Mit der Verlängerung von Modellprojekten nach § 64b SGB V im vergangenen Jahr ist in einigen
Regionen der Zeitraum einer Versorgungsentwicklung von deutlich über 10 Jahren erreicht.
Inzwischen gab es in einigen Projekten Chefarztwechsel und einige Protagonisten der
Kostenträger denken laut über eine Überleitung der Modellfinanzierung in die Regelversorgung
nach. Weiterhin fehlen Modellprojekte, die die Kinder- und Jugendpsychiatrie einbeziehen wie
auch solche, die nicht vom Krankenhaus aus initiiert werden. Gleichermaßen ist die Frage zu
stellen, ob wesentliche Ziele des §64b SGB V für die Krankenhausversorgung erreicht wurden und
es nun an der Zeit wäre, nennenswerte Veränderungen in den gesetzlichen
Rahmenbedingungen voranzutreiben, um die gesammelten Erkenntnisse in die psychiatrisch-
psychotherapeutische Versorgungslandschaft einfließen zu lassen. Im Symposium soll diese
Diskussion anhand zweier sehr unterschiedlicher Beispiele, einer kondensierten Darstellung der
vorliegenden wissenschaftlichen Evidenz sowie der Sichtweise eines Kostenträgers geführt
werden.
15:30 Uhr
Modellprojekte nach § 64b SGB V: Evidenz im Schnelldurchlauf
A. Neumann (Dresden, DE)
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Autor:innen:
A. Neumann (Dresden, DE)
S. von Peter (Neuruppin, DE)
Hintergrund: Seit ca. 20 Jahren werden deutschlandweit Modellvorhaben zur sektorenübergreifenden Versorgung (Regionales Psychiatriebudget und ab 2012 § 64b SGB V) umgesetzt. Zu deren Effektivität gibt es eine Reihe an Studien. In diesem Beitrag soll in Kürze der aktuelle wissenschaftliche Stand dargelegt werden.
Methoden: Es wird zunächst ein Überblick über die Studien dargelegt und die Kernergebnisse bisheriger Erkenntnisse zusammengefasst. Zudem werden Kernergebnisse aus den Studien EvaMod64b (2016-2018), EVA64 (2015-2025) sowie PsychCare (2017-2021) im Schnelldurchlauf vorgestellt. Innerhalb von EvaMod64b wurde eine systematische Evaluation des Implementierungsstands innerhalb von 13 Fachabteilungen mit Modellcharakter durchgeführt. EVA64 ist die bundesweit einheitliche wissenschaftliche Evaluation von 18 Modellvorhaben, eine sekundärdatenbasierte, kontrollierte Kohortenstudie mit Daten von über 70 gesetzlichen Krankenkassen. Aus PsychCare, eine kontrollierte, prospektive, multizentrische Kohortenstudie, werden Kernergebnisse aus Modul A (Fragebogenerhebung zu zwei Messzeitpunkten) sowie Modul B (qualitative Prozessevaluation) vorgestellt.
Ergebnisse: Bisherige Untersuchungen zeigen eine Verringerung vollstationärer Behandlungstage und Erhöhung teilstationärer sowie ambulanter Behandlungsformen infolge der Einführung eines Modellvorhabens. Versorgungskosten der Modellvorhaben sind mit denen der Regelversorgung vergleichbar. Es fand aber eine Kostenverlagerung statt. Die Versorgung in Modellvorhaben zeigt eine höhere Behandlungskontinuität, Flexibilität und Ambulantisierung mit mehr regionalen und niederschwelligen Angeboten. Außerdem zeigen Ergebnisse, dass das Funktionsniveau, die Behandlungszufriedenheit, die Lebensqualität und das Recovery in Modellvorhaben größer als in der Regelversorgung war, während Symptomlast, Krankheitsschwere, Suizidalität und Unterbringungen sanken.
Diskussion: Die Studienlage zeigt eine Diversität an Studien, Ansätzen und Modellierungen mit einer breiten Evidenz. Es stellt sich die Frage, ob und wann Angebote der Modellversorgung in die Regelversorgung überführt werden. Außerdem ist eine Weiterentwicklung der derzeitigen Modellvorhaben in Richtung einer umfassenderen sektorenübergreifenden Versorgung notwendig.
