15:30 Uhr
Recasting wellbeing in the context of serious mental illness
J. Carlet (Zürich , CH)
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Autor:in:
J. Carlet (Zürich , CH)
Beneficence is one of the four foundational principles of medical ethics. It is usually interpreted as the duty to promote and protect the patient’s wellbeing. Compared to somatic medicine, the application of this principle is more challenging in the context of serious mental illnesses as these conditions have a broad impact on a person’s emotional and cognitive competences, as well as on the psychosocial aspects of her life.
Furthermore, it is not clear what is meant by wellbeing. Yet, despite its centrality in caring for patients, the conceptional foundations of wellbeing have received little attention in the corpus of medical ethics, especially in reference to mental illness. Consequently, professionals in psychiatry often lack a theoretical foundation for treatment recommendations aimed at promoting the patient’s wellbeing.
This presentation introduces an understanding of wellbeing for the context of serious mental illness. First, I analyze different philosophical theories of wellbeing and discuss the advantages of a hybrid approach that combines objective and subjective criteria of wellbeing. I introduce a hybrid approach that integrates elements of the recovery concept, emphasizing psychosocial aspects of wellbeing in the context of serious mental illness. Finally, I discuss the potential of the presented understanding of wellbeing by applying it to a case example.
In the future, this hybrid theory of wellbeing could be used as an ethical basis for the development and implementation of clinical tools to promote the wellbeing of patients with serious mental illness.
15:42 Uhr
Das Leiden an der eigenen Psyche – neue intersubjektive Deutungen durch den Einsatz von KI?
O. Friedrich (Hagen, DE)
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Autor:innen:
O. Friedrich (Hagen, DE)
C. Bozzaro (DE)
Die sogenannte Präzisionsmedizin hält auch immer stärker Einzug in Bereiche der Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Dabei spielen die Nutzung von großen Datenmengen und die rasante Entwicklung diverser, auch jenseits des klinischen Bereichs leicht nutzbaren Technologien sowie des maschinellen Lernens eine zentrale Rolle. Die damit verbundenen Hoffnungen sind groß und richten sich etwa auf: 1. eine genauere, bessere Diagnostik, Prävention und Therapie; 2. eine Fundierung der Ergebnisse mithilfe messbarer und somit objektivierbarer Daten. Damit verbunden sind sowohl epistemische Erwartungen als auch Hoffnungen Leiden angemessener und umfassender zu lindern.
In unserem Vortrag möchten wir beschreiben, welche Effekte KI vermittelte Prozesse und Ergebnisse für das Verständnis des Leidens betroffener Patient:innen haben. Vor dem Hintergrund der Differenzierung unterschiedlicher Leidenskonzeptionen werden mögliche Einflüsse der KI auf intersubjektiv entstehende (neue) Hermeneutiken des Leidens aufgezeigt. Dies erfolgt durch einen Vergleich zu Verstehensprozessen von Leiden ohne technologische Unterstützung. Wir werden diskutieren, was es für Diagnose, Therapie und damit erwünschte Leidenslinderung bedeuten kann, wenn sich das Verständnis des subjektiven Leidens stärker auf objektivierbare und technisch erfassbare Parameter bezieht, als dies bislang der Fall war und wenn dadurch leiblichen und sprachlichen Interaktionen eine nachgeordnete Bedeutung zugemessen wird. Abschließend werden die ethischen Implikationen möglicher hermeneutischer Verschiebungen aufgezeigt, z.B. für das Arzt-Patient-Verhältnis, aber auch mit Blick auf die Gefahr einer „Entmündigung“ der Patient:innen in Bezug auf das von ihnen erlebte Leiden.
15:54 Uhr
Ethical use of structured and unstructured EHR data to predict real-world outcomes in mental health
C. Correll (Berlin/New York, US)
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Autor:in:
C. Correll (Berlin/New York, US)
Real World Data have shown great value in medicine – for example in drug discovery and in measuring and predicting outcomes. However, the collection and use of data generated in routine clinical care poses challenges around data quality and ethics. The currently used tools take too much time to capture relevant data and offering very limited utility to the clinical decision making. In addition, there are ethical issues, including ensuring informed consent and maintaining patient privacy.
In mental health care, the challenges of using Real World Data to measure and predict outcomes are particularly acute. There is little quantitative data, unlike the wealth of biomarkers and vital signs that are measured in other areas of medicine. Instead, Electronic Health Records (EHRs) predominantly consist of unstructured data. Furthermore, patient data in mental health care are extremely sensitive, in part because of the social stigma that is still associated with these conditions.
This talk will focus on how quantitative data can be collected at the point of care in psychiatry specific EHRs and inform clinical decision making in real time. Such comprehensive data sets can be the basis to develop and run predictive models incorporating medication data, demographics, unstructured or semi-structured data, like clinician notes, mental status examination (MSE), social stressors, family history and medication side effects.
This presentation will also review how the ethical challenges around consent and privacy can be met to deliver improved outcomes while maintaining privacy and informed consent.
Additional topics include the generation of structured outcome data from semi-structured clinical notes through application of Natural Language Processing (NLP), using RWE data to select patients for clinical trials, transferring research insights into clinical practice and a discussion of how both the technical and ethical challenges can best be tackled in the future.
