13:30 Uhr
Prävalenz von Depression in Europa – Berücksichtigung von nicht perfekter Sensitivität und Spezifität des PHQ-8 im European Health Interview Survey
F. Fischer (Berlin, DE)
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Autor:innen:
F. Fischer (Berlin, DE)
D. Zocholl (DE)
G. Rauch (DE)
B. Levis (CA)
A. Benedetti (CA)
B. Thombs (CA)
M. Rose (DE)
P. Kostoulas (GR)
Einführung: Major Depression ist eine der häufigsten psychischen Erkrankungen. Zur Entwicklung und Steuerung von Public-Health Strategien sind valide Prävalenzdaten aus bevölkerungsbasierten Studien unerlässlich. Aufgrund der geringen Kosten und der einfachen Handhabung wird häufig zur Erfassung des Erkrankungsstatus auf Fragebögen zum Depressionsscreening zurückgegriffen. Bei der Auswertung wird häufig die Anzahl positiver Tests als Prävalenz interpretiert. Diese Praxis ignoriert jedoch, dass Depressionsfragebögen weder perfekte Sensitivität noch Spezifität aufweisen. Diese Praxis führt zu einer Überschätzung der Prävalenz. Wir reanalysierten die Daten des European Health Interview Survey und berücksichtigten dabei die diagnostische Treffsicherheit des verwendeten Depressionsscreeners.
Methode: 258.888 Personen aus 27 europäischen Ländern beantworteten im Rahmen des European Health Interview Survey den PHQ-8. Wir nutzten zur Schätzung der Depressionsprävalenz ein Bayesianisches Modell, dass die Evidenz einer umfassenden Metaanalyse zur diagnostischen Treffsicherheit des PHQ-8 (Sensitivität 0,86, Spezifität 0,86) berücksichtigt.
Ergebnisse: Wir schätzen die Prävalenz von Major Depression in Europa auf 2,1% (95% CrI: 1,0% bis 3,8%); dies ist deutlich niedriger und ungenauer als zuvor publizierte Schätzungen von 6,4% (95% CI: 6,2% bis 6,5%). Insgesamt schätzen wir den Anteil falsch positiver Tests auf 76,4% (38,0% bis 96,0%). Trotz großer Unterschiede im Anteil positiver Tests zwischen den eingeschlossenen Ländern konnten wir keine Evidenz für tatsächliche Prävalenzunterschiede zwischen Ländern nachweisen (p > 0.05).
Schlussfolgerung: Die Prävalenz der Major Depression in Europe ist wahrscheinlich kleiner und die Schätzung deutlich unsicherer als bisher berichtet. Die Berücksichtigung von nicht perfekter Sensitivität und Spezifität des PHQ-8 hat einen starken und relevanten Effekt auf die Prävalenzschätzung, der nicht ignoriert werden sollte.
13:42 Uhr
Die CBTlate-Studie – Ergebnisse einer multizentrischen Psychotherapiestudie bei Altersdepression
F. Dafsari (Köln, DE)
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Autor:innen:
F. Dafsari (Köln, DE)
F. Jessen (Köln, DE)
B. Bewernick (Bonn, DE)
K. Domschke (Freiburg, DE)
M. Luppa (Leipzig, DE)
M. Wagner (Bonn, DE)
O. Peters (Berlin, DE)
L. Frölich (Mannheim, DE)
S. Riedel-Heller (Leipzig, DE)
E. Schramm (Freiburg, DE)
M. Hautzinger (Tübingen, DE)
Einführung: Depressionen zählen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen im höheren Lebensalter. Psychotherapeutische Interventionen für Altersdepressionen wurden bislang in Studien mit kleiner Fallzahl untersucht. In der CBTlate Studie untersuchten wir erstmals multizentrisch die Wirksamkeit einer spezifischen kognitiven Verhaltenstherapie der Altersdepression (LLD-CBT) im Vergleich zu einer unspezifischen supportiven Intervention (SUI) im ambulanten, psychiatrischen setting.
Methode: In dieser multizentrischen, randomisierten Studie rekrutierten wir Patienten (≥ 60 Jahre) mit einer mittelgradigen bis schweren Depression an 7 Studienzentren in Deutschland. Der primäre Endpunkt war die Veränderung der Depression gemessen mit der geriatrischen Depressionsskala (GDS). Sekundäre Endpunkte beinhalteten die Veränderung im Fremdbeurteilungsrating der Depression, Angstsymptomen, Schlaf und Lebensqualität zum Ende der Therapie und nach 6 Monaten.
Ergebnisse: Von Oktober 2018 bis November 2020 wurden 251 Patienten zu LLD-CBT oder SUI randomisiert. Es zeigte sich kein signifikanter Gruppenunterschied in der Veränderung des GDS Wertes am Ende der Therapie. Die Sekundäranalysen zeigten jedoch in beiden Gruppen eine signifikante Reduktion im GDS Wert am Ende der Therapie im Vergleich zur Baseline mit Effektstärken für LLD-CBT von d=-1,75 und für SUI d=-1,47. Zudem zeigten sich signifikante Verbesserungen in zahlreichen weiteren Endpunkten nach 8 Wochen und 6 Monaten in beiden Interventionen.
Schlussfolgerung: In unserer Studie konnten wir die hohe Wirksamkeit einer spezifischen kognitiven Verhaltenstherapie für Alterdepressionen und einer unspezifischen supportiven Intervention bei Patienten mit mittelgradiger bis schwerer Depression im höheren Alter nachweisen. Die Ergebnisse sprechen für eine breite Implementierung von Einzelpsychotherapie für Patienten mit Altersdepression und eine weitere Erforschung wirksamer Komponenten psychologischer Interventionen im höheren Alter.
