Die russische Invasion in der Ukraine hat viele Millionen Ukrainer:innen in die mit extremen Belastungen verbundene Flucht getrieben. Die Verarbeitung traumatischer Ereignisse und der funktionale Umgang mit psychosozialen Belastungen fällt insbesondere dann schwer, wenn sich Betroffenen allein gelassen fühlen. Das Diskussionsforum widmet sich der Leitfrage: Wie können wir die schutzsuchenden Menschen am besten psychologisch-psychiatrisch kurz- und langfristig unterstützen?
Unsere Disziplinen können aufgrund ihrer Kompetenzen eine Reihe von Angeboten auf individueller, familiärer, Gruppen- bis hin zu Community-Ebene machen. Dabei gibt es Ansätze für die jetzige Zeit und für mittel- und längerfristige Trauma-Verarbeitung. Third mission zur Unterstützung geflüchteter ukrainischer Erwachsener und Kinder haben sich direkt nach Kriegsbeginn an vielen Universitätseinrichtungen etabliert. Ein psychologisches Hilfsprojekt, welches schutzsuchenden Ukrainer:innen niedrigschwellig psychologische Beratung und Kurzzeit-Psychotherapien mit – bei Bedarf – Fokus auf der Integration anbietet, wird exemplarisch vorgestellt.
Zur auf die Community gehörenden Ansätzen gehört das Konzept der Versöhnungsbereitschaft: dies ist seit einiger Zeit zu einem Schlüsselbegriff nachhaltiger Friedensaktivitäten nach Ende gewaltsamer Konflikte geworden. Es steht dabei auch zentral für juristische und gesellschaftliche Aufarbeitungsmaßnahmen, wie Wahrheitskommissionen oder Kriegstribunale, von denen häufig auch positive psychologische Auswirkungen für individuelle Überlebende von Kriegsgewalt impliziert werden. Im Forum wird daher auch die weitsichtige Frage aufgeworfen, welche Programme in Post-Konflikt-Kontexten helfen können, die Versöhnungsbereitschaft und die psychische Gesundheit zu stärken.
In dem Diskussionsforum werden abschließend Bedingungen diskutiert, welche derartige Third Mission Projekte ermöglichen.
13:30 Uhr
Psychologische Hilfe für Schutzsuchende und Helfende in VorPommern (PHil@SH-VP): erste Erfahrungen und Ergebnisse des Modellprojekts
E. Brakemeier (Greifswald, DE)
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Autor:innen:
E. Brakemeier (Greifswald, DE)
S. Stapel (Greifswald, DE)
M. Mews (Greifswald, DE)
F. Wardenga (Greifswald, DE)
F. Harder (Greifswald, DE)
A. Zietlow (Greifswald, DE)
Die russische Invasion in der Ukraine hat viele Millionen Ukrainer:innen in die mit extremen Belastungen verbundene Flucht getrieben. Das Modellprojekt PHil@SH-VP wurde wenige Tage nach Beginn des Angriffskriegs Anfang März 2022 an der Universität Greifswald im Kontext der Initiative „Gemeinsam für psychische Gesundheit“ und in Kooperation mit dem Psychosozialen Zentrum für Asylsuchende in Greifswald durch größtenteils ehrenamtliches Engagement initiiert. Es verfolgt das Ziel, Betroffenen des Angriffskrieges in Vorpommern und angrenzenden Landkreisen niedrigschwellig evidenzbasierte bedarfsorientierte psychologische Unterstützung zukommen zu lassen. Im Vortrag werden drei Subprojekte des Projektes vorgestellt und erste Erfahrungen und Ergebnisse hinsichtlich ihrer Durchführ¬barkeit, Akzeptanz und Wirksamkeit präsentiert. Das Ziel des Modellprojekts besteht langfristig darin, ein breites Behandlungsnetzwerk in der Region Vorpommern zu schaffen. Nach erfolgreicher Evaluation soll dieses nachhaltig genutzt und auf weitere Sprach- und Kulturgruppen ausgeweitet werden. Konzipiert als Modellprojekt könnten Strukturen und Inhalte auch in andere Regionen und Bundesländer übertragen werden. Abschließend werden im Vortrag Chancen, Herausforderungen und Grenzen derartiger Modellprojekte diskutiert.