16:06 Uhr
Ethische Dilemmata durch die Doppelrolle von Behandler:innen, die Patient:innen mit äthyltoxischer Leberzirrhose während der obligatorischen Abstinenzzeit vor der Transplantation suchttherapeutisch betreuen
A. Binder (Tübingen, DE)
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Autor:innen:
A. Binder (Tübingen, DE)
J. Fenchel (Tübingen, DE)
I. Lang (Tübingen, DE)
A. Batra (Tübingen, DE)
Einführung:
Liegt bei einer Leberzirrhose eine äthyltoxische Genese vor, so ist vor der Listung zur Lebertransplantation (LTX) gemäß Transplantationsgesetz der Nachweis von 6 Monaten Abstinenz erforderlich. Dies muss laborchemisch überprüft werden. Gleichzeitig werden Unterstützungsangebote zur Aufrechterhaltung der Abstinenz gemacht. Ziel dieser explorativen Studie war es, ein tieferes Verständnis für den Umgang der Behandler:innen mit der Doppelrolle zu entwickeln.
Methode:
Es wurden semistrukturierte Interviews mit 11 Behandler:innen aus 10 deutschen LTX-Zentren, die Patient:innen mit äthyltoxischer Zirrhose in der Abstinenzphase vor der Listung für die LTX betreuen, geführt. Es folgte eine strukturierende inhaltsanalytische Auswertung. Anschließend wurde eine typenbildende Queranalyse durchgeführt.
Ergebnisse:
Es zeigte sich, dass Behandler:innen aller Fachrichtungen Dilemmata thematisierten - etwa, dass sie gleichermaßen die Rolle des Therapeuten und des Gutachters übernehmen müssen. Damit scheint eine Tendenz einherzugehen, sich mit einer der Rollen stärker zu identifizieren. Behandler:innen, die sich eher in der Therapeutenrolle sahen, scheinen sich durch die 6-Monats-Regelung und die Überwachungspflicht belastet zu fühlen. Diejenigen, die sich stärker mit der Gutachterrolle identifizieren, neigen zu negativen Annahmen über Patienten. Die Behandler:innen glaubten, dass die Patient:innen die Doppelrolle ebenfalls wahrnehmen. Patient:innen scheinen eher die Überwachungsfunktion wahrzunehmen, so dass sie therapeutischen Angeboten gegenüber weniger aufgeschlossen sein können.
Diskussion & Fazit:
Die Ergebnisse zeigen, dass die Doppelrolle Einfluss auf die therapeutische Haltung gegenüber den Patient:innen haben kann. Dabei können stigmatisierende Aspekte verstärkt werden. Zudem scheint die Doppelrolle auf verschiedenen Ebenen Einfluss auf die Patientenversorgung zu haben. Daher wäre es wichtig, Regelungen anzupassen, um förderliche Rahmenbedingungen zu schaffen.
16:18 Uhr
Scheitert die Biologisierung der Psychiatrie an den experimentellen Neurowissenschaften?
S. Frisch (Klingenmünster, DE)
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Autor:in:
S. Frisch (Klingenmünster, DE)
Einleitung:
Seit über 20 Jahren wird mit Nachdruck eine Biologisierung der Psychiatrie vorangetrieben, bei der die neurowissenschaftliche Grundlagenforschung eine zentrale Rolle spielt. Psychische Störungen werden letztlich als Resultat defekter Hirnmechanismen definiert. Dieses Projekt hat trotz großem anfänglichem Enthusiasmus bisher nicht die versprochene Revolutionierung in Diagnostik und Therapie psychischer Erkrankungen erbracht. Die Erklärungen dafür gehen weit auseinander: Während die Befürworter fordern, dass die Grundlagenforschung die neuronalen Mechanismen noch präziser und detaillierter aufschlüsseln müsse, verweisen Gegner auf prinzipielle Unterschiede zwischen psychischen und neurologischen Störungen.
Methode:
Unter Rückgriff auf die klinische Neuropsychologie sowie eine Kritik des experimentellen Paradigmas in den Neurowissenschaften werden beide Erklärungen hinterfragt.
Ergebnisse:
Keine der beiden Erklärungen trifft zu. Das eigentliche Problem liegt in einem einseitig mechanistischen Verständnis des Gehirns, das durch die experimentelle Methode in der Grundlagenforschung befördert wird, sich jedoch für die klinische Praxis als sehr begrenzt erweist. Das experimentelle Paradigma hat ein hoch konstitutives Moment, welches das Ziel, Hirn bzw. Psyche in fixe Einzelprozesse zerlegen zu können, verfehlt. Klinisch-neuropsychologisch lassen sich Auswirkungen von Hirnschädigungen nur im Kontext des gesamten Organismus einschließlich seiner individuellen Umwelt verstehen und behandeln.
Diskussion
Die Befürworter der Biologisierung übersehen die Gefahr, dass weitere Parzellierungen von „Hirnmechanismen“ artifizielle Phänomene fern der klinischen Realität produzieren. Den Gegnern entgeht, dass die Grenze nicht zwischen Psychiatrie und Neurologie verläuft, sondern zwischen experimenteller und klinischer Betrachtung des Gehirns. Psychiatrie und Neurologie profitieren beide von einer biopsychosozialen Perspektive.