17:15 Uhr
„Nullitas matrimonii“ – die gutachterliche Sachverständigentätigkeit in Ehenichtigkeitsverfahren der katholischen Kirche
C. Neumann (Neuss, DE)
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Autor:innen:
C. Neumann (Neuss, DE)
U. Sprick (DE)
M. Köhne (Neuss, DE)
„Ubi societas, ibi ius“ – Überall, wo es eine Gesellschaft gibt, gibt es Recht. Dies gilt auch für die katholische Kirche, die zum Zweck der Verwirklichung der Gerechtigkeit ein eigenes Gesetzbuch, den Codex Iuris Canonici, erlassen hat. In ihm sind in 1752 sogenannten Canones (vom lat. „Richtmaß“) die Grundsätze des katholischen Kirchenrechts verankert. Teil dieses Kirchenrechts ist der Heiligungsdienst, der die Spendung der Sakramente, u. a. auch des Ehesakraments, regelt.
Während im staatlichen Recht eine Ehe jederzeit wieder geschieden werden kann, hält die katholische Kirche gemäß dem Bibelwort „Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ an der Unauflöslichkeit des Ehebandes fest. Die Gültigkeit einer kirchlich geschlossenen Ehe, die als ganzheitlicher Bund zwischen einem Mann und einer Frau durch den Austausch zweier Ehewillenserklärungen begründet wird, steht – neben der Anforderung des Vorhandenseins aller weiteren Wesenselemente und -eigenschaften einer christlichen Ehe wie besagter Unauflöslichkeit, Treue, Offenheit für Nachkommenschaft u.ä. – jedoch stets auch unter dem Vorbehalt der geistigen und psychischen Zurechenbarkeit dieser Erklärungen. In kirchlichen Eheprozessen, die nach einer Trennung der Ehegatten zur Klärung der Gültigkeit oder eben Nichtigkeit der geschlossenen Ehe angestrengt werden, um gegebenenfalls mit dem Segen der Kirche eine neue Verbindung eingehen zu können, muss darum anhand von Parteien- und Zeugenaussagen die psychische Eheschließungs- und/oder -führungsfähigkeit der Ehepartner beurteilt und sachverständig begutachtet werden.
Der Ablauf von Ehenichtigkeitsverfahren innerhalb der katholischen Kirche und die Gutachtertätigkeit innerhalb dieser Verfahren sollen anhand von Fallbeispielen näher erläutert werden.
17:27 Uhr
Aolept und die Dauermedikation von Kindern und Jugendlichen in den 60er und 70er Jahren in der BRD
L. Goncalves Brodte (Berlin, DE)
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Autor:in:
L. Goncalves Brodte (Berlin, DE)
Periciazin ist ein Neuroleptikum, welches unter dem Namen Aolept 1965 von BAYER auf den deutschen Markt eingeführt wurde. Untersucht wurde die Erprobung, Vermarktung und Anwendung von Aolept bezogen auf Kinder und Jugendliche in der BRD von 1960 bis 1975. Hierfür wurden Archivalien aus dem BAYER-Unternehmensarchiv ausgewertet, welche auch Fallberichte von Kindern und Jugendlichen beinhalten. Daneben wurde eine Literaturrecherche zeitgenössischer Publikationen durchgeführt. Da BAYER die Vertriebslizenz vom französischen Hersteller Rhône-Poulenc erwarb, wurden französische Publikationen inkludiert. Besondere Beachtung fand die historische Kontextualisierung der Ergebnisse. Die Erprobung von Aolept wurde nach im Untersuchungszeitraum üblichen Standards durchgeführt, wobei die Hauptverantwortung der Wirksamkeitsprüfung bis zur Einführung des 2. Arzneimittelgesetzes 1976 beim Hersteller lag. In die Erprobung waren Kinder und Jugendliche eingeschlossen, wenngleich sie einheitlich mit Erwachsenen erfolgte. Die Erprobung folgte dabei uneinheitlichen Standards. Die Bestimmungen des 1. Arzneimittelgesetzes hatten kaum Einfluss auf die Form der Erprobung. Für die Erprobung erhielten Ärzte teilweise finanzielle Mittel. Die Vermarktungsstrategie wurde vom historischen Konzept der Charakterstörungen der französischen Psychiatrie beeinflusst. Vor dem Hintergrund der damaligen Sedierungspraxis in Anstalten ist plausibel, dass die Vermarktung besonders auf diese Einrichtungen abzielte. Insgesamt zeichnete sich in Gesellschaft und Wissenschaft ein Wandel hin zu einer Reform der Einrichtungen bzw. hin zu evidenzbasierter Medizin ab, dennoch ist deren Einfluss bei der Wirksamkeitsprüfung und Markteinführung von Aolept nicht feststellbar. Vielmehr ergab das Zusammenwirken wirtschaftlicher Interessen, der Bedingungen der Einrichtungen sowie mangelhafter gesetzlicher Auflagen eine Praxis zu Lasten der betroffenen Kinder und Jugendlichen durch das Fehlen von Arzneimittelsicherheit.