13:52 Uhr
Versöhnungsbereitschaft und psychische Gesundheit – Begleitung gesellschaftlicher Aufarbeitungsmaßnahmen nach kollektiver Gewalt
M. Böttche (Berlin, DE)
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Autor:in:
M. Böttche (Berlin, DE)
Versöhnung ist zu einem Schlüsselbegriff nachhaltiger Aufarbeitungsmaßnahmen nach dem Ende gewaltsamer Konflikte und Kriege geworden. Er steht dabei auch zentral für juristische und gesellschaftliche Maßnahmen, wie Wahrheitskommissionen oder Kriegstribunale, von denen häufig auch positive klinisch-psychologische Auswirkungen für Überlebende von Kriegsgewalt impliziert werden. Im Beitrag wird das Thema Versöhnung hinsichtlich individueller und gesellschaftlicher Auswirkungen beleuchtet. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, warum eine klinisch-psychologische Begleitung von Überlebenden in gesellschaftlichen Aufarbeitungsmaßnahmen notwendig ist sowohl für den Friedensprozess als auch für die individuelle psychische Gesundheit. Die Befunde aus vorherigen Konflikten und Kriegen sollen dabei herangezogen werden, um über mögliche Third Mission Projekte für die jetzige Situation in Europa diskutieren zu können.
14:14 Uhr
Aus den Aufarbeitungsprozessen vergangener Konflikte für die aktuellen lernen
Y. Nesterko (Berlin, DE)
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Autor:in:
Y. Nesterko (Berlin, DE)
Ähnlich vielen anderen politischen Konflikten und Kriegen weltweit, die in jüngster Vergangenheit zu Fluchtbewegungen Richtung Europa bzw. anderer westlicher Industriestaaten geführt haben, zeigen uns die Ereignisse der letzten Monate, dass jeder bewaffnete Konflikt und jede Flucht mit erheblichen Risiken für die psychische und physische Unversehrtheit der Fliehenden einhergeht. Wieder einmal wird offenbar, dass Krieg, Flucht und Trauma einander bedingen und weitreichende Folgen nach sich ziehen und dadurch stets in einem größeren gesellschaftlichen Kontext zu betrachten sind. Erneut stellt sich die Frage der Versorgungs¬möglichkeiten des individuellen Traumas in einem sicherem Aufnahmeland und die Frage nach bestmöglichen Wegen eine adressatengerechte Hilfe und Unterstützung derjenigen, die in Krisenregionen verblieben sind. Um diese Fragen zu beantworten, bedarf es zum einen einer koordinierten Zusammenarbeit der Psychologie, Psychotherapie und Psychiatrie, sowie einer klaren (berufs)politischen Haltung dieser, um in Kooperation mit anderen politischen Akteuren nach bestmöglichen Lösungen zu suchen.
14:36 Uhr
Die Sicht der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
A. Zietlow (Dresden, DE)
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Autor:in:
A. Zietlow (Dresden, DE)
Kriegs- und Fluchterfahrungen können insbesondere für Kinder und Jugendliche außergewöhnliche Belastungserlebnisse darstellen. Viele dieser Kinder und Jugendliche entwickeln, trotz dieser traumatischen Erfahrungen, keine psychischen Auffälligkeiten. Bei etwa einem Viertel jedoch zeigen sich behandlungsbedürftige Traumafolgestörungen. Aus Sicht der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie ist die frühzeitige Identifikation und Behandlung insbesondere dieser vulnerablen Gruppe in Kombination mit einem niederschwelligen Zugang zu Behandlungsangeboten zentral. Unterstützungsangebote für Kinder, Jugendliche und deren Familien zur Förderung von Resilienz und psychischer Gesundheit und, bei Bedarf, der Behandlung von Traumafolgestörungen wie sie in vielen Projekten an psychotherapeutischen Hochschulambulanzen implementiert werden, können dabei einen wichtigen Beitrag leisten.