Hintergrund und Fragestellung: Die ICD-11 enthält eine neue Klassifikation chronischer Schmerzen, die von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe der International Association for the Study of Pain (IASP) entwickelt und in ersten Feldstudien positiv hinsichtlich klinischer Nützlichkeit und Reliabilität evaluiert wurde. Die Klassifikation umfasst sieben Hauptkategorien chronischer Schmerzen. Hierbei werden chronische primäre Schmerzen (z. B. chronische Migräne) von chronischen sekundären Schmerzen (z. B. im Kontext einer Nervenverletzung) abgegrenzt. Ziel der Studie war es, zu untersuchen, wie Personen mit chronischen Schmerzen die neuen Diagnosen bewerten und welche Erwartungen sie an diese haben.
Materialien und Methoden: Eine internationale internetbasierte Umfrage wurde über die Pain Alliance Europe (PAE), Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen verteilt. Erwachsene Personen mit selbstberichteten chronischen Schmerzen (d. h. Schmerzen mit einer Dauer >3 Monate) konnten an der Studie teilnehmen. Erfasst wurden demografische und schmerzbezogene Informationen (Schmerzdauer, Schmerzintensität, funktionelle und emotionale Beeinträchtigung). Im Anschluss sahen die Teilnehmenden ein kurzes Video, in dem die neuen Diagnosen vorgestellt wurden. Dies war die Grundlage für die anschließende Bewertung der Diagnosen (26 Items). Die Teilnehmenden gaben auf einer elfstufigen numerischen Ratingskala (-5 schlechter/auf keinen Fall bis +5 besser/absolut) an, welche Veränderungen sie von den neuen Diagnosen gegenüber dem gegenwärtigen Zustand u. a. hinsichtlich Diagnosepassung, Behandlungszugang und Kommunikation erwarten.
Ergebnisse: 690 Teilnehmende aus 25 Ländern (w: 90.4%, m: 9.4%, d: 0.1%) wurden in die Analyse eingeschlossen. Die Teilnehmenden waren im Durchschnitt 48.2±11.7 Jahre alt und berichteten eine mittlere Schmerzdauer von 17.2±13.5 Jahren. Insgesamt bewerteten die Teilnehmenden die neuen Diagnosen mit einem mittleren Rating von 1.75±1.47 über alle Items hinweg positiv. Vor allem bezüglich der Diagnosepassung (2.14±2.33), dem offenen Umgang mit chronischen Schmerzen (2.95±1.93) sowie dem Gesamteindruck der neuen Diagnosen (1.87±1.98) zeigten sich positive Werte. Die Einschätzungen von Teilnehmenden mit chronischen primären Schmerzen unterschieden sich nicht von denen der Teilnehmenden mit chronischen sekundären Schmerzen.
Diskussion: Die Bewertung der ICD-11 Diagnosen chronischer Schmerzen durch Betroffene gibt erste Hinweise auf die positiven Erwartungen und eine gute zu erwartende Akzeptanz durch Betroffene. Diese Akzeptanz scheint sich dabei nicht zwischen Personen zu unterscheiden, die nach der neuen Klassifikation eine Diagnose chronischer primärer oder sekundärer Schmerzen erhalten würden und zeigt, dass beide Gruppen gleichermaßen positive Erwartungen an die Einführung der Diagnosen knüpfen. Das Ziel einer verbesserten klinischen Nützlichkeit der neuen Diagnosen scheint damit aus Sicht der Betroffenen erreicht zu werden.
Hintergrund und Fragestellung
Konditionierung basiert im Prinzip auf dem Hebb'schen Gesetz, das besagt, dass unser Gehirn fortlaufend Verbindungen herstellt zwischen Reizen, die in einem gemeinsamen Kontext auftreten. Berühmt wurde der Ausdruck "fire together, wire together". Bei körperlichen und emotionalen Prozessen wie Schmerzen finden sowohl klassische wie operante Konditionierungsprozesse statt.
Heute verfügen wir in der Schmerztherapie über ein breit abgesichertes Grundlagenwissen zu schmerzverstärkenden, bzw. -lindernden Prozessen, bei welchen zumeist die operante Konditionierung eine Rolle spielt. Es liegen auch ausreichend Hinweise darauf vor, welche Stimuli gewählt in welcher Intensität zu wählen sind, um entsprechende Erfolge zu erreichen. Auch in der Behandlung von Bewegungsangst mittels graded exposure werden problematische Konditionierungsprozesse gesehen und therapeutisch erfolgreich behandelt.