15:52 Uhr
Itzehoe, das Fossil
J. Reimer (Itzehoe, DE)
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Autor:innen:
J. Reimer (Itzehoe, DE)
D. Naumann (Itzehoe, DE)
R. Michels (Itzehoe, DE)
A. Deister (Itzehoe, DE)
Der Vertrag zwischen dem Klinikum Itzehoe und allen in Schleswig-Holstein vertretenen Kostenträgern zur Umsetzung der Finanzierung der Krankenhausbehandlung für psychisch erkrankte Menschen im Kreis Steinburg in Form eines regionalen Psychiatriebudgets (RPB) trat am 01.01.2003 in Kraft. Geschlossen wurde dieser Vertrag auf Basis des § 26 der Bundespflegesatzverordnung. Dieser Vertrag wurde mehrfach verlängert und im Jahr 2013 weitgehend unverändert in einen Vertrag entsprechend eines Modellprojektes nach §64b SGB V umgewandelt. Auch dieser Vertrag wurde kürzlich verlängert und läuft nun bis Ende 2027. Die Zahl der pro Kalenderjahr behandelten Menschen blieb seit 2003 innerhalb eine Korridors von ± 6% stabil, die Behandlung verlagerte sich in den teilstationären und ambulanten Bereich. Bezüglich der Diagnosengruppen ergaben sich Zuwächse in den Bereichen F6, F3, F4 und F2, im Bereich F1 reduzierten sich die Behandlungen. Die Budgetsteigerungen waren deutlich geringer als in vergleichbaren Bereichen (psychiatrische Fachkliniken, Allgemeinkrankenhäuser, deutschlandweite Gesundheitsausgaben). Seine bauliche Entsprechung fand das RPB mit der Eröffnung des Neubaus des Zentrums für Psychosoziale Medizin im Februar 2019. Mit diesem Gebäude wurde die bauliche Basis für eine settingübergreifende Behandlung in Beziehungskontinuität entlang einzelner Krankheitsentitäten gelegt. Das Stationsprinzip wurde zugunsten einer funktionalen Gliederung nach Alltagsaktivitäten (Schlafen, Wohnen, Begegnung) sowie therapeutischen Aktivitäten verlassen. Im Jahr 2022 wurde die Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) in das Regionale Psychiatriebudget aufgenommen. In unmittelbarer räumlicher Nähe entsteht nun eine Neubau für die KJP. Im Zusammenhang mit dem Finanzierungsmodell und den baulichen Gegebenheiten ergeben sich Möglichkeiten zur einer altersgruppenübergreifenden, integrierten und bedarfsgerechten Behandlung für psychisch erkrankte Menschen im Kreis Steinburg.
16:14 Uhr
Modellprojekt Pfalzklinikum – Möglichkeiten und Herausforderungen eines großen Komplexanbieters
A. Fernandez (Rockenhausen, DE)
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Autor:in:
A. Fernandez (Rockenhausen, DE)
Erste Bilanz nach 2 Jahren Erfahrung in Deutschlands größtes Modellprojekt:
Das Pfalzklinikum mit seinen 5 Kliniken an 10 Standorten hat die Pflichtversorgung für sowohl städtische als auch ländliche Regionen.
Als Komplexanbieter bestand bereits vor dem Modellprojekt eine langjährige Erfahrung mit integrierten Versorgungsmodellen, Aufbau eines MVZ mit Satelliten und Angebote außerhalb der SGB V Leistung. Insofern konnten bereits vor dem Modellprojekt Angebote kombiniert werden. Im Vortrag wollen wir unsere Motivation, und unsere Ziele beleuchten. Ziele die je nach Perspektive (aus Sicht der Patienten, Angehörigen, Mitarbeiter, Kostenträgern und gesellschaftlichen Interessensgruppen) sehr unterschiedlich sein können.
Obgleich alle Kliniken, Teil des Pfalzklinikums sind, waren die Voraussetzungen nicht gleich. Aus dieser Ungleichheit heraus, resultierten heterogene Wege und Ergebnisse.
Wir freuen uns Ihnen sowohl das bisher Erreichte zu präsentieren als auch über die bisherigen und bevorstehenden Herausforderungen zu sprechen.
16:36 Uhr
Weiterentwicklungsideen zwischen Kostenträgern und Politik
B. Steffens (Düsseldorf, DE)
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Autor:in:
B. Steffens (Düsseldorf, DE)
Eine Herausforderung bei der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen ist die Überwindung der historisch gewachsenen Sektorentrennung, die einer abgestimmten und kontinuierlichen Behandlung sowie einheitlichen Behandlungssettings entgegen stehen. Die einzelnen Player folgen den innerhalb ihres jeweiligen Behandlungssektors etablierten Behandlungswegen. Krankenhäuser, die per Gesetz verpflichtet sind, wirtschaftlich zu handeln, haben nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, Patientinnen und Patienten, ohne finanzielle Verluste, sektorenübergreifend zu behandeln. Das derzeitige System setzt ökonomische Anreize in die Richtung, eigenen stationäre Kapazitäten zunächst optimal auszulasten. Eine Koordination mit Akteuren, die außerhalb der Grenzen des Krankenhauses tätig sind, wird im Rahmen der Regelversorgung finanziell nicht bzw. nicht adäquat abgebildet. Ziel muss es sein, die ökonomischen Rahmenbedingungen zu ändern, dass die Entscheidung, Patientinnen und Patienten ambulant, stationär oder teilstationär zu behandeln, nicht auf Basis wirtschaftlicher Erwägungen getroffen wird, sondern entsprechend des tatsächlichen, individuellen Bedarfs. Die Behandlung psychisch kranker Menschen ist auch durch eine oftmals besonders lange Betreuungsdauer, wiederholte Kontakte und eine hohen Zahl einzubeziehender Akteure gekennzeichnet. Daher sind unterschiedliche Konzepte und Finanzierungsoptionen zur Verbesserung der sektorenübergreifenden Versorgung zu entwickeln. Das solche Anreizmechanismen Wirkung entfalten können, zeigen die Ergebnisse aus den bundesweiten Modellvorhaben. Durch die Vereinbarung unterschiedlicher Versorgungsmodule konnte der Beweis erbracht werden, dass Patientinnen und Patienten deutlich mehr ambulante Leistungsangebote in Anspruch nehmen. Der Kern des Modellvorhabens ist die Einführung und Erprobung innovativer, sogenannter „stationsungebundener Leistungen“, die eine größere Sektor Durchlässigkeit in der Behandlung ermöglichen.