Zur Weiterentwicklung einer bedarfsgerechten, patientenorientierten und sektorübergreifenden psychiatrischen Versorgung wurden in Deutschland innovative Versorgungsformen verbunden mit neuen Finanzierungsmodellen etabliert.
Seit 2013 wurden basierend auf §64b SGB V 22 Modellprojekte initiiert, bei denen die gesetzlichen Krankenkassen ein meist globales Behandlungsbudget mit den psychiatrischen Krankenhäusern vereinbaren und den Leistungserbringern die Möglichkeit eröffnet, die Behandlungsform an die Bedürfnisse der Patienten anzupassen. Die Ergebnisse bisheriger Begleitforschung und die Notwendigkeit weiterer Forschung gaben Anlass dazu, die ursprünglich auf 8 Jahre angelegte Laufzeit auf max. 15 Jahre zu erhöhen.
Der gesetzlichen Verpflichtung folgend beauftragten 2015 die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) eine bundesweite Evaluation von 18 Modellvorhaben. Neben modellspezifischen Berichten zu Wirksamkeit und Kosten liegen nun modellübergreifende Ergebnisse zu dieser kontrollierten, sekundärdatenbasierten Kohortenstudie („EVA64“) vor, welche Daten von über 70 GKVen und 12 zu evaluierenden Modellvorhaben analysiert.
Einem multiperspektivischen und -methodischen Ansatz zur Evaluation der Modellvorhaben folgt die Studie „PsychCare“. Patientenberichtete Outcomes wie Lebensqualität und Behandlungszufriedenheit von Modell- im Vergleich zu Kontrollpatienten werden vorgestellt.
Ferner wird diskutiert, welchen Herausforderungen Krankenhäuser beim Wechsel von einer leistungs- und tagesbezogenen Vergütung zu einem globalen Behandlungsbudget gestellt sind.
Schließlich stellt sich die Frage, wie die Modell- im Vergleich zur Regelversorgung von den Nutzenden erlebt wird, und ob sich dieses Erleben systematisch unterscheidet.
Beide Studien liefern Erkenntnisse für die Beantwortung der Frage nach einer Verstetigung der Modellprojekte und Implementierung in die Regelversorgung mit dem Ziel, die künftige Versorgung stärker an Patientenbedürfnissen orientiert umzustrukturieren.
abgesagt: Modellübergreifende Ergebnisse EVA64
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Hintergrund: In der Evaluation EVA64 werden die Effektivität, Kosten und Kosteneffektivität von 18 Modellvorhaben in einer kontrollierten GKV-sekundärdatenbasierten Kohortenstudie evaluiert.
Methoden: Ergebnisse von Patienten mit Einschluss in die Evaluation im ersten bis dritten Modelljahr und zweijähriger Nachbeobachtung wurden für die Zielparameter voll- und teilstationäre Behandlungsdauer, Anzahl Kontakte in Psychiatrischer Institutsambulanz (PIA) und Behandlungskontinuität für 12 Modellvorhaben, für die bereits ein Abschlussbericht vorliegt, in einer Metaanalyse gegenübergestellt. Dabei wurden die Werte vor Einschluss in die Evaluation mit dem ersten bzw. zweiten patientenindividuellen (pat.ind.) Jahr sowie zwischen den Modellvorhaben und der Regelversorgung verglichen. Es wurden alle Patienten betrachtet, die in den zwei Jahren vor Einschluss in die Evaluation, d.h. erste Behandlung ab Modellbeginn, keine Behandlung in der Referenzklinik aufwiesen.
Ergebnisse: Vollstationäre Behandlungstage wurden in der Mehrheit der Modellkliniken (n=8) im ersten pat.ind. Jahr im Vergleich zur Regelversorgung verringert (θk = -5,1; 95% KI: -9,2; -1,1). Teilstationäre Behandlungstage wurden in der Mehrheit der Modellkliniken (n=7) im ersten pat.ind. Jahr vermehrt in Anspruch genommen. PIA-Kontakte wurden im ersten pat.ind. Jahr in fünf Modellkliniken mehr und in fünf weniger in Anspruch genommen. In Modellvorhaben mit höherer PIA-Kontaktierung war die Inanspruchnahme teilstationärer Behandlungstage geringer als in der Regelversorgung und umgekehrt. Die Behandlungskontinuität stieg in einigen Modellvorhaben stärker als in der Regelversorgung.
Diskussion: Strukturelle Veränderungen hin zu weniger voll- und mehr teilstationären Behandlungstagen bzw. Kontakten in der PIA sind ersichtlich. Das Modellziel einer erhöhten Behandlungskontinuität konnte bei den meisten Modellvorhaben erreicht werden. Insgesamt weist die Evaluation auf das Erreichen untersuchter Modellziele hin.
abgesagt: Wirksamkeit sektorenübergreifender Versorgungsmodelle (PsychCare): erste Ergebnisse der Primärdatenerhebung
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Hintergrund: Mit § 64b SGB V wurden seit 2013 die Weichen für die Umsetzung von Modellvorhaben zur Verbesserung der Patientenversorgung, der sektorenübergreifenden Leistungserbringung und der Umsetzung von komplexer psychiatrischer Behandlung im häuslichen Umfeld gestellt. Die Vergütung der Krankenhausleistungen in Form eines globalen Behandlungsbudgets ermöglicht dabei eine Entkopplung vom Setting. Obwohl Evaluationsergebnisse einzelner Modellvorhaben und eine übergreifende Parallelgruppenstudie auf Basis von GKV-Sekundärdaten vorliegen, fehlen bisher modellübergreifende und patientenzentrierte Erhebungen zur Evaluation dieser Versorgungsform im Vergleich zur Regelversorgung.