Wir möchten mit unserem Fallbeispiel eine Anregung geben, wie wir Konditionierung als ein zusätzliches Element in der multimodalen Schmerztherapie nutzen können.
Materialien und Methoden
Unser Patient (76 Jahre, männlich), litt seit neun Jahren nach einer Enddarmresektion unter chronischen postoperativen Schmerzen, wobei sowohl ein Dauerschmerz, als auch mehrmals täglich auftretende kolikartige Schmerzspitzen zu beklagen waren. Diese Schmerzspitzen, welche nach 20 bis 30 min nachliessen, wollten wir therapeutisch angehen.
Unser Ziel war es, die jeweils erlebte Schmerzlinderung als unkonditionierten Stimulus (ucs) mit einem neutralen Stimulus zu assoziieren, in diesem Falle mit Lavendelduft, welchen der Patient als angenehm erlebte uns immer bei nachlassenden Schmerzen riechen sollte.
Der Patient führte das Procedere mehrmals täglich, jeweils bei nachlassenden Schmerzen durch.
So sollte eine Assoziation zwischen der Schmerzlinderung (UCS) und dem Lavendelduft (CS) hergestellt werden und dieser als konditionierter Stimulus das Nachlassen des Schmerzes bewirken bzw. fördern. Die Behandlung erstreckte sich über einen Zeitraum von zwei Wochen.
Ergebnisse
Der Patient erlebte hierbei einen erfreulichen Erfolg und berichtete über ein spürbar schnelleres Abklingen der Schmerzepisode, wenn er den Duft einsetzte. Er ging mit der Zeit dazu über, den Geruch auch dann schon zu nutzen, wenn der Schmerz am entstehen war oder sich bereits aufgebaut hatte.
Diskussion
Wir halten den erreichten Erfolg für erfreulich, zumal der Aufwand denkbar gering war und Nebenwirkungen nicht zu befürchten waren. Wir nehmen für uns aus dieser psychotherapeutischen Intervention mit, dass wir uns vielleicht häufiger an die Grundlagen der Psychologie erinnern sollten und mutiger sein sollten, diese in der Schmerztherapie auch einzusetzen.
Der Einfluss kognitiver Prozesse, insbesondere der Behandlungserwartung, auf verschiedenste Prozesse im Körper konnte in Studien nachgewiesen werden. Erwartungen modulieren den Erfolg medikamentöser Therapien z.B. in der Schmerztherapie3,6, aber auch immunologische Prozesse5. Das Konzept der Open-Label-Placebos (OLP) greift diesen Ansatz des Erwartungsaufbaues auf und könnte eine vielversprechende Möglichkeit zukünftiger Behandlungen für chronische Schmerzen sein.
Gluten-freie Ernährung tritt vermehrt als Lifestyle-Phänomen auf. Ernährungsbezogene Interventionen gewinnen an Bedeutung für die Selbstwirksamkeit im Krankheitsverhalten. Bisher gibt es keine sicheren Hinweise, dass Gluten als Auslöser für FMS-assoziierte Symptome wirkt. Einige Studien zeigen jedoch, dass FMS-Patienten auf eine glutenfreie Ernährung ansprechen und die Zytokinproduktion (auch bei FMS) durch die Umstellung reduziert werden kann2,4. Ein Erklärungsmodell ist das der Darm-Hirn-Achse, nach welchem emotionale und kognitive Prozesse das Verdauungssystem über neuronale, endokrine, immunologische and humorale Prozesse beeinflussen und umgekehrt1. Die Rolle dieser emotionalen und kognitiven Prozesse wurde bei bisherigen Studien jedoch nicht berücksichtigt.
Unsere Studie untersucht den Einfluss der Erwartungshaltung auf die Wahrnehmung von FMS-Symptomen bei Gluten-Exposition und auf die peripheren Entzündungsparameter. Dabei soll auch die Rolle der gegebenen Information auf die Erwartungshaltung der Probanden und damit auf die Wirksamkeit von OLP analysiert werden.
