Nach welchen Maßstäben sind Personen mit einer psychischen Störung und einer komorbiden Abhängigkeitserkrankung im Freiheitsentzug zu behandeln? Die Prävalenz von psychischen Störungen und Abhängigkeitserkrankungen ist bei inhaftierten Personen um ein Vielfaches höher als in der Freiheit. Während der Phase des Freiheitsentzugs übernimmt das Justizvollzugssystem die umfassende Verantwortung für das Wohlergehen von inhaftierten Personen und hat eine adäquate Gesundheitsfürsorge zu gewährleisten. Dabei gilt das verfassungs- und völkerrechtlich fundierte Äquivalenzprinzip. Gemäß diesem fundamentalen Grundsatz muss die Gesundheitsversorgung innerhalb des Freiheitsentzuges gleichwertig mit derjenigen in Freiheit sein. Im vorliegenden Beitrag werden Behandlungsstrategien für suchtkranke Gefängnisinsassen und solche, die unter komorbiden psychischen Störungen leiden, vorgestellt. Dies bedeutet, dass die inhaftierten Personen Zugang zu gleichwertigen präventiven, diagnostischen, therapeutischen und pflegerischen Maßnahmen und Einrichtungen wie bei einer Behandlung in der Freiheit haben müssen. Doch wie ist das Ziel einer gleichwertigen Gesundheitsfürsorge bei Personen mit einer Abhängigkeitserkrankung und komorbiden psychischen Störungen im Freiheitsentzug zu realisieren? Gelten identische Regeln wie in der Freiheit oder erfordern die Besonderheiten des Haftkontexts unterschiedliche Herangehensweisen? Interventionen sind in ein multimodales Behandlungskonzept aus internistischen, psychotherapeutischen und sozialarbeiterischen Angeboten einzubetten. Ziel des Symposiums ist es, entsprechende Grundlagen zu diskutieren und Behandlungsstrategien vorzustellen.
15:30 Uhr
Entziehungsanstalten im Übermaß? Strafe – Sucht – Therapie: Reform des § 64 StGB
N. Konrad (Berlin, DE)
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N. Konrad (Berlin, DE)
Unter diesem Titel fand vom 7.-8.5.2022 ein Symposium in Maria Laach statt, das die zahlreichen in den letzten Jahren publizierten Reformvorstellungen diskutierte. Diese bewegen sich im Spannungsfeld Beibehaltung/Modernisierung auf der einen Seite versus Abschaffung des § 64 StGB bzw. Ersetzung auf der anderen Seite. Unzweifelhaft erscheint im Rahmen der in Betracht genommenen Selektionswege lediglich, dass suchtkranke Rechtsbrecher nicht einfach weggesperrt werden sollen. Vielmehr sollte der bestmögliche Weg zur bestmöglichen Therapie gefunden werden, denn die beste Sicherung ist die sichere Besserung.
Seit Mitte Juli liegt nun ein Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz ("Entwurf eines Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts - Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt") vor, der sich an dem am 13.1.2022 publizierten "Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Prüfung des Novellierungsbedarfs im Recht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 des Strafgesetzbuches (StGB)" anlehnt. Der Vortrag wird diesen Entwurf, soweit er bis zum DGPPN-Kongress Gesetz geworden ist, vorstellen und diskutieren.
16:14 Uhr
Psychotrope Substanzen im Sanktionenvollzug
F. Höfer (Zürich, CH)
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F. Höfer (Zürich, CH)
Reformdebatten seit Dekaden – hat der Sanktionenvollzug in sog. Entziehungsanstalten ausgedient? Dann braucht es aber quantitative und qualitative Alternativen. Was hat die Schweiz im Angebot? Sicherlich weder den Königsweg, aber auch keine Sackgasse, sondern ein ambulantes Angebot für ambulante forensische Suchtbehandlungen.
Das Sanktionensystem der Schweiz unterscheidet sich insofern vom deutschen, als dass es neben der Massnahme für junge Erwachsene (Art. 61 CH-StGB) neben stationären (Art. 60 CH-StGB) auch ambulante Massnahmen für Personen mit psychischer Störung oder Abhängigkeitserkrankung gibt (Art. 63 CH-StGB). Aufgrund stationärer Versorgungslücken für schwerstabhängige Systemsprenger landen diese oftmals mangels Alternative in ideologisch ausgerichteten Einrichtungen der Suchthilfe. Diese sind häufig zu abstinenzorientiert oder sehr religiös. Die stationäre Suchtbehandlung gerät somit zunehmend ins Aus. Unterdessen ist die zunehmende Spezialisierung in der Psychiatrieentwicklung Fluch und Segen zugleich. So geht Expertise in Schuldfähigkeitsbeurteilung und risikoorientierter Behandlung mit dem Ziel der legalprognostischen Besserung psychisch kranker Straftäter*innen nicht zwingend mit ausdifferenzierten Kenntnissen aller psychiatrischer Entitäten – und vor allem nicht der Abhängigkeitserkrankungen - einher.
Aus diesen beiden Dynamiken heraus hat die Klinik für Forensische Psychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich mit einem Behandlungskonzept für ambulante Suchtmassnahmen ein Angebot geschaffen, dass suchtkranke Rechtsbrecher*innen an einer Schnittstelle zwischen Suchtambulanz und Forensischer Psychiatrie behandelt.
16:36 Uhr
Behandlung komorbider Schizophrenie- und Suchterkrankungen von Haftpatienten außerhalb des forensischen Settings
M. Kirschner (Genf, CH)
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M. Kirschner (Genf, CH)
Komorbide Suchterkrankungen sind bei PatientInnen mit Schizophrenien häufig und wirken sich negativ auf den Behandlungsprozess und die Langzeitprognose aus. Komorbide Substanzstörungen sind zudem mit einer deutlich höheren Rate von Straftaten bei PatientInnen mit Schizophrenien assoziiert. Die Kombination aus schwerer psychischer Erkrankung, Substanzstörung, und erhöhter Kriminalität führt zu hoher Belastung bei den Betroffenen und ihren Angehörigen und stellt BehandlerInnen, Behörden und Gesellschaft vor eine grosse Herausforderung. In diesem Vortrag möchte ich einen Überblick über die epidemiologischen und klinischen Zusammenhänge der Trias aus Schizophrenie – Sucht – Kriminalität geben und anhand von klinischen Beispielen die Herausforderungen für Behandlungsteams, die Probleme im Behandlungsprozess aber auch Möglichkeiten auf Behandlungserfolge skizzieren. Die Fallbeispiele beziehen sich auf die Behandlung von PatientInnen mit krimineller Vorgeschichte im Allgemeinen sowie verurteile forensische HaftpatientInnen, die im allgemeinpsychiatrischen Kontext behandelt wurden. Es werden Behandlungsstrategien beschrieben, die eine partizipative und gezielte Behandlung der dominierenden psychotischen Symptomatik, des schädlichen Substanzkonsums sowie der Erfassung und Prävention von Gewalt und Kriminalität berücksichtigt. Darüber hinaus wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit von ärztlichen, pflegerischen und sozialarbeiterischen Behandlungsteams mit Experten der forensischen Psychiatrie und externen juristischen und polizeilichen Einrichtungen beleuchtet. Zusammenfassend hat der Vortrag zum Ziel einen Beitrag zur Diskussion und Wissenstransfer für den klinischen Alltag sowie die interdisziplinäre Forschung zwischen Allgemeinpsychiatrie und Forensik zu leisten.