Bei zahlreichen psychiatrischen Störungsbildern werden Störungen des Zeiterlebens und Einschränkungen des Gestaltens zeitlicher Vorgänge beschrieben. Diese zeigen sich bei den Patient*innen in der individuellen Organisation des Alltags und in besonderem Maße in interaktionellen und interpersonellen Abstimmungsprozessen. So werden beispielsweise der Verlust von Rhythmen, Einschränkungen in der zeitlichen Synchronisation mit Mitmenschen und Umwelt, der Verlust zeitlicher Gliederungsfähigkeit sowie eine eingeschränkte zeitliche Ausrichtung im Alltag beschrieben. Diese Aspekte sind in Gestaltungs- und Interaktionsgeschehen, wie sie durch künstlerische Therapien, sport- und bewegungstherapeutische oder ergotherapeutische Angebote angeregt werden, nachdrücklich erlebbar und werden darin inhaltlich aufgegriffen. Was können die unterschiedlichen Zugänge der Fachtherapien über Musik, Tanz, Bewegung /Sport, über alltagsorientierte Aktivitäten ermöglichen? Das Symposium thematisiert Erkenntnisse und Verfahrensweisen der jeweiligen Fachtherapien (Musiktherapie, Tanztherapie, Sport- und Bewegungstherapie, Ergotherapie) zu den genannten Phänomenen und veranschaulicht praxisrelevante Gesichtspunkte der einzelnen Therapien, die für die Patent*innen im Alltag hilfreich sein können. Es diskutiert die Bedeutung gestörten Zeiterlebens bei psychischen Erkrankungen aus der Therapiepraxis und fragt nach dem möglichen Beitrag der Fachtherapien.
13:30 Uhr
Zum Zusammenhang von Alltagsaktivitäten, Teilhabe, Lebensqualität und Zeitnutzung
A. Pfeiffer (Krefeld, DE)
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A. Pfeiffer (Krefeld, DE)
Ergotherapie fokussiert auf konkrete und für den/die Einzeln/n bedeutungsvolle Aktivitäten des Alltags – auch bei Menschen mit psychischen Erkrankungen. Solche Aktivitäten wiederholen sich in der Regel und geben als Routine Sicherheit und Entlastung. Die Erhebung, Reflektion und Bewertung der Zeitnutzung ist eine wichtige Grundlage in der Therapie, um gemeinsam Ziele und Maßnahmen zu erarbeiten. Es geht darum zu betrachten, welche Aktivitäten sich im Tages- oder Wochenzyklus wiederholen, welche sich wiederholen sollten und ob diese zu der gewünschten Teilhabe, Lebensqualität und persönlichem Recovery führen. Dafür werden Zeit-Nutzungsprotokolle erstellt, die zusammen mit weiteren Erhebungsbögen als Reflektion- und Planungsgrundlage genutzt werden. Wichtig bei diesem Prozess ist es nicht nur festzuhalten, wann etwas getan wird – vielmehr steht im Mittelpunkt mit wem und an welchen Orten Aktivitäten stattfinden, ob diese zur Zufriedenheit führen, ob sie selbstbestimmt gewählt wurden und ausbalanciert sind. Übergeordnetes Ziel ist „Recovery durch individuell bedeutungsvolle Aktivität“ – dafür stehen manualisierte Interventionen zur Verfügung, die bereits in die Versorgung Einzug gehalten haben und evidenzbasiert sind.