13:54 Uhr
Personalisierte, poststationäre Nachsorge 4.0: das Leuchtturmprojekt „iCAN – intelligente, Chatbot-assistierte ambulante Nachsorge der Depression bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen“
S. Lüttke (Greifswald, DE)
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Autor:innen:
S. Lüttke (Greifswald, DE)
C. Lukas (DE)
K. Greffin (DE)
S. Saur (DE)
S. Schmidt (DE)
M. Berking (DE)
E. Brakemeier (DE)
Hintergrund: Zuletzt ist die Zahl der Klinikbehandlungen wegen einer Depression bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in erheblich angestiegen (Statistisches Bundesamt, 2017). Etwa 20% dieser Fälle sind Rehospitalisierungen, die auf eine unzureichende Nutzung ambulanter Nachsorgeangebote zurückzuführen sind und zu enormen Belastungen für das Gesundheitssystem führen (Greiner et al., 2019). Dieser ungünstigen Entwicklung soll das Projekt iCAN entgegenwirken, das 3,6 Mio. EUR vom G-BA Innovationsfonds gefördert wird. Mit 30 Studienzentren, 9 Krankenkassen und der Unterstützung u.a. der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, BPtK, BVDP und BVDN ist iCAN eines der größten Projekte zur Verbesserung der Versorgung junger Menschen mit Depression in Deutschland (https://t1p.de/ican-greifswald).
Methode: iCAN ist ein blended-care Nachsorgeangebot, das Patient*innen im Anschluss an die stationäre Behandlung für 3 Monate nutzen. iCAN kombiniert eine Smartphone-App (KVT-basierte Trainingsmodule) mit einem Telefoncoaching durch zertifizierte E-Coaches. Die Zusammenstellung des Trainingsplans erfolgt KI-gestützt, die App-Nutzung wird von einem Chatbot begleitet. Ziele von iCAN sind (a) die stationär erreichten Therapieerfolge zu stabilisieren und (b) Patient*innen nach stationärer Behandlung zeitnah an ein passendes ambulantes Nachsorgeangebot anzubinden.
Ergebnisse: Die Effekte von iCAN werden in einer prospektiven, Multicenter-RCT mit N = 368 Patient*innen (13 bis 25 Jahre) evaluiert. Hauptendpunkte für den Vergleich von TAU und TAU plus iCAN sind die Veränderung der Symptomschwere vom Zeitpunkt der Entlassung bis zum 3-Monats-Follow Up, die Nutzung ambulanter Nachsorgeangebote sowie Krankheitskosten.
Diskussion: Im Fall einer positiven Evaluation von iCAN kann dieses innovative Nachsorgekonzept flächendeckend in der Regelversorgung eingesetzt werden. Vorgestellt werden das iCAN-Konzept inkl. Demonstration der Smartphone-App, Studienrational sowie das Evaluationskonzept.
14:06 Uhr
Strategien zum Umgang mit Schuldgefühlen im Erwachsenenalter
T. Luck (Erfurt, DE)
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Autor:innen:
T. Luck (Erfurt, DE)
C. Luck-Sikorski (Gera0)
Schuldgefühle sind häufig im Erwachsenenalter und es werden verschiedene Strategien benötigt, um mit diesen umzugehen. Diese Studie gibt einen empirisch fundierten differenzierten Überblick über die angewandten Strategien in der Erwachsenenbevölkerung.
Mithilfe einer umfassenden webbasierten Befragung (05/2019-04/2020) konnten Informationen zu Strategien für den Umgang mit Schuldgefühlen von N=579 Erwachsenen (18-84 Jahre) ermittelt werden. Qualitativ erfolgte eine induktive Unterteilung von 34 unterschiedlichen Kategorien angewandter Strategien. Quantitativ wurden für alle kategorisierten Strategien Häufigkeiten ermittelt und der Zusammenhang mit Alter und Geschlecht mittels Cramérs φ/V analysiert.
„Selbst-/Reflexion/Analyse/Durchdenken der Dinge, für die man sich schuldig fühlt“ und „Verdrängen/Ignorieren/(aktives) Vergessen/Nicht daran denken/Unterdrücken der Schuldgefühle“ waren die am häufigsten genannten Strategien (19,7%; 18,7%). Strategien primär für einen besseren Umgang mit den eigenen Gefühlen (emotionsfokussierte Strategien) wurden mindestens genauso häufig angegeben wie Strategien mit prosozialer Ausrichtung (z.B. Versuche der Wiedergutmachung; problemfokussierte Strategien). Selten genannt wurden dysfunktionale Strategien, wie z.B. „verstärkter Alkoholkonsum” (1,6%). Weibliche und männliche Befragte unterschieden sich lediglich in der Häufigkeit der Nutzung “Professioneller Unterstützung/Therapie/Beratung” (10,6% vs. 3,7%; Cramérs φ=0,128; p=0,001). Auch zeigten sich nur wenige Altersunterschiede in den genannten Strategien.
Erwachsene nutzen eine Vielzahl verschiedener Strategien, um mit Schuldgefühlen umzugehen. Alter und Geschlecht scheinen bei der Wahl der Strategie nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Anders als oftmals postuliert, können Schuldgefühle auch häufig keine erkennbaren prosozialen Konsequenzen haben. Der Bedarf für professionelle Hilfe dürfte über die in der Studie ermittelte Inanspruchnahmerate (7,6%) deutlich hinausgehen.