Methoden
Es handelt sich um eine prospektive monozentrische klinische Studie mit einer Stichprobengröße N=100 in einem 2x2 faktoriellen Design und doppelt verblindeter Randomisierung in vier Studienarme. Im Anschluss an eine zehntägige Ernährungsumstellung auf glutenfreie Lebensmittel erfolgt eine einmalige verdeckte Nahrungsmittelprovokation mit Gluten zusammen mit OLP, die je nach Gruppenzuteilung mit verschiedenen Instruktionen ausgegeben werden. Anschließend erfolgt eine dreiwöchige OLP-Therapie bei uneingeschränkter Ernährung. Wir analysieren prä- und postinterventionell schmerz- und entzündungsspezifische Serum-Parameter (insb. spezielle Interleukine und Neuropeptide) und führen psychometrische Messungen anhand von Fragebögen und des Symptomtagebuchs durch. Primärer Endpunkt ist die subjektive Bewertung der Schmerzen anhand der NRS.
Ergebnisse
Die Testphase des experimentellen Aufbaus mit N=10 Patienten:innen zeigt, dass die Studie machbar ist und klinische Veränderungen aufzeigt, so dass mit der Rekrutierungsphase begonnen wurde. Vorgestellt werden erste Ergebnisse.
Die Ergebnisse dieser Studie werden bisherige Publikationen zur Nicht-Zöliakie-Gluten-Sensitivität und Ernährungsintervention bei FMS sowie zum Einsatz von OLP im klinischen Alltag und der Rolle der Erwartungshaltung ergänzen. Somit soll die Studie letztendlich auch alternative Behandlungsmethoden in der Therapie des FM aufarbeiten.
Die paroxysmale extreme Schmerzstörung (PEPD) ist ein autosomal-dominantes Schmerzsyndrom, welches durch starke Schmerzattacken und Hautrötungen bereits im Säuglingsalter gekennzeichnet ist. Ursächlich sind „gain-of-function“ Mutationen des spannungsabhängigen Natriumkanals 1.7 (SCN9A). Bisher wurden etwa zehn dieser Mutationen beschrieben. Elektrophysiologisch zeigen die mutierten Natriumkanäle eine beeinträchtigte Inaktivierung sowie einen erhöhten persistierenden Strom. Therapeutische Möglichkeiten umfassen antiepileptische Medikamente wie Carbamazepin, oder auch Amitryptilin und Clonidin. Die Behandlung ist jedoch oft wenig zufriedenstellend. Hier zeigen wir die funktionelle Charakterisierung einer bisher unbekannten SCN9A Mutation (M1628K) einer Patientin mit diagnostizierter PEPD. Anschließend führen wir ein Screening mit über 350 zugelassenen Arzneimittel-Wirkstoffen durch, um potentielle Therapeutika zur Behandlung des überfunktionalen Phänotyps zu identifizieren.
Der mutierte 1.7er Natriumkanal M1628K wurde als Plasmid in HEK (human embryonic kidney) Zellen transfiziert und mit der Patch-Clamp Methode elektrophysiologisch charakterisiert.
Das Wirkstoff-Screening wurde auf dem SynchroPatch 384i von Nanion Technologies durchgeführt, ein automatisches Patch-Clamp System, welches 384 Zellen gleichzeitig unter standardisierten Bedingungen messen kann.
Die elektrophysiologische Charakterisierung der Mutation zeigte PEPD-typische „gain-of-function“ Veränderungen auf. Stromaufnahmen an Zellen, die mit der M1628K Mutation transfiziert wurden, zeigten eine Depolarisierung der Spannungsabhängigkeit der schnellen Inaktivierung (M1628K: V50= -81,66mV ± 0,49 n=31; WT: V50= -97,06mV ± 0,76 n=35) bei unveränderter Spannungsabhängigkeit der Aktivierung (M1628K: V50= -33,34mV± 0,62 n=20; WT: V50= -33,43mV ± 0,57 n=21) auf. Im Substanz-Screening stellte sich für mehrere in der Klinik zugelassene Substanzen ein bisher nicht bekannter Effekt auf den spannungsgesteuerten Natriumkanal 1.7 heraus. Zusätzlich war eine qualitativ abweichende Blockade mutierter Kanäle zu erkennen. Diese Pharmaka waren u. A. die Substanzen Memantin, Diltiazem und Aripiprazol.
Die neue PEPD Mutation M1628K zeigt ähnlich der vorher beschriebenen Mutationen eine erschwerte Inaktivierung. Mit dem automatischen Patch-Clamp-System konnten zugelassene Wirkstoffe identifiziert werden, die speziell diese Mutation modulieren und so eventuell in der Zukunft für ein Repurposing in Frage kommen. Dies muss in Folgeexperimenten genauer untersucht werden.
