In der Psychiatrie tätige Ärzte/Therapeuten werden im Laufe ihres Berufslebens mit Menschen in suizidalen Krisen und suizidalem Verhalten konfrontiert. Das Wissen um den Umgang damit sowie über effektive Behandlungsmöglichkeiten hilft, diese oft herausfordernden Situationen zu meistern. Das Symposium bietet einen vielschichtigen Einblick in die unterschiedlichen Facetten der therapeutischen Einflussnahme. Wichtigster Bestandteil im Umgang mit suizidalen Patienten ist die psychotherapeutische Begleitung. Tobias Teismann wird hierzu einen Überblick über die Effektivität psychotherapeutischer Suizidprävention geben. Aber auch pharmakologische Behandlungen werden in der Behandlung suizidaler Patienten eingesetzt. Martin Plöderl stellt in seinem Vortrag die aktuellsten Daten zur Wirksamkeit von Ketamin auf Suizidalität vor. Thomas Niederkrotenthaler wird über den Einfluss von Medien auf Suizidalität referieren und Birgit Wagner stellt in ihrer Präsentation die Wirksamkeit von Interventionen für Angehörige nach einem Suizid vor.
10:15 Uhr
Effektivität psychotherapeutischer Suizidprävention
T. Teismann (Bochum, DE)
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Autor:in:
T. Teismann (Bochum, DE)
Suizidales Erleben und Verhalten wird zunehmend als unabhängig von anderen Syndromen und Störungen verstanden. Vor diesem Hintergrund wurden in den vergangenen Jahren verschiedene suizidfokussierte Psychotherapieangebote entwickelt und evaluiert. Im Rahmen des Vortrags wird der aktuelle Stand der Effektivitätsforschung zusammenfassend dargestellt, es werden Beispiele für wirksame suizidfokussierte Psychotherapieprogramme gegeben und der gegenwärtige Forschungs- und Wissenstand wird kritisch reflektiert. Grundsätzlich kommt der suizidspezifischen Psychotherapie in der individuumszentrierten Suizidprävention besondere Bedeutung zu; die empirische Fundierung und Dissemination entsprechender Programme ist jedoch noch unzureichend.
10:37 Uhr
Ketamin und Suizidalität
T. Bschor (Dresden, DE)
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T. Bschor (Dresden, DE)
Einführung:
Zulassungsstudien für Esketamin-Nasenspray zielten unter anderem auf einen suizidpräventiven Effekt ab. Eine spezifische Betrachtung erscheint daher lohnenswert.
Methode:
Bei der Bearbeitung der Fragestellung müssen einerseits das Racemat Ketamin (jahrzehntelang bewährtes, i.v.-appliziertes Narkotikum) und sein S-Enantiomer Esketamin (seit März 2021 in Deutschland als Nasenspray für zwei ausgewählte Situationen der Depressionsbehandlung zugelassen) auseinandergehalten werden, und andererseits die Betrachtung von Suizidgedanken und Suizidhandlungen. Die Erkenntnisse aus randomisierten, kontrollierten Studien werden analysiert.
Ergebnisse:
Für Ketamin konnte eine zum Teil deutliche Reduktion von Suizidgedanken gezeigt werden, die aber nur für die ersten drei Tage sicher nachgewiesen werden kann. Bezüglich suizidaler Handlungen gibt es keine belastbaren Daten. Für Esketamin ließ sich allenfalls ein schwacher Effekt auf Suizidgedanken finden, während für Suizidhandlungen ebenfalls keine gesicherte Aussage möglich ist.
Schlussfolgerung:
Das ursprüngliche Ziel, Esketamin-Nasenspray als antisuizidales Pharmakon zu etablieren, konnte nicht erreicht werden. Die Indikation lautet nunmehr (neben der zweiten Indikation „therapieresistente Depression“) relativ vage „psychiatrischer Notfall nach ärztlichem Ermessen“. Die Fachinformation des Medikaments stellt explizit fest „Die langfristige Wirksamkeit von Spravato hinsichtlich einer Suizidprävention wurde nicht nachgewiesen.“.
