In keinem anderen medizinischen Fach ist Krankheit so eng mit dem sozialen und gesellschaftlichen Kontext verbunden wie in der Psychiatrie. Die Expertise und das Einsatzgebiet der Ergotherapie liegen genau an dieser Schaltstelle zwischen Krankheit und gesellschaftlicher Teilhabe. Es gilt das berufliche Profil der Ergotherapie an aktuellen und zukünftigen gesellschaftlichen Anforderungen auszurichten und die Ziele und Wünsche der Klienten in das clinical reasoning einzubeziehen. Wie kann die ergotherapeutische Behandlung im psychiatrischen Setting unter Beibehaltung Ihrer Kernkompetenzen auf diese neuen Fragestellungen reagieren?
International regelhaft akademisch ausgebildet und damit wissenschaftlich fundiert mit eigener Bezugswissenschaft: der Betätigungswissenschaft (occupational science) hat sich Ergotherapie in der Psychiatrie weiterentwickelt. Heutige Paradigmen sind die Alltags- und Betätigungsorientierung mit Blick auf die individuellen Klientenbedarfe.
Wie das Handeln der Klient*innen, ist auch das therapeutische Handeln kontextbasiert. Es ist erforderlich allen Beteiligten Orientierung zu geben und den gravierenden Wandel der Denk- und Handlungsweise zu planen, zu entwickeln, zu begleiten und zu steuern. Die Umsetzung bedarf Zeit, Ressourcen und Energie und ein Veränderungsmanagement, das uns unterstützt die Komplexität des Veränderungsgeschehens zu begleiten. Die Einführung aktueller evidenzbasierter Therapieprogramme unterstützt diesen Prozess und trägt maßgeblich zum Erfolg bei!
Das berufliche Rollenmodell „Canadian Medical Education Directives for Specialists“ (CanMEDS) (Tannenbaum et al., 2009), bietet eine solide wissenschaftliche Grundlage auf deren Basis in den vergangenen Jahren in Deutschland und der Schweiz einheitliche Kompetenzprofile für die Ergotherapie entwickelt wurden.
10:15 Uhr
Ergotherapie verändert sich: Recovery durch Aktivität am Beispiel des Therapieprogramms Handeln ermöglichen – Trägheit überwinden
A. Pfeiffer (Karlsbad, DE)
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Autor:in:
A. Pfeiffer (Karlsbad, DE)
2010 veröffentlichte Prof. Terry Krupa gemeinsam mit acht praktizierenden Ergotherapeutinnen in Kanada die englischsprachige Intervention „Action over inertia“. Das Manual hat den Grundgedanken „Gesundheit durch Aktivität“ – Gesundheit im Sinne von persönlichem Recovery. Ziel der evidenzbasierten Intervention ist die Verbesserung der individuellen Betätigungsbalance und der Aufbau von für den Klienten bedeutungsvoller Aktivitäten. Das Therapieprogramm wurde in mehrere Sprachen übersetzt und hat sich international wie auch im deutschsprachigen Raum schnell verbreitet und in verschiedenen Settings der Ergotherapie bewährt. 2017 erhielt die deutschsprachige Übersetzung und Pilotstudie den Preis für Pflege- und Gesundheitsfachberufe in Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der DGPPN. Ende 2021 wurde in Kanada eine erste Überarbeitung veröffentlicht, die nun noch stärker auf gesellschaftliche Teilhabe ausgerichtet ist. Auch diese Version wird voraussichtlich Mitte 2023 in einer deutschen Übersetzung zur Verfügung stehen.
Zentraler Inhalt des Therapieprogramms ist die gemeinsame Betrachtung, wie im Alltag (im Tages- oder Wochenzyklus) die Zeit genutzt wird. Dafür bietet das Manual mehr als 40 Arbeitsblätter, sowohl zur Erhebung, wie auch zur Reflektion im Rahmen der Therapie. Dabei geht es nicht nur darum festzuhalten, wann etwas getan wird – vielmehr steht im Mittelpunkt mit wem, an welchen Orten Aktivitäten stattfinden, ob diese zu Zufriedenheit führen, ob sie selbstbestimmt gewählt wurden und ausbalanciert sind. In einem zweiten Schritt lädt die Intervention zu sog. Aktivitätsexperimenten ein. Diese Experimente führen ohne eine Veränderungsverpflichtung zu neuen Erfahrungen und einer eigenen Dynamik. Aufbauend auf dem erarbeiteten Wissen werden danach langfristige Veränderungsziele formuliert, detailliert geplant, in der Umsetzung begleitet und evaluiert. „Persönliches Recovery durch bedeutungsvolle Aktivität“ ist dabei als multiprofessioneller Ansatz gedacht.
10:37 Uhr
Innovative und evidenzbasierte ergotherapeutische Behandlungsansätze zur Unterstützung der Recovery – am Beispiel der Behandlung junger Menschen mit einer ersten Psychose in den Niederlanden
G. Döringer (Amsterdam, NL)
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Autor:in:
G. Döringer (Amsterdam, NL)
Die Ursprünge der Ergotherapie liegen im psychiatrischen Bereich. Seitdem haben sich sowohl in der Psychiatrie selbst als auch in der psychiatrischen Ergotherapie wichtige Entwicklungen vollzogen.