HINTERGRUND:Die Verwendung von Ziconotid in der intrathekalen Analgesie (ITA) wird manchmal durch dosisabhängige Nebenwirkungen eingeschränkt. Wir präsentieren unsere Erfahrung mit der Kombination von Ziconotid und Sufentanil als intrathekale Polytherapie bei einem Patienten mit chronischen Rückenschmerzen.
MATERIALIEN & METHODEN:Mann, 53 Jahre alt mit chronischen brennenden, stechenden und drückenden Schmerzen (Kombination aus neuropathischen und nozizeptiven Schmerzen) im lumbosakralen Bereich. Vor dreiundzwanzig Jahren wurde bei zunehmenden Rückenschmerzen aufgrund einer Retrolisthesis eine Spondylodese (L5-S1) durchgeführt, welche keine Schmerzlinderung brachte (auf der visuellen Analogskala, VAS: 8/10). Konservative Therapieversuche mit Akupunktur, Physiotherapie und medikamentöse Therapie (Duloxetin, Gabapentin, Ibuprofen, Flupirtin und Hydromorphon) ergaben keine ausreichende Schmerzlinderung, sodass die Indikation zur ITA gestellt wurde. Der intrathekale Katheter wurde am 05.10.2007 implantiert und während der stationären Testung (maximum Tagesdosis von 6mg MSI über eine externe Medikamentenpumpe) berichtete der Patient über eine deutliche Schmerzlinderung von etwa 50% (VAS 4/10). Eine gasdruckbetriebene Medikamentenpumpe (Archimedes, 50ml, 1,5ml Flow) wurde am 15.10.2007 links abdominell implantiert und nur mit MSI aufgefüllt.
ERGEBNISSE:Bis zum nächsten Jahr (2008) musste die Morphindosis bis zum 35mg/Tag erhöht werden (VAS 710). Die MSI-Dosis wurde auf 27mg/Tag reduziert und Clonidin (65µg/Tag) wurde hinzugefügt. Im Februar 2009 wurde die MSI-Dosis wurde weiter auf 23mg/Tag reduziert und die Clonidin-Dosis auf 80µg/Tag erhöht. Die Schmerzen betrugen 7/10. Nach weiteren Reduktionen der MSI- und Clonidin-Dosis und einer Ausschleichung auf null, wurde die Pumpe im Juli 2009 mit Ziconotid befüllt (2,4µg/Tag, altes Titrationsschema) und langsam bis 7,2µg/Tag erhöht ohne eine wesentliche Schmerzlinderung (VAS: 7/10). Im April 2010 wurde die Ziconotid-Dosis auf 6µg/Tag reduziert und Sufentanil (3,75µg/Tag) als zweites Medikament hinzugefügt. Über die nächsten 9 Jahre wurde die Sufentanil-Dosis erhöht (bis 39µg/Tag) und die Ziconotid-Dosis auf 4,7µg/Tag reduziert. Seit Juli 2019 ist die Dosis beider Medikamente stabil geblieben und aktuell liegen die Schmerzen bei 5/10.
DISKUSSION: Wir präsentieren unsere Erfahrung mit niedriger und langsamer Ziconotid und Sufentanil-ITA als Polytherapie, die keine Nebenwirkungen aufwies. Der Patient hat eine Schmerzlinderung von 38% erreicht und sei zufrieden. Obwohl MSI und Ziconotid als Erstlinienmonotherapie angesehen werden, sollte man bei schweren persistierenden Schmerzen auch andere Medikamente berücksichtigen. Die Pumpe sollte alle 4-8 Wochen aufgefüllt werden.
SCHLUSSFOLGERUNG:Die Kombination von Ziconotid und Sufentanil kann die chronischen Rückenschmerzen effektiv behandeln, wenn andere Medikamente entweder keine ausreichende Schmerzlinderung anbieten können oder Nebenwirkungen manifestiert werden.
Hintergrund: Das Chronische Fatigue Syndrom (Myalgische Enzephalomyelitis, ME/CFS) ist eine komplexe, unzureichend verstandene, chronische Erkrankung. Im Kindes- und Jugendalter geht ME/CFS zumeist eine akute Infektion, typischerweise mit EBV voran. In Folge einer SARS CoV2-Infektion werden aktuell ähnliche Symptome beobachtet.
