Im Rahmen der Implementierung der S3-Leitlinien zur Verhinderung von Zwang und Gewalt wird neben der Einführung von Safewards oder six-core-strategies das recovery-orientierte „Weddinger Modell“ als komplexe Intervention für psychiatrische Kliniken empfohlen.
10 Jahren Arbeit mit dem „Weddinger Modell“ gibt es neben guten praktischen Erfahrungen zahlreiche wissenschaftliche Befunde, die dessen Wirksamkeit hinsichtlich Beziehungsförderung und Zwangsvermeidung auf verschiedenen Dimensionen belegen. Aktuell untersucht die Forschungsgruppe „Sozialpsychiatrie und Versorgungsforschung“ unter anderem den im Rahmen des „Weddinger Modell“ entwickelten standardisierten Leitfaden zur Nachbesprechung von Zwangsmaßnahmen.
Felix Bermpohl legt in seinem Beitrag den Schwerpunkt auf Klinikstrukturen. Am Beispiel des St. Hedwig-Krankenhauses zeigt er mögliche Ursachen von Gewalt auf und beschreibt recovery-orientierte Maßnahmen zur Vermeidung von Gewalt.
Ina Jarchov-Jádi stellt in ihrem Vortrag die Grundelemente und die Implementierung des „Weddinger Modell“ vor und richtet ihren Fokus hierbei in Bezug auf Förderung von Autonomie und Vermeidung von Gewalt auf die Aspekte Interprofessionalität und Patientenorientierung.
Angelika Vandamme präsentiert das standardisierte leitfadengestützte Interview zur gemeinsamen Nachbesprechung von Zwangsmaßnahmen, das in einem moderierten Gespräch zwischen Patient*in und Mitarbeitenden Anwendung findet. Sie stellt Ergebnisse der umfangreichen Studien zu dem Instrument vor und berichtet von der praktischen Umsetzung im Klinikalltag.
Lieselotte Mahler stellt anhand wissenschaftlicher Daten die Auswirkungen des „Weddinger Modell" sowie die Effekte der leitfadengestützten Nachbesprechung auf Zwangsmaßnahmen dar. Praxisbezogen werden zudem erste Ergebnisse der Implementierung des „Weddinger Modell“ in den Kliniken des Theodor-Wenzel-Werks in Berlin vorgestellt und die Effekte der Wegnahme von Sicherheitsdiensten auf den Akutstationen präsentiert.
Es geht nur gemeinsam – Elemente und Implementierung des „Weddinger Modell“
Ina Jarchov-Jádi, Berlin (Germany)
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Autor:in:
Ina Jarchov-Jádi, Berlin (Germany)
Eine multiprofessionelle Versorgung sowie die Arbeit in berufsgruppengemischten Teams ist heute in jeder modernen Sozialpsychiatrie Standard. So beinhaltet die Vielschichtigkeit einer individualisierten psychiatrischen Komplexbehandlung sowohl die Einbeziehung der Patient:innen als Expert:innen in eigener Sache als auch mehrerer Professionen bis hin zu Peers. Mit Nachdruck weist die WHO darauf hin, dass gute Behandlungsergebnisse im Wesentlichen von der Kooperation der Berufsgruppen abhängen und davon, inwieweit die Patient:innen und ihr soziales Umfeld mit in die Behandlungsplanung einbezogen werden . Diese Auffassung wird zwar im Allgemeinen geteilt, im klinischen Alltag jedoch nur zögerlich umgesetzt. Aktuelle Studien belegen erhebliche Kommunikationsmängel im interprofessionellen, wie patientenbezogenen Austausch. Das mag zum einen daran liegen, dass sich Mediziner:innen durch ihr Festhalten an historisch gewachsenen paternalistischen „Einlinienstrukturen“ und der damit verbundenen Deutungsmacht häufig schwer tun, konzeptionelle Veränderungen von Multi- in Richtung Interprofessionalität zu unterstützen . Zum anderen kann aber auch die Erfahrung gemacht werden, dass es gerade bei der Pflege, einer Berufsgruppe die schon lange um einen höheren Stellenwert und mehr Anerkennung ihrer beruflichen Expertise in ihrem beruflichen Kontext kämpft, zu erheblichen Vorbehalten und Widerständen kommen kann. Es liegt die Vermutung nahe, dass auch hier ein tradiertes Rollenverständnis, unterschwellig und subtil, den eigenen „Emanzipationsprozess“ ausbremsen kann.
Basierend auf mehr als 10 Jahren Erfahrung soll am Beispiel des „Weddinger Modell“ veranschaulicht werden, wie ein flexibles individualisiertes Behandlungskonzept, welches sich an den Bedürfnissen der Patient:innen orientiert und konsequent auf interprofessioneller Zusammenarbeit aufbaut, inhaltlich wie strukturell im klinischen Alltag implementiert, weiterentwickelt sowie nachhaltig umgesetzt werden kann.
Implementierung gemeinsamer Nachbesprechungen von Zwangsmaßnahmen in den akutpsychiatrischen Alltag
Angelika Vandamme, Berlin (Germany)
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Autor:in:
Angelika Vandamme, Berlin (Germany)
Eine gemeinsame Nachbesprechung von stattgefundenen Zwangsmaßnahmen mit Mitarbeitenden und dem/der Patient*in, können eine wertvolle Intervention darstellen, um künftigen Zwang zu verhindern und die therapeutische Beziehung zu reparieren. Patient*innen erhalten dadurch die Möglichkeit über ihre Wahrnehmung vor und während der potentiell traumatischen Situation zu sprechen und diese gemeinsam mit den Behandelnden zu reflektieren. Auch das Personal kann mehr über die Inhalte von Krisensituationen der Patient*innen lernen und ggf. zur Deeskalation in der Zukunft nutzen. Eine Nachbesprechung wird mittlerweile in der S3-Leitline zur Verhinderung von Zwang per Expertenkonsens gefordert und von Patient*innen wird eine Nachbesprechung der Ereignisse gewünscht. Leider sind Nachbesprechungen bis heute wenig systematisiert, was ihre Qualität häufig einschränkt, und sie werden nicht konsequent genug angewandt. Der Implementierungsprozess einer gemeinsamen Nachbesprechung und das Sicherstellen eines regelmäßigen und lückenlosen Anbietens solcher Nachbesprechungen kann ein herausfordernder Prozess sein. In dem Vortrag wird zunächst das Konzept eines strukturierten Leitfadens zur gemeinsamen Nachbesprechung vorgestellt. Im Anschluss werden praktische Erfahrungen und Tücken des Implementierens beleuchtet und diskutiert.
Was schafft Sicherheit auf Akutstationen? Wissenschaftliche Evaluation des „Weddinger Modell“, der Nachbesprechung von Zwangsmaßnahmen sowie des Abziehens von Sicherheitsdiensten
Lieselotte Mahler, Berlin (Germany)