17:39 Uhr
„Das Verbrechen und seine Bekämpfung“ – Gustav Aschaffenburg und die psychiatrische Kriminalanthropologie
C. Prüter-Schwarte (Köln, DE)
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Autor:in:
C. Prüter-Schwarte (Köln, DE)
In seinem 1903 erschienenen Hauptwerk „Das Verbrechen und seine Bekämpfung“ beschreibt der damalige Kölner Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie, Gustav Aschaffenburg, anhand einer Analyse der Kriminalstatistik des Deutschen Reiches, Ursachen der Kriminalität und zeigt aus Sicht des Arztes Möglichkeiten für deren Bekämpfung auf. Die Expertise des Psychiaters als naturwissenschaftlich-empirisch denkenden Mediziner sollte hier aus der rein beratenden Gehilfenrolle für den Richter mehr zu einer aktiv den gesellschaftlichen Umgang mit Kriminalität gestaltenden Rolle führen und so letztlich die Bemühungen um eine Reform des Strafrechtes mit Hilfe empirisch gesicherter Erkenntnisse fördern. In bewusster Analogie zur klinischen Methodik nähert sich der Autor dem Verbrechen. Der medizinischen Ätiologie und Symptomatologie entsprechen nach Aschaffenburgs Ansicht die Erforschung der Ursachen und der verschiedenen Formen der Kriminalität; die Differentialdiagnose deckt sich mit der Frage einer Typologie der Verbrecher und die Kriminalpolitik ist das Gegenstück zur Therapie. Aschaffenburgs Ansatz orientiert sich weniger an der damals populären Dichotomie von Anlage und Umwelt, sondern eher an der vom Sozialdarwinismus aufgeworfenen Frage nach der Durchsetzungsfähigkeit des Individuums unter widrigen sozialen Bedingungen. Das „Verbrechen und seine Bekämpfung“ wurde zu einem, auch in andere Sprachen übersetzten, Standardwerk der Kriminologie, nicht zuletzt, weil es sich von Lombroso distanzierte und einen mehrdimensionalen Ansatz begründete, der die Kriminologie bis weit in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts bestimmte.
17:51 Uhr
Widerstände gegen das Wissen der Psychosomatik: eine kulturwissenschaftliche Mixed-Methods-Untersuchung
J. Walther (Neuruppin, DE)
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Autor:in:
J. Walther (Neuruppin, DE)
Psychosomatik hat sich durch eine naturwissenschaftlichen Orientierung im medizinisch-akademischen Bereich etabliert. Jedoch werden vermehrt Rufe nach einer menschlicheren Medizin laut. Damit steht die Psychosomatik vor der Herausforderung einer aktiven Zukunftsgestaltung: Wie kann auch die Integration ihres geisteswissenschaftlich-humanistischen Denkens gelingen?
Dazu begreift die kulturwissenschaftliche Perspektive Psychosomatik als eine Wissenskultur. Ziele der Untersuchung sind 1) die historisch-wissenskulturelle Charakterisierung des Denkstiles (FLECK) und 2) die Beschreibung der Eigenschaften des damit produzierten Wissens. Durch das Aufzeigen von Gewordenheiten kann die Gegenwart kritisch-reflexiv erhellt und Veränderungen ermöglicht werden.
Die explorative Studie im parallelen Mixed Methods Design besteht aus Experteninterviews (n=7) und einer quantifizierten Frequenzanalyse von Abstracts des DKPM-Kongresses (n=2133) der Jahre 1974 - 2019. Das entwickelte Programm „Doing Psychosomatics“ stellt den theoretisch-methodischen Rahmen zur Untersuchung der Produktion spezifischer Wissenskulturen.
Die Eigenschaften des vom psychosomatischen Denkstil geprägten Wissens folgen dem Femininen Prinzip (SULLIVAN). Dadurch ist es gesellschaftlich und wissenschaftlich teils latenten Widerständen ausgesetzt, welche die Integration psychosomatischen Wissens in andere (schulmedizinische) Wissenskulturen erschweren.
Die psychosomatische Wissenskultur zeigt, dass ärztlich-klinisches Denken weiterzufassen ist als Critical Reasoning/ Decision Making: Es findet als impliziter, verkörperter Prozess statt, der bereits eine Handlung darstellt. Der Ausbildungsforschung stellt sich die Aufgabe, sich mit den Bedingungen der Bildung und Explikation von impliziten Wissen zu beschäftigen. Dies ist besonders für den Bereich der Professional Identity Formation relevant. Psychosomatik bietet dafür eine Vielzahl an Stärken, die im Rahmen von Kooperationen nutzbar gemacht werden können.