Neben den Leitsymptomen krankhafte Erschöpfung (Fatigue) und mind. 14 Stunden persistierende Zustandsverschlechterung nach physischer und psychischer Belastung (post-exertionelle Malaise, PEM) leiden Betroffene meist unter multilokulären bis generalisierten Schmerzen, die bisher in Studien kaum differenziert untersucht wurden. Möglicherweise könnte dies u.a. über eine Messung der Druckschmerzschwellen gelingen.
Methodik: Die Studie „GaPaMUC CFS“ evaluiert als explorative Kohortenstudie klinische Routinedaten eines stationären Therapieprogramms. Studienziel ist die umfassende Charakterisierung der Kohorte im Verlauf. Seit 2019 werden für das Kooperationsprojekt Kleingruppen am MRI Chronisches Fatigue Zentrum (MCFC) sorgfältig vordiagnostiziert und für einen vier- bis fünfwöchigen Aufenthalt im Zentrum für Schmerztherapie junger Menschen in Garmisch-Partenkirchen rekrutiert. Das eigens entwickelte interdisziplinäre Therapiekonzept macht sich die Expertise beider Teams zunutze und wird in enger Zusammenarbeit weiterentwickelt.
Zu Projektbeginn gab es kein adäquat an die Bedürfnisse der Betroffenen adaptiertes, stationäres Konzept in Deutschland.
Zur Evaluation der Schmerzsymptomatik wurde im Rahmen des Projekts u.a. ein Protokoll für eine wiederholte Messung der Druckschmerzschwellen entwickelt. Wöchentlich wurde per manuellem Algometer die druckabhängige Schmerzschwelle erhoben und beim ersten und letzten Reiz einer zehnmaligen Wind up Messung die NRS zur Erfassung der Schmerzstärke erfragt.
Ergebnisse: Bei der Pilotkohorte (n=22; Geschlecht: m=2, w=20; mittleres Alter=19) konnten im Vergleich zu Literaturangaben gesunder Proband_innen niedrige Schmerzschwellen, sowie eine mittlere Zunahme der Schmerzschwelle im Verlauf an Trapezius, Mittelphalanx des Mittelfingers und Tractus iliotibialis festgestellt werden. Zu allen Messzeitpunkten wurde im Wind up eine leichte mittlere Zunahme (durchschnittlich 1,1 ±1,5) der Schmerzstärke beobachtet. Inwiefern die Messung der Druckschmerzschwelle im Rahmen einer ME/CFS Behandlung einen klinischen Mehrwert bedeutet, ist aktuell noch in Evaluation.
Schlussfolgerung:
Bei der beschriebenen Kohorte müssen die Ergebnisse der Schmerzschwellenmessung als einer von vielen Parametern im Gesamtkontext betrachtet werden, die Ergebnisse variieren nach Individuum und Zielgröße. Die Messung selbst könnte sich für eine Verlaufskontrolle eignen. Die teils stark ausgeprägte, krankheitstypische Belastungsintoleranz und pandemieadaptierten Rahmenbedingungen des Projekts stellen Herausforderungen für Therapierbarkeit und Datenerhebung dar.
Hintergrund:
Inwieweit die Behandlung in einer interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie (IMST) erfolgreich sein wird, lässt sich im Vorfeld nur schwer einschätzen, da geeignete Prädiktoren für den Behandlungserfolg nur eingeschränkt vorliegen oder bisher unzureichend untersucht wurden. Deren Identifikation könnte helfen, die Therapie individuell anzupassen und Patienten, bei denen die Therapie nicht zum gewünschten Erfolg führt, besser einordnen und ggf. einer spezifischen Weiterbehandlung (z. B. psychosomatisch oder rehabilitativ) zuführen zu können (1,2). Hier werden diese Prädiktoren in einer stationären, zweiwöchigen IMST untersucht.
Methoden:
Es wurden hierzu 250 Patienten untersucht. Die Bedingungen für eine Regressionsanalyse waren erfüllt. Es wurden der nicht-standardisierte Regressionskoeffizient, der p-Wert, der T-Wert, Standard-Fehler und die Varianzaufklärung (korrigiertes R-Quadrat) berechnet. Bekannte Variablen des Deutschen Schmerzfragebogens sowie das Merkmal Alexithymie (TAS-20) wurden als unabhängige Variablen (Prädiktoren) zu Beginn der IMST definiert. Als abhängige Variable wurde der Behandlungserfolg herangezogen und durch die Outcome-Variablen Schmerzintensität, schmerzbedingte Beeinträchtigung und Psychotherapiemotivation am Ende der stationären Behandlung (kurzfristig) sowie sechs Monate danach (mittelfristig) repräsentiert.
