Im klinischen Alltag werden psychiatrische Professionelle häufig mit medizinethischen Fragen konfrontiert, beispielsweise wenn es darum geht, ob eine Person gegen ihren Willen behandelt werden soll: Ist dies der selbstbestimmte Wille der Person oder ist durch die Krankheit die Selbstbestimmungsfähigkeit aufgehoben? Sollen die geäußerten Wünsche der Person oder ihr Wohlergehen höher gewichtet werden? Was ist überhaupt zum Wohl einer Person? Und wie kann gegebenenfalls eine Zwangsmaßnahme ethisch gerechtfertigt werden? Obwohl diese Fragen eine zentrale Rolle für Entscheidungen in der psychiatrischen Praxis spielen, werden sie häufig weder in der Fachärzt*innenausbildung noch im Stationsalltag systematisch analysiert und diskutiert.
Vor diesem Hintergrund verfolgt das Symposium das Ziel, solche ethischen Fragestellungen genauer zu untersuchen, um psychiatrischen Professionellen eine Hilfe für Entscheidungen in der klinischen Praxis zu bieten. Nach einem Übersichtsvortrag über grundlegende ethische Konzepte und Prinzipien werden dazu drei Fälle aus der Forensik, der Alterspsychiatrie sowie der Psychosomatik vorgestellt, ethisch analysiert und gemeinsam mit den Teilnehmenden diskutiert.
15:30 Uhr
Was sollen wir tun? Medizinethische Analysen von Konfliktfällen im psychiatrischen Alltag
C. Hempeler (Bochum, DE)
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Autor:in:
C. Hempeler (Bochum, DE)
Der einflussreiche Ansatz von Tom Beauchamp und James Childress beschreibt vier zentrale moralische Prinzipien, die bei ethischen Entscheidungen in der Medizin gegeneinander abgewogen werden müssen: professionelle Fürsorge, Achtung der Autonomie, Nicht-Schaden und Gerechtigkeit. Im Rahmen dieses Vortrags sollen diese grundlegenden Prinzipien und deren Anwendung auf ethische Fragen aus der psychiatrischen Praxis genauer beleuchtet werden. Ein besonderer Fokus soll dabei auf die professionelle Fürsorge und die Achtung der Autonomie gelegt werden, die besonders häufig in Konflikt geraten. Weiterhin soll ein Ausblick auf die klinische Ethikberatung als Möglichkeit der Hilfestellung in solchen Konfliktsituationen gegeben werden.
15:52 Uhr
Fall 2: Entscheidungen bei der Behandlung von Menschen mit Demenz
K. Radenbach (Göttingen, DE)
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Autor:in:
K. Radenbach (Göttingen, DE)
Bei der Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen im höheren Lebensalter stehen alle Beteiligten – Patient*innen, Angehörige und Behandelnde – vor besonderen ethischen Herausforderungen.
Dieser Vortrag präsentiert den Fall einer 77-jährigen Patientin mit langjährig bekannter psychotischer Erkrankung, kognitiven Defiziten und einem neu diagnostizierten Ösophagus-Karzinom. Anhand des dargestellten Falls werden die Themen der Einwilligungsfähigkeit, Patientenautonomie mit dem Recht auf Nicht-Wissen und Ablehnung kurativer Therapien sowie die Herausforderungen stellvertretender Entscheidungen bei psychischer Erkrankung im höheren Lebensalter aufgegriffen und diskutiert.
16:36 Uhr
Fall 3: Lebensbedrohliche Kokainabhängigkeit
A. Westermair (Zürich, CH)
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Autor:in:
A. Westermair (Zürich, CH)
Eine schwerst kokain-abhängige Patientin ist im Anschluss an die internistische Akutversorgung eines Kokain-assoziierten Herzinfarkts auf einer auf die Behandlung von Substanzbezogenen Störungen spezialisierten psychiatrischen Station. Sie hat einen Lebenswunsch und ist glaubhaft motiviert für eine Abstinenz-orientierte Behandlung, schafft es aber auf Grund stärksten Cravings auch unter intensiver Betreuung nicht, abstinent zu sein. Zumindest konsumiert sie im stationären Setting weniger und bekäme im Falle eines erneuten Herzinfarkts schneller Hilfe. Soll sie nun disziplinarisch entlassen werden wegen Bruchs der Stationsregeln? Oder sollte hier eine Ausnahme gemacht werden um das Leben der Patientin zu retten? Ist so eine Ungleichbehandlung von Patient:innen unter Gerechtigkeitsaspekten überhaupt zulässig? Und falls nein, in welchem Setting könnte die Patientin gut aufgehoben sein?
An Hand dieses Fallbeispiels werden die Grenzen des kurativen Paradigmas in der Psychiatrie aufgezeigt und damit einhergehende klinische Dilemmata ethisch analysiert.