Recovery ist das übergeordnete Ziel der Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Neben der Verminderung der Symptome (klinische Recovery) geht es um das Wiedererlangen von persönlichem Gleichgewicht (Persönliche Recovery) und um die Wiederaufnahme sozialer Rollen (Gesellschaftliche Recovery). Die Expertise und das Einsatzgebiet der Ergotherapie liegen genau an dieser Schaltstelle zwischen Krankheit, Resilienz und gesellschaftlicher Teilhabe und sie kann in diesem Rahmen einen wertvollen Beitrag leisten. Ergotherapeuten sind in diesem veränderten Kontext herausgefordert, ihre eigenen Stärken (wieder) zu entdecken und ihre Expertise selbstbewusst eizusetzen.
Dazu gilt es das berufliche Profil der psychiatrischen Ergotherapie, sowie die
spezifischen Behandlungsverfahren an aktuellen und zukünftigen gesellschaftlichen
Anforderungen und den Erkenntnissen aktueller Forschung auszurichten.
Am Beispiel der Behandlung junger Erwachsenen mit einer ersten Psychose an den
Universitätskliniken in Amsterdam (Niederlande) wird exemplarisch
dargestellt, wie ein modernes, evidenzbasiertes ergotherapeutisches Angebot aussehen kann. Die multidisziplinäre Behandlung ist darauf spezialisiert, die PatientInnen in allen drei Bereichen der Recovery zu unterstützen und umfasst alle empfohlenen, sowie einige optionale Behandlungsmethoden aus den Behandlungsleitlinien. Die Ergotherapie nimmt dabei eine prominente Rollen ein. Unter anderem durch den (modellgetreuen) Einsatz von IPS in Kombination mit Kognitiver Remediation und Akzeptanz und Commitment Therapie. Die einzelnen ergotherapeutischen Bausteine und deren Integration in das multidisziplinäre Therapieprogramm werden dargestellt.
10:59 Uhr
Aktualisierung der Ergotherapie in der Psychiatrie – Wandel erfolgreich begleiten
G. Kirsch (Paderborn, DE)
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Autor:in:
G. Kirsch (Paderborn, DE)
International regelhaft akademisch ausgebildet und damit wissenschaftlich fundiert mit eigener Bezugswissenschaft: der Betätigungswissenschaft (occupational science) hat sich Ergotherapie in der Psychiatrie weiterentwickelt. Heutige Paradigmen sind die Alltags- und Betätigungszentrierung mit Blick auf die individuellen Klientenbedarfe. Das Ziel: Wohlgefühl der Person, Steigerung der Lebensqualität und soziale Teilhabe.
Wie das Handeln der Klient*innen, ist auch das therapeutische Handeln kontextbasiert. Jede Einrichtung hat ihre eigene Historie und Struktur. Es ist erforderlich allen Beteiligten (multiprofessionell) Orientierung zu geben und den gravierenden Wandel der Denk- und Handlungsweise zu planen, zu entwickeln, zu begleiten und zu steuern. Die Umsetzung bedarf Zeit, Ressourcen und Energie und ein Veränderungsmanagement, das uns unterstützt die Komplexität des Veränderungsgeschehens zu begleiten.
Der Vortrag unterstützt die Chancen, die Anforderungen und die Handlungsmöglichkeiten des Wandels besser zu verstehen und erfolgreich einzusetzen. Sie erfahren wie ein Veränderungsprozess konkret verlaufen kann, wie lange er dauert, welche strukturellen Veränderungen notwendig sind und wie Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen motiviert werden können.
11:21 Uhr
Berufliche Rollen heutiger Ergotherapeut:innen
K. Roos (Zürich, CH)
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Autor:in:
K. Roos (Zürich, CH)
Das berufliche Rollenmodell „Canadian Medical Education Directives for Specialists“ (CanMEDS) (Tannenbaum et al., 2009), das auf Grundlagen wissenschaftlicher Arbeiten entwickelt wurde, bietet eine solide Grundlage, die beruflichen Rollen und dazugehörigen Kompetenzen eines Gesundheitsfachberufes abzubilden. In der Schweiz bspw. wurden anhand dieses Profils 2009 gesamtschweizerisch einheitliche Abschlusskompetenzen für die Ergotherapie durch die ausbildungsanbietenden Fachhochschulen beschrieben. Der deutsche Berufsverband für Ergotherapie (DVE) publizierte 2019 das ebenfalls daraus abgeleitete „Kompetenzprofil Ergotherapie“.
In diesem Vortrag wird das CanMEDS kurz vorgestellt sowie sein Einsatz in anderen Ländern zur Beschreibung ergotherapeutischer Rollen und Kompetenzen. Für die Ergotherapeut:in im psychatrischen Kontext wird aufgezeigt, welche Rollen sie im heutigen modernen Paradigma wie einnimmt.