Ergebnisse:
Schmerzintensität:
Als Prädiktoren hierfür konnten Alltagsbeeinträchtigung und Stress ermittelt werden. Der Einfluss von Stress auf die Schmerzintensität hat im poststationären Verlauf etwas zugenommen. R-Quadrat kurzfristig 14,2% und mittelfristig 20,9%.
Schmerzbedingte Beeinträchtigung:
Starke Prädiktoren für die schmerzbedingte Beeinträchtigung waren Arbeitsbeeinträchtigung und aktuelle Schmerzstärke. VR-12 MCS zeigte sich in diesem Modell als negativer, schwacher Prädiktor. R-Quadrat kurzfristig 52,0% und mittelfristig 34,3%.
Psychotherapiemotivation:
Für die Outcome-Variable Psychotherapiemotivation konnte für den kurz- und mittelfristigen Verlauf Angst als positiver Prädiktor errechnet werden. Die aktuelle Schmerzstärke, VR-12 MCS und Alexithymie zeigten sich als negative Prädiktoren. R-Quadrat kurzfristig 28,2% und mittelfristig 19,3%.
Schlussfolgerung:
Die Prädiktorenforschung hat in der Schmerztherapie einen hohen Stellenwert bekommen. Es ist im Sinne des Behandlungserfolgs von Interesse, welche Ausgangsfaktoren das Outcome einer IMST beeinflussen – beispielsweise liegt die Alexithymie als negativer Prädiktor immerhin bei mehr als jedem fünften Patienten vor (eigene Daten, als Abstract eingereicht). Die im schmerztherapeutischen Alltag verwendeten Parameter des Deutschen Schmerzfragebogens können dabei behilflich sein. Hierüber lässt sich der Therapieerfolg zum Teil im Voraus abschätzen. Die Therapie kann individuell angepasst werden und Patienten mit ausbleibendem Therapieerfolg können besser eingeordnet und einer spezifischen Weiterbehandlung zugeführt werden.
Hintergrund:
Alexithymie kann in etwa mit „Gefühlsblindheit“ übersetzt werden. Ihre Prävalenz liegt bei ca. 9-13% in der Allgemeinbevölkerung. Sie geht mit Einschränkung im Erkennen und Ausdrücken von Gefühlen sowie mit einem mechanistischen, faktenorientierten Denkstil einher. Betroffene haben Schwierigkeiten, eigene Gefühle und die ihrer Mitmenschen zu identifizieren, zu verbalisieren und somit zu bewerten. Alexithymie zu erkennen und in den Behandlungskontext einzuordnen, kann in der Behandlung hilfreich sein (1). Die vorliegende Studie untersucht Alexithymie in einer interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie (IMST).
Methoden:
Die Alexithymie wurde mit der Toronto Alexithymia-Scale (TAS-20) zu Beginn, im Verlauf und nach einer IMST erfasst. 250 Datensätze waren vollständig, 120 Datensätze unvollständig (Vorhandensein aller erfragten Messzeitpunkte). Die vollständigen Datensätze bildeten die Hauptgruppe, die unvollständigen Datensätze die Drop-Out-Gruppe.
Beide Datensätze wurden deskriptiv- und inferentiell-statistisch analysiert, um den Alexithymie-Anteil innerhalb bestimmter Diagnosegruppen und in der Drop-Out-Gruppe zu bestimmen sowie soziodemographische Unterschiede aufzuzeigen. Mittels Varianzanalyse wurde das Merkmal Alexithymie auf Veränderungen im Messzeitraum untersucht.
Ergebnisse:
Der Alexithymie-Anteil der Gesamtstichprobe lag bei 22,8%. Die häufigste somatische Diagnose war Wirbelsäulenerkrankungen (53,2%) mit einem Alexithymie-Anteil von 26,3%, gefolgt von Erkrankungen des Weichteilgewebes (16,4%) mit einem Alexithymie-Anteil von 21,9%. Die häufigste psychische Diagnose war die chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (52,4%) mit einem Alexithymie-Anteil von 27,5%, gefolgt von depressiven Störungen (16,8%) mit einem Alexithymie-Anteil von 26,2%.
