Der biopsychosoziale Ansatz, Schmerzerleben und Schmerzerkrankungen zu verstehen, geht inhärent von einer beträchtlichen Diversität zwischen Individuen aus, auch bei vergleichbarer Diagnose einer ggf. vorliegenden Schmerzerkrankung. Relevante Faktoren sind hierbei u.a. Geschlecht, Ethnizität und Migrationshintergrund sowie die individuelle Lebensgeschichte. Jeder dieser Faktoren lässt sich letztlich wiederum auf ein komplexes Zusammenspiel biologischer, psychologischer und sozialer Aspekte zurückführen.
Der erste Vortrag (E. Pogatzki-Zahn) geht auf die Bedeutung des Geschlechts als einen modulierenden Faktor für die Art und Schwere der Schmerzsymptome, aber auch für den Umgang mit diesen sowie die Prognose und den Therapieerfolg bei Schmerzerkrankungen ein. In präklinischen und klinischen Studien sind biologisch vermittelte Geschlechtsunterschiede z.B. im Hinblick auf Schmerz-verarbeitende Prozesse (CPM/offset Analgesie) gut untersucht. Sie müssen jedoch im Kontext weiterer Kofaktoren (z.B. Geschlechtsunterschiede in der Komorbidität oder psychischer Bewältigungsstrategien) betrachtet werden, was entsprechende Implikationen sowohl für die klinische Praxis als auch z.B. für translationale Forschung hat.
Der zweite Vortrag (C. Hermann) fokussiert auf Ethnizität und Migrationshintergrund als Faktoren der Patientenheterogenität. Ethnische Unterschiede in der Schmerzverarbeitung und im Schmerzerleben, aber auch die Auswirkungen dieser Unterschiede auf das Verhalten von Behandlern sind insbesondere in den USA gut untersucht, zumeist im Vergleich von kaukasischen und schwarzen Amerikanern. Speziell in Deutschland ist trotz klinischer Relevanz die Rolle der Ethnizität, des Migrationshintergrunds und möglicher weiterer modulierender sozialer Faktoren wie der Akkulturation oder auch des sozialen Kontexts auf das Schmerzerleben sowohl präklinisch wie auch klinisch kaum untersucht. Von besonderem Interesse gerade auch für die klinische Praxis sind zusätzlich auch mögliche Unterschiede im Schmerzausdrucksverhalten (z.B. Mimik), die bislang weitestgehend vernachlässigt wurden. Hierzu werden erste experimentelle Studien vorgestellt und Implikationen für die klinische Praxis und die weitere Forschung aufgezeigt.
Im dritten Vortrag (T. Fischer) wird die lebensgeschichtliche Perspektive für das individuelle Schmerzerleben und Schmerzleiden betrachtet. Patient:innen bringen jeweils ihre individuelle Biografie mit, die von biologische Gegebenheiten, sozialen Einflüssen, gesellschaftlichen Entwicklungen und psychologische Faktoren beeinflussen wird. Einerseits können Schmerzen die Entwicklung des Individuums beeinflussen, andererseits werden die Wahrnehmung und der Umgang mit Schmerzen durch die individuelle Entwicklung im Verlauf der Lebensspanne beeinflusst. Eine patientenzentrierte Therapie und Pflege von Menschen mit Schmerzen muss daher die Individualität der Person im Kontext ihres Lebenslaufs berücksichtigen.