fortschreitende Alterung, denn Personen mit dem gleichen chronologischen Alter können sich in biologischen Reifungsprozessen stark unterscheiden. Aus diesem Grund haben Biomarker für Alterung in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Sie haben das Potential, Variationen im biologischen Status zwischen Individuen gleichen Alters aufzudecken.
Ein Ansatz für einen solchen Biomarker sind die sogenannten epigenetic clocks, bei denen DNS Methylierungsmuster genutzt werden, um das chronologische Alter vorherzusagen. Abweichungen zwischen dem epigenetischen und dem chronologischen Alter könnten dabei einen Indikator für den gesundheitlichen Zustand oder Entwicklungsgrad darstellen. Im Erwachsenenalter wurde insbesondere eine Altersbeschleunigung, d.h. ein höheres epigenetisches als chronologisches Alter, mit altersbedingten Erkrankungen in Verbindung gebracht. Studien in frühen Entwicklungsphasen sind bisher seltener, obwohl die Sensitivität für Umgebungseinflüsse und langfristige Programmierungseffekte im pränatalen und frühkindlichen Alter besonders hoch ist.
In diesem Projekt wurde das epigenetische Alter in pränatal entnommenen Chorionzottenbiopsien, sowie in Plazentagewebe und Nabelschnurblut bestimmt. Ziel war es zu untersuchen, welche Charakteristika von Mutter und Kind eine relativ höhere oder niedrigere Abweichung zwischen epigenetischem und chronologischem Alter in den verschiedenen Geweben erklären können, als auch die Übereinstimmung im relativen epigenetischen Alter zwischen verschiedenen Gewebeproben des gleichen Individuums zu untersuchen.
abgesagt: Epigenetik der Zwangsstörung: DNA-Methylierung als Prädiktor des Behandlungserfolgs?
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An der Entstehung der Zwangsstörung sind sowohl genetische Faktoren als auch umweltbedingte Stressoren im Sinne eines „Vulnerabilitäts-Stress“ Modells beteiligt. In jüngster Zeit wird die Rolle epigenetischer Prozesse als biologischer Link zwischen genetischer Prädisposition und Umwelteinflüssen zunehmend deutlich. Epigenetische Mechanismen wie die DNA Methylierung sind biochemische Modifikationen der DNA oder ihrer Raumstruktur. Sie regulieren die Funktionsweise von Genen, sind zeitlich dynamisch und können durch Umwelteinflüsse als auch durch psychotherapeutische Interventionen verändert werden.
Dieser Vortrag fasst jüngste Ergebnisse zu DNA Methylierungsveränderungen in ausgewählten Kandidatengenen (z.B. OXTR, MAOA, SLC6A4) als auch erstmalig in einem Genom-weiten Ansatz bei der Zwangsstörung zusammen bezüglich ihrer Rolle als Risikomarker wie auch als Prädiktoren und dynamische Korrelate des Behandlungsansprechens.
Trotz einiger noch zu klärender Aspekte und Fallstricke birgt die epigenetische Forschung ein hohes, translationales Potential für die klinische Anwendung und könnte so zukünftig zur Entwicklung gezielterer, personalisierter und innovativer Behandlungsoptionen für Zwangserkrankungen beitragen.
abgesagt: Biomarker-gestützte Therapieentscheidungen bei Depressionen – erste klinische Erfahrungen mit dem BDNF-Test