17:15 Uhr
Monitoring von Suizidversuchen in Deutschland anhand von Routinedaten?
J. Fritze (Pulheim, DE)
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Autor:innen:
J. Fritze (Pulheim, DE)
B. Schneider (DE)
K. Broich (DE)
Anhand eines Datensatzes nach §§ 303 ff SGB V, also Routinedaten der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung, der Jahre 2010 und 2011 wurde die Häufigkeit von selbstschädigendem Verhalten (ICD-10-GM Kode X84.9!) und damit implizit auch Suizidversuchen ermittelt. Die alters- und geschlechtsadjustierte 2-Jahres-Prävalenz der absichtlichen Selbstbeschädigung (X84.9!) liegt bei 77 bis 95 pro 100.000 (Frauen: 96 bis 117, Männer: 57 bis 69) entsprechend etwa 54.000 bis 66.000 gesetzlich Versicherten mit einer Dominanz des weiblichen (65%) gegenüber dem männlichen (35%) Geschlecht insbesondere in jüngeren Altersgruppen. Diese Datenquelle ist also grundsätzlich geeignet, ein Monitoring der Häufigkeit von Suizidversuchen, also eine verstetigte, zum Beispiel jährliche, öffentliche Berichterstattung, wie von der WHO als Komponente eines Suizidpräventionsprogramms gefordert, zu ermöglichen. Allerdings sind Suizidversuche nur eine Manifestationsform des mit X84.9! zu kodierenden selbstschädigenden Verhaltens. Dieser Mangel ließe sich beheben, wenn die datenschutzrechtlichen Bedenken gegen die differenzierte Kodierung gemäß ICD-10-WHO oder künftig ICD-11-WHO ausgeräumt werden könnten. Indem die zugrunde liegenden Daten primär Abrechnungszwecken dienen, werden nur Ereignisse, die zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen, erfasst, dies nur bei gesetzlich Versicherten (90% der Bevölkerung), und Unvollzähligkeit ist nicht auszuschließen. Daraus resultierende Unterschätzungen dürften über die Jahre recht stabil bleiben, sodass der Zweck des Monitorings, nämlich insbesondere Änderungen im Zeitverlauf abzubilden, erreicht werden könnte.
17:27 Uhr
RISE – Relapse Prevention Intervention after Suicidal Event: ein Programm zur Behandlung von Patient:innen nach Suizidversuch
G. Wagner (Jena, DE)
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Autor:innen:
G. Wagner (Jena, DE)
M. Lübbert (DE)
L. Bahlmann (DE)
Einführung: Aktuelle Studienergebnisse deuten darauf hin, dass die Behandlung psychischer Störungen allein nicht ausreicht, um das Risiko künftiger Suizidalität bei Patienten mit Suizidversuch(en) zu verringern. Es ist daher notwendig, vergangene Suizidversuche therapeutisch besonders zu berücksichtigen. Aus diesem Grund haben wir eine strukturierte und manualisierte Intervention zur Behandlung von suizidalem Verhalten im akutstationären Setting entwickelt. Das neu entwickelte Therapieprogramm RISE baut auf den wirksamsten Komponenten bestehender psychotherapeutischer und psychosozialer Interventionen für suizidales Verhalten auf, basierend auf unserer aktuellen Meta-Analyse (Sobanski et al. 2021).
Methode: In der vorliegenden Studie wurden die Durchführbarkeit und Akzeptanz des RISE-Programms sowie die Effekte auf Suizidgedanken, psychische Schmerzen, Selbstwirksamkeit und depressive Symptome untersucht. Die finale Stichprobe bestand aus 20 Patienten, die wegen eines kürzlichen Suizidversuchs stationär behandelt wurden, darunter 60 Prozent der Patienten mit mehreren Suizidversuchen. Die Datenerhebung umfasste ein strukturiertes Interview und mehrere Fragebögen, um die Durchführbarkeit und Akzeptanz des RISE-Programms sowie die Veränderungen der klinischen Symptome zu untersuchen. Nach sechs Monaten wurde eine Katamnese durchgeführt.
Ergebnisse: Das RISE-Programm zeigte insgesamt eine gute Akzeptanz und Durchführbarkeit. Es reduzierte außerdem signifikant Suizidgedanken, psychische Schmerzen, depressive Symptome und Hoffnungslosigkeit. Darüber hinaus stieg die Selbstwirksamkeit der Patienten nach der Therapie signifikant an.
Diskussion: Zusammenfassend lässt sich sagen, dass RISE eine vielversprechende Kurzzeitintervention für die Behandlung von Patienten mit hohem Risiko für zukünftiges suizidales Verhalten im stationären Rahmen darstellt.