10:59 Uhr
Wirksamkeit von Interventionen für Angehörige nach einem Suizid: ein systematischer Überblick
B. Wagner (Berlin, DE)
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B. Wagner (Berlin, DE)
Hintergrund: In Deutschland sterben jährlich ca. 9.200 Menschen durch einen Suizid. Die hinterbliebenen Angehörigen weisen ein erhöhtes Risiko für psychische und somatische Folgeerkrankungen auf. Dennoch gibt es nur eine geringe Anzahl an Interventionen, welche sich spezifisch an Angehörige nach einem Suizid richten und über deren Wirksamkeit ist nur wenig bekannt. Der systematische Review bewertet die Wirksamkeit von Interventionen, die speziell für jugendliche und erwachsene Suizidhinterbliebene entwickelt wurden.
Methodik: Es wurde eine computergestützte Literaturrecherche in PsychINFO, PubMed, Medline und weiteren elektronischen Datenbanken durchgeführt. Eingeschlossen wurden randomisierte kontrollierte Studien (RCTs), welche die Wirksamkeit von Interventionen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe für Suizidhinterbliebene untersuchten und über dem Cut-Off Wert bei der Beurteilung der methodologischen Qualität lagen. Es wurden sechs RCTs mit insgesamt N = 473 Teilnehmenden eingeschlossen. Effektgrößen wurden mittels Cohen’s d berechnet.
Ergebnisse: Für die Interventionsgruppen ließen sich bei den gruppeninternen Unterschieden kleine bis mittlere Effektstärken feststellen, es wurden jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen gefunden. Diskussion: Interventionen für Suizidhinterbliebene zeigen eine Reduzierung des psychischen Belastungserlebens auf, dennoch konnte dieser Effekt nicht in einem kontrollierten Design bestätigt werden. Die meisten eingeschlossenen Studien wiesen mehrere qualitative Einschränkungen auf, wie beispielsweise eine geringe Stichprobengröße oder keine Untersuchung der Langzeiteffekte der Interventionen.
11:21 Uhr
Suizidprävention und Medien
T. Niederkrotenthaler (Wien, AT)
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T. Niederkrotenthaler (Wien, AT)
Sowohl Forschung zu traditionellen Medien als auch zu Online-Medien zeigt, dass präventive Botschaften, insbesondere die Darstellung persönlicher Erfahrungen mit Bewältigung von Krisen, positive Auswirkungen auf Suizidalität und Resilienz bei Personen mit Vulnerabilität haben. Entsprechende Evidenz kommt sowohl von randomisierten kontrollierten Studien als auch aus populationsbasierten Studien. Bei letzteren handelt es sich hauptsächlich um Zeitreihenanalysen, die Veränderungen von Suiziden nach bestimmten medialen Botschaften iuntersuchen. Dieser Vortrag gibt einen Überblick über aktuelle Forschungsergebnisse zu suizidpräventivem Messaging. Ein besonderes Augenmerk wird auf den Song 1-800-273-8255 des bekannten amerikanischen Hip-Hop-Künstlers Logic mit der US-amerikanischen National Suicide Prevention Lifeline (Lifeline) gelegt. Die Songbotschaft beinhaltet eine persönliche Botschaft von Resilienz und Hoffnung in einer suizidalen Krise. Die Botschaft ist insofern als Präventionsbeitrag einzigartig, als dass sie in Form eines Liedes präsentiert wird, anstatt herkömmliche Formate zu verwenden, und sie ist ein seltenes Beispiel dafür, dass Präventionsbotschaften ein breites Publikum über einen längeren Zeitraum erreichen können. Eine Zeitreihenanalyse der täglichen Lifeline-Anrufe und von Suiziddaten für die US-Bevölkerung (CDC, 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2018) legt nahe, dass der Song mit 9915 zusätzlichen Anrufen bei Lifeline in Verbindung stand, was einer Steigerung von 6,9 % entspricht. Ein entsprechendes Modell für Suizide zeigte im gleichen Zeitraum eine Reduktion um 245 Suizide oder -5,5 %. Der Vortrag wird kreative Ansätze sowohl in der Prävention als auch in der Forschung diskutiert, die unerlässlich sind, um präventive Medienpotenziale für die Suizidprävention besser zu verstehen und zu nutzen.