14:35 Uhr
DGKJ-FV 23:
Wie kann präventiver Kinderschutz in Schwangerschaft und früher Kindheit gelingen? Ergebnisse des Innovationsfondsprojekts KID-PROTEKT
S. Siefert (Hamburg, DE)
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Autor:innen:
S. Siefert (Hamburg, DE)
S. Pawils (Hamburg, DE)
N. Nitzschke (Hamburg, DE)
Zielsetzung
Kinder aus psychosozial belasteten Familien haben ein erhöhtes Risiko für Krankheiten und Entwicklungsstörungen. Die innerhalb der sozialen Sicherungssysteme vorhandenen Unterstützungsangebote werden gerade von Familien mit intensivem Bedarf häufig nicht erreicht (Präventionsdilemma). Der systematische Zugang zur Zielgruppe im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge und Kinderfrüherkennungsuntersuchungen soll genutzt werden, um die Vermittlung an Frühe Hilfen u. a. im Sinne des Präventionsgesetzes zu verbessern.
Material und Methoden
Fachärzt*innen für Pädiatrie und Gynäkologie sowie medizinische Fachkräfte der teilnehmenden Praxen erhielten eine Schulung zur Früherkennung psychosozialer Belastungen und zu den Angeboten der Frühen Hilfen. Im pädiatrischen Setting wurde die Sozialanamnese im Rahmen der U2 bis U6 um ein Screening auf psychosoziale Belastungen auf Basis eines validierten Anhaltsbogens ergänzt. Bei Vorliegen einer familiären Belastungssituation wurde in einem persönlichen Gespräch zwischen Eltern und geschultem Personal der individuelle Unterstützungsbedarf geklärt und bei Bedarf über passende Hilfsangebote informiert bzw. an diese vermittelt. Bei weitergehendem Beratungsbedarf bestand in einzelnen Praxen die Möglichkeit, die Familie für eine umfassendere Beratung in die Sprechstunde einer (sozial-)pädagogischen Fachkraft („Babylots*in“) zu überweisen. Die Varianten mit und ohne Lotsenunterstützung wurden in einem randomisiert-kontrollierten Design mit der aktuellen Regelversorgung verglichen.
Ergebnisse
Über ein Drittel (37%) aller angesprochenen Schwangeren bzw. Familien ist nach eigenen Angaben im KID-PROTEKT Anhaltsbogen belastet. Über die Kombination aus Screening und sich anschließendem Gespräch konnten die familiären Unterstützungsbedarfe zuverlässig erkannt und eingeordnet werden. Das Vorgehen erwies sich als praktikabel und wurde von Praxen und Familien gleichermaßen gut angenommen. Dabei wurden auf Basis der neuen Versorgungsform mehr als drei Mal so viele Familien (20-22%) an Hilfsangebote weitergeleitet als in der Regelversorgung (6%). War über die reine Information hinaus eine aktive Vermittlung in Hilfen nötig, zeigte sich die Variante mit Lotsenunterstützung überlegen, was sich u. a. in einer nahezu doppelt so hohen Inanspruchnahmerate manifestiert.
Zusammenfassung
Die Ergebnisse deuten auf eine evidente Versorgungslücke unter den aktuellen Bedingungen der Regelversorgung hin. Die neue Versorgungsform versetzt Frauen- sowie Kinder- und Jugendarztpraxen in die Lage, ihrem gesetzlichen Auftrag zur bedarfsorientierten Information über regionale Unterstützungsangebote für Eltern und Kind (§§ 24d, 26 SGB V) signifikant besser nachzukommen. Darüber hinaus kann das Angebot von Lotsensprechstunden das Praxispersonal entlasten. Auf Basis der erzielten Evaluationsergebnisse wird die Überführung der kindzentrierten psychosozialen Grundversorgung nach dem Modell KID-PROTEKT in die Regelversorgung empfohlen.