17:39 Uhr
Suicidal behaviors are rather associated with loneliness than with social network size in persistent depressive disorder
J. Wolf (München, DE)
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Autor:innen:
J. Wolf (München, DE)
F. Padberg (DE)
T. Nenov-Matt (DE)
B. Amann (ES)
B. Barton (DE)
E. Brakemeier (DE)
A. Jobst (DE)
R. Musil (DE)
M. Reinhard (DE)
Suicidal ideation and behavior (SIB) is common in persistent depressive disorder (PDD) and may be related to interpersonal dysfunction. While SIB has been extensively analyzed in other high-risk disorders (e.g., borderline personality disorder, BPD), data on interpersonal risk factors and effects of specific psychotherapy on SIB in PDD are limited. This study aimed at investigating loneliness versus social network size as interpersonal risk factors for SIB in PDD and assess effects of cognitive behavioral analysis system of psychotherapy (CBASP) on this domain. In a prospective naturalistic study, 64 PDD patients were assessed, who underwent a 10-weeks inpatient CBASP program. Our clinical comparison group consisted of 34 BPD patients, who underwent a 10-weeks inpatient dialectical behavioral therapy (DBT) program. SIB was measured with the Columbia-Suicide Severity Rating Scale (C-SSRS), loneliness and social network size with the UCLA Loneliness Scale (UCLA) and the Social Network Index (SNI). Twenty-six PDD patients (40.6% of the PDD sample) showed current SIB at baseline in comparison with 26 BPD patients (76.5% of the BPD sample). While in suicidal PDD patients, SIB was associated with perceived social isolation (UCLA), but not with reduced social network size (SNI), this association was not observed in suicidal BPD patients. In PDD, SIB significantly decreased during CBASP. In conclusion, SIB appears to be associated with interpersonal factors related to loneliness in PDD, but not in BPD. CBASP showed first positive evidence in reducing SIB in PDD, but our pilot data need replication studies.
17:51 Uhr
Praxistrainer:innen-Deeskalation – Praxistest bestanden
S. Mengel (Mannheim, DE)
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Autor:innen:
S. Mengel (Mannheim, DE)
D. Borgwedel (Mannheim, DE)
S. Schmidt (Mannheim, DE)
Im Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim wurde 2021 das Projekt „PraxistrainerInnen-Deeskalation (PTD)“ umgesetzt. Alle Bestandteile unseres Deeskalationsmanagements wurden evaluiert, optimiert, verknüpft und anschließend einer neuen Funktion zugeordnet. Die PTD sind für alle Berufsgruppen und fachbereichsübergreifend tätig. Wir haben mit diesem Projekt bereits mehrere der zuvor definierten Ziele erreicht:
Ein sicherer, angemessener und qualitativ hochwertiger Umgang mit psychiatrischen Notfällen bewirkt die Reduktion von Verletzungen jeglicher Art bei PatientInnen und Mitarbeitenden. Die psychische Belastung der Mitarbeitenden soll dadurch reduziert und der Transfer von Fachwissen sichergestellt werden. Gezielte Deeskalationsstrategien führen darüber hinaus zu einer Abnahme von krankheitsbedingten Personalausfällen nach Gewaltereignissen sowie einer Reduktion von Polizeieinsätzen. Das Konzept basiert unter anderem auf der vollständigen Implementierung der Empfehlungen der S3-Leitlinie für Psychiatrische Stationen, die von den PTD im Stationsalltag begleitet und im multiprofessionellen Team analysiert wird. Es besteht aus den Bausteinen Schulung und Übungseinheiten, mitarbeiter- und patientenbezogene Fallberatung, Begleitung von Einsätzen des Kriseninterventionsteams (KIT) sowie der Evaluation und Analyse der Ergebnisse im Stationsteam.
In der Auswertung der Zwangsmaßnahmen zeichnet sich bereits eine deutliche Reduktion der Anzahl und der durchschnittlichen Dauer von Isolierungen und Immobilisierungen ab. Im direkten Feedback geben die Mitarbeitenden an, dass sie die PTD als Bereicherung sehen. Sie fühlen sich gleichzeitig entlastet, da die PTD auch in den jeweiligen Bereichen bei psychiatrischen Notfällen unterstützend tätig sind. Auch die Maßnahmen in den Bereichen Deeskalationstraining und spezifische Gesprächsangebote werden sehr gerne angenommen, als Entlastung erlebt und gut bewertet.
18:03 Uhr
Ambulante psychiatrische Akutversorgung in den Niederlanden (Krisennotdienst/Street-Triage, IHT)
S. Streitz (Enschede, NL)
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Autor:in:
S. Streitz (Enschede, NL)
Die ambulante Notfallversorgung psychiatrischer Patienten zeigt im internationalen Vergleich ein hohes/hoechstes Mass an Qualitaet und besonders Zugaenglichkeit. Der Krisennotdienst ist 24/7h mit einem Spezial-Psychiatrie-Pfleger und Psychiater besetzt. Zudem sind ergaenzend in der ambulanten Akutversorgung noch Pflegespezialisten und amb. Psychiatriepfleger aktiv. Ergaenzend gibt es ein Team aus Polizist und Psychiatriepfleger (street-triage Team), welches zusammen Streife faehrt und verwirrte Personen betreut und beraet. Ein 72h IHT(intensive ambulante Versorgung) Behandlung kann direkt nach einem Erstkontakt fuer ambulante Therapie und Entlastung sorgen. Ueber die Krisendienst Poliklinik kann ein anschliessendes Behandlungsprojekt begonnen werden.
Allein diese strukturellen Moeglichkeiten koennen stationaere Aufnahmen begrenzen und den Aufnahmedruck in den Kliniken reduzieren.
Als Psychiater, welcher in NL/BRD arbeitet ergibt sich ein realistiches Einschaetzungsprofil ueber Vor-und Nachteile beider Systeme.