Psychiatrie und Neurologie haben gemeinsame historische Wurzeln, sind aber bis heute eng verzahnt, etwa in der Person vieler Fachärzte/innen für Nervenheilkunde, der Facharzt-Weiterbildung oder gemeinsamer Fachzeitschriften. Die Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie steht seit ihrer Gründung 1867 durch Wilhelm Griesinger für den engen wissenschaftlichen und klinischen Austausch beider Fächer. Dennoch hat die Entwicklung der letzten Dekaden zu einer zunehmenden Subspezialisierung in beiden Fachgebieten und zu Abgrenzungstendenzen geführt.
Das Symposium stellt die Bandbreite neuropsychiatrischer Krankheitsbilder vor und legt an ausgewählten, wichtigen Krankheitsbildern paradigmatisch dar, dass ein fächerübergreifendes Verständnis für bestmögliche Diagnostik und Therapie unverzichtbar und der enge Austausch zwischen Psychiatrie und Neurologie für beide Seiten fruchtbar und bereichernd sind. Die wissenschaftliche und klinische Verbindung beider Fächern widerspricht nicht der weiteren Entwicklung und Spezialisierung, sondern ist vielmehr hierfür eine zentrale Voraussetzung.
15:30 Uhr
Neuropsychiatrische Befunderhebung und Diagnostik als Fundament einer modernen nervenärztlichen Behandlung
M. Fritsch (Berlin, DE)
15:52 Uhr
Autoimmune Enzephalitiden – Sinnbilder der notwendigen Verzahnung von Psychiatrie und Neurologie
H. Prüß (Berlin, DE)
16:14 Uhr
Die Neurosyphilis: ein psychiatrisch-neurologisches Chamäleon mit aktueller Relevanz
E. Schielke (Berlin, DE)
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Autor:in:
E. Schielke (Berlin, DE)
2020 wurden in Deutschland 7.374 Syphilis-Fälle gemeldet, mit den höchsten Inzidenzen in Großstädten. Betroffen sind zu knapp 95 % Männer, mit homosexuellen Kontakten als vorrangigem Infektionsweg. Ca. ein Drittel weist eine Koinfektion mit HIV auf. In Frühstadien der Syphilis kann man bei ca. 30 % Erreger im Liquor nachweisen; eine klinisch manifeste Neurosyphilis entwickeln 5-10 %, bei einer HIV-Koinfektion bis zu 20 %.
Manifestationen der Neurosyphilis sind:
- Syphilitische Meningitis, die früh nach der Erstinfektion auftreten kann, einerseits mit Hirnnervenparesen, andererseits - bei meningovaskulärer Syphilis - mit Fokalneurologie durch zerebrale Ischämien oder Querschnittslähmungen durch Affektion des Rückenmarks.
- Parenchymatöse Syphilis/Progressive Paralyse, die als chronisch-progrediente Enzephalitis viele Jahre nach der Erstinfektion mit kognitiven Defiziten, Wesensänderung, psychotischen Episoden manifest wird.
- Tabes dorsalis mit Hinterstrangdegeneration mit entsprechenden Sensibilitätsstörungen sowie heftigen einschießenden Schmerzen in Unterbauch und Beinen. Die Tabes dorsalis tritt spät auf und ist heutzutage selten.
Zum Nachweis einer Neurolues ist die serologische Untersuchung eines Liquor-Serum-Paares erforderlich. Obligat ist eine spezifische intrathekale Anitkörpersynthese. Allerdings bleibt ein solcher erhöhter Index auch bei erfolgreich therapierter Neurosyphilis lebenslang bestehen. Zur Einschätzung der Floridität dient daher neben der klinischen Symptomatik die Zellzahl im Liquor sowie ein positiver VDRL im Liquor und/oder Serum.
Mittel der ersten Wahl ist Penicillin G in einer Tagesdosis von 18-24 Mio IE i.v. in 6 Einzelgaben, ersatzweise Ceftriaxon täglich 2 g i.v. über 14 Tage. Zur Kontrolle des Therapieerfolges dient neben der klinischen Besserung ein Abfall des VDRL-Titers um 3-4 Titerstufen, was allerdings protrahiert verlaufen kann.
16:36 Uhr
Exogene, endogene und psychogene Psychosen
T. Bschor (Berlin, DE)
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Autor:in:
T. Bschor (Berlin, DE)
Psychose wird fälschlich als Synonym für Schizophrenie verwendet, umfasst als diagnostischer Oberbegriff aber eine große Gruppe von Erkrankungen, als deren symptomatischer Kern ein zumindest vorübergehender oder teilweiser Verlust des Realitätsbezugs gelten kann. Dieser äußert sich zumeist in charakteristischen psychotischen Symptomen wie Halluzinationen auf einem der 5 Sinnesgebiete, Wahn oder psychotischen Ich-Störungen.
Psychosen haben häufig organische Ursachen, was bereits 1908 von K. Bonhoeffer als exogene Psychosen/akuter exogener Reaktionstypus beschrieben wurde. Hierunter fallen mit z. B. Delirien, Temporallappenanfällen und postiktalen Dämmerzuständen häufige neurologische Krankheitsbilder. Die Schizophrenie wurde im triadischen System der klassischen dt. Psychiatrie (Kraepelin, Kretschmer, Jaspers) zur mittleren Schicht, den endogenen Psychosen, gezählt, bei denen eine organische Ursache vermutet, aber nicht identifiziert war. Weitere große psychiatrische Krankheitsbilder zählen zu den endogenen Psychosen und können psychotische – zumeist wahnhafte – Symptome haben, allen voran Depression und bipolar affektive Erkrankung einschließlich ihrer manischen Ausprägung.
Die unterste Schicht des triadischen Systems umfasst die psychogenen Erkrankungen, wobei selbst bei diesen in ausgeprägten Manifestationen psychotische Symptome auftreten können, etwa in der Ekstase oder der Dissoziation.
Psychotische Symptome stellen somit eine unspezifische Reaktionsform des ZNS und der Psyche dar. Psychiater*innen sollten kompetent sein, organische Ursachen zu erkennen, abzuklären und in einfachen Fällen auch selbst zu behandeln, während Neurolog*innen fachkundig sein sollten, psychotische Symptome bei ihren Patienten erforderlichenfalls symptomatisch zu behandeln. Engmaschige kollegiale Unterstützung und Weiterbildung – nicht aber die bloße Delegation der Aufgabe an das andere Fach – ist bereichernd für beide Disziplinen, vor allem aber zum Segen der Patient*innen.