In der soziodemographischen Untersuchung wurden der nicht-alexithyme und der alexithyme Anteil der Stichprobe analysiert. Alexithyme Patienten hatten signifikant häufiger einen Rentenantrag gestellt und befanden sich signifikant häufiger im Schmerzschweregrad 4 nach von Korff. Das Merkmal Alexithymie zeigte in der Varianzanalyse keine signifikanten Änderungen im Messzeitraum und blieb damit stabil. In der Drop-Out-Gruppe zeigte sich kein signifikanter Unterschied des Alexithymie-Anteils im Vergleich zur Hauptgruppe. Es fanden sich zudem keine Hinweise dafür, dass Alexithymie zu einem Therapieabbruch einer IMST führt.
Schlussfolgerung:
Der Alexityhmie-Anteil ist in einer schmerztherapeutischen Stichprobe im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung deutlich erhöht. Mehr als jeder fünfte Schmerzpatient ist hiervon betroffen. Das Merkmal Alexithymie ist mit einem höheren Rentenbegehren sowie einer schwereren Schmerzbelastung assoziiert. Da sie sich zudem als negativer Prädiktor für den Behandlungserfolg gezeigt hat (eigene Daten, als Abstract eingereicht), scheint ein Screening auf Alexithymie sinnvoll, um hierüber die Therapie entsprechend anpassen zu können.
HINTERGRUND UND FRAGESTELLUNG
Chronische muskoloskelettale Schmerzen (CMSP) betreffen mehr als 20% der Weltbevölkerung und sind damit die häufigsten Schmerzerkrankungen unter Erwachsenen. Außerdem ist diese Art von Schmerzen häufig resistent gegenüber konservativen Behandlungsmethoden, sodass die Beschwerden oft nach Behandlung der physischen Schmerzquelle weiterbestehen.
Da die CMSP zugrundeliegenden Mechanismen von Fall zu Fall stark variieren, sind speziell auf den Patienten zugeschnittene Therapieansätze gefragt. Der Erfolg dieser hängt stark von der korrekten Zuweisung von Patient*innen auf Interventionen ab. Die Zuweisung erfolgt in der alltäglichen klinischen Praxis häufig durch die klinischen Einschätzungen der jeweiligen Behandler*innen. Neuere Studien versuchen hingegen standardisierte Zuordnungsalgorithmen zu entwickeln. Die Übereinstimmung subjektiver und algorithmischer Ansätze ist bisher noch nicht ausreichend untersucht worden.
MATERIALIEN UND METHODEN
In dieser Studie wurde deshalb ein auf dem Multidimensionalen Schmerzfragebogen basierender Zuweisungsalgorithmus mit einer subjektiven Methode der Therapiezuweisung verglichen. Hierfür wurde ein bestehender Datensatz mit 198 unter chronischem Wirbelsäulensyndrom leidenden Patienten untersucht. Die Übereinstimmung der Zuweisungsmethoden wurde mittels Cohen´s Kappa untersucht. Verglichen werden soll zudem, ob sich die Abbruchraten und Schmerzbeeinträchtigung direkt, sechs und zwölf Monate nach der zugewiesenen Therapie bei korrekt zugewiesenen Patienten je nach Zuweisungstechnik unterscheidet.
ERGEBNISSE
Die vom Algorithmus vorgenommene Einteilung der Patienten unterschied sich leicht von derer, die auf subjektiver Einschätzung der Patienten beruhte κ = -.160 (95% KI, -.254 bis -.066 ), p < .001. Analysen zur Vorhersage der Schmerzbeeinträchtigung und Abbruchraten durch die Zuweisung der jeweiligen Zuweisungstechniken laufen derzeit.
DISKUSSION
Die Zuordnung von Patienten mittels Fragebogenbasiertem Zuweisungsalgorithmus erwies sich im Vergleich zur klassischen Diagnostik als vergleichbares Mittel zur Einteilung von Patienten auf angepasste Interventionen. Diese Methode könnte daher zu Zeitersparnis in der klinischen Praxis führen und zu mehr Unabhängigkeit von der klinischen Erfahrung der Behandler*innen. Zukünftige Studien sollten die Effizienz dieser Methode an einer neuen Stichprobe validieren und diese gegebenenfalls per maschinellem Lernen weiter verfeinern.