Autor:innen:
C. Becker (München, DE)
M. Wagner (München, DE)
A. Knaus (Bonn, DE)
M. Lüdeke (Neu-Ulm, DE)
M. Wenzel (Ulm, DE)
J. Mühlberger (Neu-Ulm, DE)
Zielsetzung
1-3% aller Kinder & Jugendlicher weisen eine Intelligenzminderung/Entwicklungsverzögerung auf (Ogundele et al., 2022). Genetische Diagnostik hat sich für die Diagnose-Findung als starkes Werkzeug erwiesen – trotz der großen klinischen und ätiologischen Heterogenität der Intelligenzminderung (Maia et al., 2021). Die Anzahl der diesbezüglich als krankheitsursächlich bekannten Gene hat sich innerhalb der letzten Dekade ungefähr verdreifacht. Zudem haben sich für viele bereits anderweitig als krankheitsverursachend bekannten Gene neue Krankheitsbilder durch neu verstandene Pathomechanismen ergeben. Inzwischen erreicht die Horchdurchsatz-Sequenzierung (Next Generation Sequencing, NGS) eine Aufklärungs-Rate von ca. 30-40% (Srivastava et al., 2019; Alvarez-Mora et al., 2022). Der vorliegende Beitrag zeigt durch ein Review der Literatur auf, welche Faktoren zur verbesserten Diagnose-Rate beigetragen haben und veranschaulicht dies anhand von Beispielen aus der klinischen Praxis.
Methoden
Review der Literatur im Hinblick auf die genannten Faktoren, veranschaulicht durch Fallberichte von Patienten mit seltenen Erkrankungen aus unserer klinisch-genetischen Sprechstunde.
Ergebnisse
Zu einer verbesserten Diagnose-Rate im Rahmen der NGS-basierten Diagnostik haben beigetragen (nach Robertson et al., 2022; Tan et al., 2020; Wright et al., 2018; James et al., 2020; Knaus et al., 2018):
1. Die Entdeckung neuer Gene bzw. eines neuen Phänotyps/Pathomechanismus für ein Gen: So konnte bei unseren Patienten unter anderem ein Chopra-Amiel-Gordon-Syndrom (Entdeckung des Gens ANKRD17 als krankheitsverursachend) sowie eine SCN8A-assoziierte benigne Epilepsie (Variante mit milderem Phänotyp) diagnostiziert werden.
2. Verbesserte Untersuchungstechniken: Ein umfangreicheres und Hypothesen-ärmeres Analyseverfahren (Gesamt-Exom vs. Klinisches Exom sowie Durchführung als Trio-Ansatz), hilft in der Routinediagnostik bei der verbesserten Diagnosefindung. In unserer Praxis konnten dadurch beispielweise die Diagnosen Bardet-Biedl-Syndrom Typ 4 sowie Lamb-Shaffer-Syndrom gestellt werden.
3. Veränderte Einschätzung einer Variante durch weitere Untersuchungen (z.B. funktionell, Segregationsanalyse, computergestützte Gesichtsanalyse): So erfolgte u. a. die sichere Diagnosestellung eines Aicardi-Goutières-Syndroms Typ 4 sowie eines MCAHS1-Syndroms.
Zusammenfassung
Bei Kindern mit Intelligenzminderung kann die genetische Diagnostik mit immer höherer Wahrscheinlichkeit auch eine kausale Ursache identifizieren. Die o. g. Punkte werden wohl auch in Zukunft die Wahrscheinlichkeit der Diagnosefindung steigern: weiter werden neue Gene als krankheitsverursachend identifiziert. Zudem werden in der Routine-Diagnostik neben der Genom-Sequenzierung auch OMICS-Analysen (Transkriptom, Proteom, Metabolom etc.) sowie computergestützte Gesichtsanalysen (Face2Gene, Gestaltmatcher) Einzug halten (Mubarak & Zahir, 2022; Bruel et al., 2020; Gurovich et al., 2019; Hsieh et al., 2022).