Methode: „PsychCare“ ist eine kontrollierte, prospektive, multizentrische Kohortenstudie mit drei Erhebungszeitpunkten (Baseline-Erhebung, Follow up nach 9 bzw. 15 Monaten). Konsekutiv wurden ambulante, teil- oder vollstationäre Patienten mit Suchterkrankung, affektiven Störungen oder Schizophrenie rekrutiert. Neben der hier vorzustellenden quantitativen Primärdatenerhebung findet ein Datenlinkage mit GKV-Routinedaten, eine Kosten-Effektivitäts-Analyse, eine Prozessevalution mittels qualitativer Erhebungen und eine Entwicklung von Qualitätsindikatoren statt.
Ergebnisse: Neun Kliniken mit Modellvorhaben und acht Kliniken der Regelversorgung nahmen an „PsychCare“ teil, insgesamt wurden 1183 Studienteilnehmer zur Baseline-Erhebung befragt. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass Patienten der Modellkliniken sowohl eine höhere gesundheitsbezogene Lebensqualität als auch Behandlungszufriedenheit aufweisen als Patienten der Regelversorgung.
Diskussion und praktische Implikationen: Die Ergebnisse sollen Rückschlüsse für eine bedarfsgerechtere Versorgung psychisch erkrankter Personen liefern. In den Modellvorhaben als vorteilhaft identifizierte Strukturen sollen abgeleitet und in die Regelversorgung implementiert werden.
abgesagt: Umsetzung spezifischer Merkmale settingübergreifender Versorgung an Kliniken der Modell- und Regelversorgung (PsychCare)
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Hintergrund
Seit ca. 2003 wird an einzelnen psychiatrischen Kliniken ein neues Vergütungs- und Versorgungsmodell erprobt, welches auf Grundlage eines globalen Behandlungsbudgets eine setting-übergreifende, integrative sowie Zuhause-Behandlung bietet. Derzeit existieren bundesweit 22 dieser psychiatrischen Modellvorhaben nach §64b SGB V (MV). Bisherige Forschung konnte 11 spezifische Struktur- und Prozessmerkmale zur Einstufung von MV identifizieren, die allerdings noch nicht in einer kontrollierten Studie hinsichtlich ihrer methodischen Anwendbarkeit überprüft wurden. Untersucht wird die statistische Unterscheidungsfähigkeit der Merkmale an Kliniken der Regel- und der Modellversorgung.
Methode
Als Teil der PsychCare-Studie wurde an neun Modell- und sieben Kontrollkliniken die Einstufung der Merkmale vorgenommen und vergleichend, sowie in Subgruppen analysiert. Die Subgruppen unterteilen jene Kliniken, die mit allen oder nur einem Teil der Krankenkassen ein MV vereinbart haben.
Ergebnisse
Sieben der 11 Merkmale (Flexibilität im Settingwechsel, settingübergreifende therapeutische Gruppen, Zuhause-Behandlung, systematischer Einbezug von Bezugspersonen, Erreichbarkeit von Leistungen, sektorübergreifende Kooperation und Erweiterung professioneller Expertise) wiesen eine hohe statistische Unterscheidungsfähigkeit auf. In den Subgruppen waren diese Unterschiede tendenziell stärker ausgeprägt.
Schlussfolgerung
Die modellspezifischen Merkmale sind geeignet, um Qualitätsunterschiede der Implementierung settingübergreifender, flexibler und aufsuchender Versorgung zu evaluieren.
abgesagt: Erleben der Modellversorgung nach § 64b SGB V – Ergebnisse der mixed method, partizipativen Prozessevaluation von PsychCare
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Die Beteiligung von Nutzer*innen und Forscher*innen mit eigenen Krisenerfahrungen sowie anderen Interessengruppen an Forschungsvorhaben ist in Deutschland zu einem starken Desiderat geworden. Wirksame Partizipation erfordert Handlungs- und Entscheidungsmacht seitens der Beteiligten und verträgt sich nur wenig mit strikten, methodologischen Designvorgaben. Eine Ausnahme bildet der Rahmen einer Prozessevaluation, der auf Grund seiner eher induktiven, methodengemischten und explorativen Forschungslogik Potenziale für wirksame Partizipation bietet.
Der Vortrag bezieht sich auf Ergebnisse der partizipativ-kollaborativen Prozessevaluation im Rahmen der PychCare Studie, die, im Sinne der MRC Guidelines, zum Ziel hatte, den Implementierungsgrad modellspezifischer Versorgungsmerkmale nach §64b SGBV über die untersuchten Einrichtungen hinweg zu untersuchen. Im Fokus stand dabei das Erleben der Nutzer*innen, das mit Hilfe unterschiedlicher qualitativer und quantitativer, auch partizipativ-kollaborativ entwickelter Erhebungsinstrumente evaluiert wurde.
Die partizipativ-kollaborative Entwicklung von einigen in der Studie verwendeten Forschungsinstrumenten wird vorgestellt, um Möglichkeiten für eine wirksame Partizipation innerhalb des methodischen Rahmens einer Prozessevaluation zu verdeutlichen. Außerdem werden die zentralen Ergebnisse der PsychCare Prozessevaluation im Vergleich zueinander diskutiert und ihre Bedeutung für die Evaluation der spezifischen Prozesse und Strukturen der Modellversorgung nach §64b SGBV im Vergleich zur Regelversorgung verdeutlicht.
Über die Erhebungsinstrumente hinweg konnte entlang der Zunahme des Modellanteils der untersuchten Einrichtungen ein ansteigender Implementierungsgrad der modellspezifischen Versorgungsmerkmale festgestellt werden. Der methodologische Rahmen einer Prozessevaluation eignet sich für eine erfahrungsbasierte, induktive Wissensproduktion sowie für multiperspektivische Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse.