Im klinischen Alltag wird bisweilen ein mehr oder weniger subtiler Druck auf Patient*innen ausgeübt, um sie zu motivieren, an Therapieformen teilzunehmen oder die verordneten Medikamente einzunehmen. Auch in ihrem familiären und sozialen Umfeld erfahren Menschen mit Krisen- und Psychiatrieerfahrung psychischen Druck, die verordneten Medikamente einzunehmen oder sich in eine Behandlung zu begeben. In der Literatur werden diese Formen psychischen Drucks unter dem Begriff „informeller Zwang“ diskutiert. Eine Zustimmung aufgrund von psychischem Druck kann den Anschein erwecken, dass psychiatrische Professionelle und Angehörige nicht paternalistisch gegen den Willen der Betroffenen handeln. Die Freiwilligkeit einer Zustimmung unter Druck ist jedoch diskussionswürdig, da psychischer Druck teilweise gezielt durch Überredung, Einsatz der interpersonellen Beziehung, Anreize oder Drohungen auf die Beeinflussung des Willens von Betroffenen gerichtet wird und so eine unangemessene Einflussnahme darstellen kann.
Dieses Symposium soll analysieren, wie und wo es zum Einsatz psychischen Drucks in der Interaktion zwischen Betroffenen, ihren Angehörigen und Behandler*innen kommt und bestimmen, ob und wenn ja, wann die Ausübung psychischen Drucks ethisch gerechtfertigt sein kann. Ziel ist es, das Bewusstsein psychiatrischer Professioneller für die unterschiedlichen Formen psychischen Drucks und deren Ausübung zu erhöhen und eine kritische Reflexion zu ermöglichen. Insgesamt sind vier Vorträge geplant, die praxisbezogen ethische Aspekte des Themas diskutieren, aktuelle empirische Erkenntnisse hinsichtlich der Erfahrungen Betroffener, psychiatrischer Professionelle und Angehöriger zu psychischem Druck vorstellen und die Bedingungen für die Anwendung psychischen Drucks analysieren. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Kommunikation und Interaktion der beteiligten Personen.
08:30 Uhr
Informeller Zwang in der Psychiatrie: eine kritische Diskussion ethischer Aspekte
E. Prestin (Bielefeld, DE)
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Autor:in:
E. Prestin (Bielefeld, DE)
Der Vortrag führt in das Themenfeld „Zwang und Druck in der Psychiatrie“ ein und fokussiert insbesondere Formen informellen Zwangs. Aus der Perspektive der Psychiatrieerfahrenen ist festzustellen, dass die häufig zitierte Skala von Szmukler und Appelbaum (2008) nicht ausreicht, um alle als relevant erlebten Kontexte der Erzwingung erwünschten Patientenverhaltens abzubilden.
Die Reflexion ethischer Aspekte macht deutlich, dass die Anwendung von Zwang und Druck in der Psychiatrie grundsätzlich problematisch, dabei aber höchst differenziert zu betrachten ist. Entsprechende Spannungsfelder und Dilemmata werden aufgezeigt. Ziel des Vortrags ist es, Impulse für die unbedingt erforderliche vertiefende Erforschung und Diskussion des Themenbereiches zu geben.
08:52 Uhr
Welche Formen psychischen Drucks erfahren Betroffene in der Psychiatrie und ihrem sozialen Umfeld? Ergebnisse einer qualitativen Interviewstudie
S. Potthoff (Bochum, DE)
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Autor:innen:
S. Potthoff (Bochum, DE)
U. Lux (Augsburg, DE)
In diesem Vortrag werden Ergebnisse einer qualitativen Studie zu informellem Zwang und psychischem Druck in der Psychiatrie vorgestellt. Die Ergebnisse basierend auf qualitativen Interviews mit 14 Nutzer*innen psychiatrischer Dienste mit einer selbstberichteten psychiatrischen Diagnose und vorheriger Erfahrung mit formellem Zwang. Die Studie zeigt, dass psychischer Druck nicht nur dazu dient, die Einhaltung der empfohlenen Behandlung durch die Nutzer*innen zu verbessern, sondern auch, um die Einhaltung sozialer Regeln zu erhöhen. Ferner konnte der Studie zeigen, dass psychischer Druck nicht nur von psychiatrisch Professionellen, sondern auch von Verwandten und Freunden ausgeübt wird. Schließlich zeigte der Studie, dass das Ausmaß, in dem Nutzer*innen Kommunikation als psychischen Druck erleben, stark von Kontextfaktoren abhängt. Relevante Kontextfaktoren sind die Art der Kommunikation, die Qualität der zwischenmenschlichen Beziehung, der institutionelle Rahmen, das räumliche Umfeld und der Grad der Übereinstimmung des Verständnisses von psychischer Krankheit zwischen Nutzer*innen und psychiatrisch Professionellen.
Die Ergebnisse der Studie unterstreichen die Bedeutung von Kommunikationstraining für psychiatrisch Professionelle und institutionelle Veränderungen, um psychischen Druck in psychiatrischen Diensten sichtbar und damit reflektierbar zu machen und zu verringern.
09:14 Uhr
Psychischer Druck im Trialog zwischen psychiatrischen Professionellen, Psychiatrieerfahrenen und ihren Angehörigen: Ergebnisse einer qualitativen Interviewstudie
C. Hempeler (Bochum, DE)
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Autor:in:
C. Hempeler (Bochum, DE)
Eine schwere psychische Erkrankung eines Menschen stellt auch Freund*innen und Familie vor Veränderungen und mitunter große Herausforderungen. In einer solchen Situation können psychischer Druck und informeller Zwang im sozialen Umfeld des erkrankten Menschen eine Rolle spielen. In diesem Vortrag werden Ergebnisse einer qualitativen Interviewstudie zu psychischem Druck und informellem Zwang aus Perspektive von Angehörigen vorgestellt. Die Ergebnisse basieren auf 11 semi-strukturierten qualitativen Interviews mit Angehörigen von Menschen mit einer psychischen Erkrankung, die Psychiatrie- und Zwangserfahrung gemacht haben. Die Auswertung erfolgte anhand von Grounded Theory Methodologie.
Die Ergebnisse der Studie unterstreichen, dass psychischer Druck und informeller Zwang stets im Kontext ihrer Anwendung verstanden werden müssen. Dabei zeigt sich, dass Angehörige sich durch Hilflosigkeit oder Überforderung mit der Situation, Abhängigkeit von Hilfe durch professionelle Dienste und die Beschaffenheit der Rechtsgrundlage zur Anwendung formellen Zwangs oft selbst in einer Drucksituation befinden. Der Umgang mit dieser Situation stellt sie vor das moralische Dilemma der Abwägung zwischen Autonomie und Wohl der*des Betroffenen aber auch ihrer eigenen Bedürfnisse und der weiterer Familienmitglieder. Zudem zeigt die Studie, dass auch von Seiten psychiatrisch Professioneller Druck auf Angehörige ausgeübt wird, ihre erkrankten Angehörigen zu bestimmten Entscheidungen zu bewegen.
09:36 Uhr
abgesagt: Wie wirkt sich informeller Zwang und psychischer Druck auf die therapeutische Beziehung aus?