Autor:in:
U. Lewitzka (Dresden, DE)
In seinem Urteil, mit dem 2020 der §217 StGB für verfassungswidrig erklärt wurde, stellt das Bundesverfassungsgericht einerseits das Recht des Staates heraus, zum Schutz suizidgefährdeter Menschen die Freiheit des Einzelnen einschränkende auch strafbewehrte Maßnahmen ins Gesetz zu schreiben, schärfte auf der anderen Seite aber ein, dass sichergestellt sein muss, „dass (…) im Einzelfall ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet bleibt". Nach der Verkündung des Urteils trat vor allem der Aspekt einer Ermöglichung des assistierten Suizids in den Vordergrund der Diskussion und schlug sich in den vorliegenden interfraktionellen Gesetzentwürfen deutlich nieder. Der Aspekt der Suizidprävention trat dahinter deutlich zurück.
Mit großer Bestürzung wurde dieses Urteil von den Akteuren der Suizidprävention im deutschsprachigen Raum aufgenommen. Trotz der eindringlichen Warnungen, der Vermittlung von klinischen Erfahrungen und der Erkenntnisse aus anderen Ländern im Anhörungsprozess sah das BVerfG die autonome Entscheidung des Individuums als höchsten Maßstab.
Nun ist dieser Schritt nicht mehr rückgängig zu machen – und er ist aus klinischer Sicht besonders problematisch, auch weil in der Mehrheit der Fälle wenig differenziert über die möglichen betroffenen Personen diskutiert wird. Mediale Darstellungen präsentieren meist körperlich unheilbar Kranke und postulieren die freie Entscheidung des Betroffenen. Demgegenüber steht jedoch die Statistik, die zeigt, dass die Mehrheit der Menschen, die sich das Leben nimmt, an einer psychischen Erkrankung leidet und die erlebte Suizidalität meist vorübergehender Natur ist. Deren Entscheidung zum Suizid, insbesondere in akuten Phasen, ist in der Regel von der psychischen Erkrankung beeinflusst und die Freiheit dahinter sollte aus klinischer Erfahrung hinterfragt werden. Wenig Aufmerksamkeit wird aktuell auch denjenigen Betroffenen gewidmet, die im Rahmen einer psychosozialen Krise (wie z.B. durch eine Trennung, den Jobverlust etc), Suizidgedanken entwickeln und auch umsetzen. Auch diesen wird nun praktisch eine Methode zur Verfügung gestellt.
Das BVerfG hat in seinem Urteil zwar darauf hingewiesen, dass vulnerable Personen zu schützen sind, aber es hat weder Vorgaben noch konkrete Anforderungen gestellt. Verschiedene Fachgesellschaften, Institutionen und Gruppen setzen sich nun für eine gesetzmäßige Verankerung der Suizidprävention ein – nur so kann – neben der Regelung der Assistenz überhaupt dafür gesorgt werden, koordiniert genügend Ressourcen zu schaffen, die für die Prävention von Suiziden wirksam ist.
Der Vortrag möchte zur differenzierten Betrachtung dieses Themas einladen und für eine Stärkung der Suizidprävention vor der Suizidassistenz werben.