13:52 Uhr
Zeitlichkeit wieder erobern – Zeiterleben und Zeitgestaltung in der Musiktherapie
P. Hoffmann (Düsseldorf, DE)
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P. Hoffmann (Düsseldorf, DE)
Musik wird oft als Zeitkunst bezeichnet, mitunter als die Zeitkunst. Dies gründet auf verschiedenen Aspekten, die mit dem Verlauf von Musik in der Zeit wie auch mit dem subjektiven Erleben von Zeit und Zeitlichkeit in der Musik zusammenhängen. In der Musiktherapie ist es über das Medium Musik möglich, Patienten in ihrem veränderten Zeiterleben und in ihrem individuellen Umgang mit zeitlichen Aspekten zu verstehen und sie im gelingenden Umgehen mit Aspekten der Zeit zu unterstützen. Dies betrifft z.B. die Förderung von Gegenwärtigkeit, die Fähigkeit zur Gliederung und Gestaltung zeitlicher Verläufe, die perspektivische Ausrichtung in der Zeit, die zeitliche Synchronisation mit Anderen und die Autonomie individueller Zeitgestaltung. Musiktherapeutische Prozesse können helfen Einschränkungen des Zeiterlebens und der Zeitgestaltung zu thematisieren, zu bearbeiten und ggfs. zu überwinden, so dass zeitliche Dimensionen wieder verfügbar werden. Der Beitrag thematisiert Erfahrungen und Vorgehensweisen und illustriert die Bedeutung musiktherapeutischer Zugänge für verschiedene Störungsbilder unter diesem Aspekt.
14:14 Uhr
Rhythmen und Dynamik – leibliches Begreifen zeitlicher Phänomene in der Tanztherapie
A. Scherholz (Bad Honnef, DE)
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A. Scherholz (Bad Honnef, DE)
Ein fragmentiertes, verändertes Erleben von Zeit und Bewegung führt zu einem Verlust der Orientierung in sich selbst sowie in der zeitlich-räumlichen Dimension. Keine Bewegung ist ohne Nutzung der Zeitdimension durchführbar. Kein Gefühl der Urheberschaft ist ohne einen selbstinitiativ gestaltenden Umgang mit Zeit erreichbar.
Beginnen – Weiterführen – Aufhören / Beschleunigen – Verlangsamen – Anhalten: In der Tanztherapie ist die die spielerisch, sinnlich-schöpferische Exploration von Zeit, Dynamik und Bewegungsfluss ein zentraler therapeutischer Moment. Eine Bewegung zu initiieren, durchzuführen und deren Folgen zu antizipieren, lässt uns die Struktur von Zeit, „Zukunft-Jetzt-Vergangenheit“, ganzheitlich begreifen. Gleichzeitig spüren und vermitteln wir über die spezifische Rhythmik und Dynamik der Eigenbewegung unser affektives Befinden. Wir erleben ohne Worte Gemeinsamkeit durch Synchronität oder Verschiedenheit durch unterschiedliche Rhythmen im sozialen Raum. Selbstinitiativ, handelnde, zeitgestaltenden Momente lassen das Gefühl von Selbstwirksamkeit, Handlungsfähigkeit und Einflussnahme auf das eigene Befinden und das (soziale) Geschehen entstehen. Die Tanztherapie eröffnet sowohl auf der inter- als auch intrapsychischen Ebene hierfür einen kreativen Erprobungsraum. Der Beitrag fokussiert die Chance relativierender Erfahrungen der Einflussnahme im tanztherapeutischen Setting und deren spezifische Wirkkraft für eine psychiatrisch-psychotherapeutische Klientel.
14:36 Uhr
Mit Bewegung aktiv für die Psyche
V. Oertel (Frankfurt am Main, DE)
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V. Oertel (Frankfurt am Main, DE)
Sport und Bewegung wird in den meisten psychiatrisch-psychosomatisch-psychotherapeutischen Behandlungseinrichtungen angeboten, um eine Verbesserung der körperlichen Fitness, des Körpergefühls und der psychischen Befindlichkeit zu erreichen.
Auf der funktionell-organischen Ebene sind zeitliche Komponenten besonders wichtig, wenn wir an die Dimensionen: Anspannung – Entspannung denken. Eine Unterstützung der geförderten Effekte zur Entspannung kann eine zeitliche Rhythmisierung und Terminierung geben, wie sie beispielsweise bei der Jacobson’schen progressiven Muskelrelaxation erfolgt. Atemtechniken und Zähltechniken als Ende einer Übung ergänzen dabei den Prozess. Darüber hinaus stellen körperbezogene Übungen zur Rhythmisierung, z.B. das Sich-Bewegen zu einer Musik, eine kognitive Anforderung dar, die kognitive Schwierigkeiten trainieren und unterstützen können.