Berührung ist eine komplexe und zutiefst im sozialen Miteinander verankerte menschliche Handlung, die Selbsterfahrung ebenso vermittelt wie Kontakt und Zugehörigkeit. Ein Mangel an Berührung in der Kindheit ist mit negativen Folgen für die psychosoziale Gesundheit verbunden. Umgekehrt belegen klinische Studien den Nutzen von professionellen Berührungs- und Massagetech¬niken zur Prävention und Therapie verschiedener Erkrankungen. Das Symposium gilt den aktuellen Ansätzen zu einer „Berührungsmedizin“ und spannt einen Bogen zwischen den Erkenntnissen moderner Berüh-rungsforschung und der klinischen Psychiatrie. Es stellt zunächst die Phänomeno¬logie der Berührungserfahrung in ihrer Bedeutung für Selbsterleben, Kommunikation und Sozialität dar, um dann die empirisch belegte Wirksamkeit spe¬zieller Massagetechniken bei der Depression und anderen Indikationen vorzustellen. Weitere Themen gelten der Bedeutung von Berührung in der Körperorientierten Psychotherapie und in der Psychoonkologie. Die jeweiligen Methoden und Wirkmechanismen werden auf verschiedenen Ebenen diskutiert.
Thomas Fuchs untersucht die Phänomenologie der Berührungserfahrung als Abgrenzung und Kontakt, der besonders in der frühen Kindheit zentrale Bedeutung für das Körperselbst und die primäre Intersubjektivität hat.
Bruno Müller-Oerlinghausen und Michael Eggart illustrieren anhand eigener und anderer empirischer Studien die Wirksamkeit heilsamer Berührung, z.B. des „affective touch“ bei der Depression, die primär als Leibkrankheit mit Störung der interozeptiven Prozesse konzipiert wird. Potentielle Wirkmechanismen werden diskutiert.
Frank Röhricht untersucht unter Einbeziehung empirischer Studien die Bedeutung, den therapeutischer Nutzen und Kontraindikationen von Berührung in der Körperpsychotherapie.
Astrid Grossert gibt einen Einblick in körperpsychotherapeutische Interventionen in der Psycho- Onkologie, die mit Selbst- und Fremdberührung arbeiten.
17:15 Uhr
Zur Phänomenologie der Berührung
T. Fuchs (Heidelberg, DE)
Details anzeigen
Autor:in:
T. Fuchs (Heidelberg, DE)
Der Tastsinn weist eine mehrfache Polarität auf, die ihn unter allen Sinnen als Sinn der Grenze, des Kontakts und des Übergangs auszeichnet. Die Berührung vermittelt die frühesten Selbsterfahrungen, durch das Erlebnis von Widerstand und Undurchdringlichkeit aber auch die Erfahrung von Realität. Damit ermöglicht der Tastsinn dem Individuum Unterscheidung und Abgrenzung ebenso wie intimen Kontakt und Kommunikation. Diese Polarität wird phänomenologisch untersucht und auf die Bedeutung der Berührung in therapeutischen Kontexten bezogen.
17:37 Uhr
Wirksamkeit und Wirkmechanismen heilsamer Berührung bei depressiven Störungen
B. Müller-Oerlinghausen (Berlin, DE)
Details anzeigen
Autor:innen:
B. Müller-Oerlinghausen (Berlin, DE)
M. Eggart (Ravensburg-Weingarten, DE)
“The body is not the servant of the brain, but the brain is the servant of the body”( Antonio Damasio)
Sowohl die Pharmako-wie auch Psychotherapie sind nur beschränkt bei depressiven Patienten wirksam. (Jakobsen et al. 2017; Cuijpers et al. 2016 ) Depressive Patienten präferieren oft alternative, körperfokussierte Heilverfahren. Klinische Studien zeigen in der Tat , dass professionelle Berührungstechniken basierend auf dem „affective touch“ , beispielsweise in Form sog. psychoaktiver Massage, antidepressive Wirksamkeit besitzen, insbesondere auch im Hinblick auf somatische Kernsymptome der von uns primär als Leibkrankheit konzipierten Depression. Adäquate Berührungstechniken unterlaufen die anhedonische Grundstörung, unterbrechen negative Kognitionen , antagonisieren die „Verkörperlichung“ des depressiven Menschen und lassen ihn sich wieder als lebendigen Leib erleben. ( Vgl. T.Fuchs, dieses Symposion) . Die neurobiologischen Wirkmechanismen heilsamer Berührung sind in den letzten drei Dekaden Gegenstand intensiver Forschung gewesen, insbesondere auch vor dem Hintergrund des für die moderne Depressionsforschung zunehmend einflussreichen Konzepts der Interozeption. . ( Eggart et.al. 2019 ) In diesem Kontext spielen die sog. CT-Afferenzen und ihre Projektionen in v.a. den Inselbereich wie auch oxytocinerge Mechanismen eine wichtige Rolle. Neben der Haut als dem größten und ältesten Sinnesorgan gilt das Interesse der aktuellen Berührungsforschung auch dem Fasziensystem und seinen sensorischen Funktionen. Die vielfältigen Indikationen heilsamer Berührung von der Neonatologie bis zur Palliativmedizin lassen die Etablierung einer eigenen medizinischen Fachdisziplin Berührungsmedizin als geboten erscheinen. (Müller-Oerlinghausen et al. 2022 )
17:59 Uhr
Bedeutung, therapeutischer Nutzen und Kontraindikationen von Berührung in der Körperpsychotherapie
F. Röhricht (London, GB)
18:21 Uhr
Berührung und Kontakt: körperpsychotherapeutische Interventionen in der Psychoonkologie
A. Grossert (Basel, CH)
Details anzeigen
Autor:in:
A. Grossert (Basel, CH)
Berührungen sind kraftvoll. Dies zeigt sich in den verschiedenen Befunden zur Wirkung von Berührung. Neben der Hands-on Berührung u.a. durch Körpertherapeut*innen kommt der Selbstberührung durch Klient*innen eine wichtige Rolle zu. Ein stabiler Beziehungskontext im geschützten Rahmen ist dabei essentiell. Mittels körperpsychotherapeutischer Methoden können Räume für neue Erfahrungen im Bereich des Berührt-werdens, des Getragen- und Gehaltenwerdens und der Zugehörigkeit geschaffen werden. Der Begriff der Berührung umfasst dabei das Anbieten von therapeutischer Beziehung und Präsenz, reflektierte Hands-on Techniken sowie die Anleitung und Ermutigung zur Selbstberührung.
Die Effekte von Berührung können insbesondere bei einer Krebserkrankung von grossem Nutzen sein, da die Erkrankung und die Antitumor Therapien häufig mit Veränderungen in der Körperempfindung und dem Körpererleben einhergehen. Weiter können starke Verunsicherungen im eigenen Körpererleben und -bezug sowie im Integritätserleben auftreten. Diese körperlichen Verunsicherungen haben Auswirkung auf die Gedanken, Gefühle und auf die Handlungen der Betroffenen. Die gezielte Vermittlung eines Ankers in Form von Berührung kann die Verarbeitung und Integration dieses einschneidenden Ereignisses unterstützen. In diesem Beitrag werden die Möglichkeiten der körperpsychotherapeutischen Hands-on Techniken und Selbstberührungstechniken eingebettet in Fallvignetten vorgestellt.