Einleitung
Komorbiditäten psychischer und somatischer Erkrankungen bringen Herausforderungen mit sich, z.B. hinsichtlich der Therapiekoordination oder einer reduzierten Inanspruchnahme somatischer Gesundheitsleistungen. In diesem Symposium werden Barrieren und Herausforderungen, aber auch unterstützende Ressourcen und mögliche Maßnahmen beleuchtet.
Methoden
Es werden aktuelle Arbeiten aus den Projekten SoKo und PSY-KOMO (beide gefördert durch den Innovationsfonds des G-BA) vorgestellt, welche verschiedene Aspekte der somatischen Versorgung psychisch Erkrankter mit unterschiedlichen methodischen Zugängen untersuchen. Die ersten zwei Beiträge berichten Zwischenergebnisse aus dem Projekt SoKo: L. Schlomann (Köln) stellt die Ergebnisse qualitativer Befragungen niedergelassener Ärzt*innen aus dem Bereich der Inneren, Allgemeinmedizin und Psychiatrie/Psychotherapie vor. I. Klee (Köln) präsentiert die Ergebnisse von qualitativen Befragungen Betroffener zu Barrieren und Ressourcen in der somat. Versorgung. F. Jacobi (Berlin) präsentiert ein internationales Scoping-Review zu Maßnahmen der Förderung der Inanspruchnahme somatischer Gesundheitsleistungen durch psychisch erkrankte Menschen sowie eine Online-Befragung von schwer psychisch Erkrankten zu verschiedenen Dimensionen erlebter Stigmatisierung. Schließlich gibt N. Wege (Düsseldorf) Einblicke in eine neue sektorenübergreifende Versorgungsform für die Zielgruppe der schwer psychisch Erkrankten in einer multi-zentrischen Interventionsstudie (PSY-KOMO).
Ergebnisse und Ausblick
Es wird deutlich, dass sowohl ubiquitäre Barrieren, wie begrenzte Ressourcen, als auch spezifische Barrieren, wie Stigmatisierungserfahrungen, aufgrund einer psychischen Störung bedeutsam sein können. Vielversprechende Ansätze zur Verbesserung der somatischen Versorgung psychisch kranker Menschen wie Selbstmanagementtrainings, Einsatz von Case-Managern und Gesundheitslots*innen müssen erprobt und nachfolgend in die Regelversorgung überführt werden.
17:15 Uhr
Herausforderungen in der Behandlung von Patient:innen mit somatischen Erkrankungen und psychischen Komorbiditäten aus Sicht von niedergelassenen Ärzt:innen
L. Schlomann (Köln, DE)
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Autor:innen:
L. Schlomann (Köln, DE)
I. Schellartz (DE)
S. Groß (DE)
I. Klee (DE)
E. Gouzoulis-Mayfrank (DE)
Hintergrund: Das Vorliegen einer Komorbidität psychischer und somatischer Erkrankungen stellt nicht nur aus Sicht der Betroffenen, sondern auch aus Sicht der Behandelnden eine große Barriere in der medizinischen Versorgung dar. Faktoren, die die Komplexität der Behandlung erklären, können zum einen personenspezifisch sein. Andere systemimmanente Gründe sind mit der Schwierigkeit verbunden, dieser Patient*innengruppe somatische Gesundheitsversorgung anzubieten. Ziel der Studie ist es, die Erfahrungen von Ärzt*innen in Bezug auf individuelle und strukturelle Faktoren zu untersuchen, die die somatische Versorgung bei psychisch Erkrankten erleichtern oder erschweren. Methode: Zur Identifizierung arztseitiger Herausforderungen in der somatischen Versorgung von psychisch Erkrankten wurden leitfadengestützte Fokusgruppen und Interviews mit niedergelassenen Ärzt*innen verschiedener Fachärzt*innengruppen aus Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Alle Fokusgruppen und Einzelinterviews wurden mit Einwilligung der Teilnehmenden digital aufgenommen, regelgeleitet transkribiert, pseudonymisiert sowie inhaltsanalytisch ausgewertet. Ergebnisse: Es konnten insgesamt neun Ärzt*innen verschiedener Fachärzt*innengruppen befragt werden. Bürokratischen Aufwand sehen die Befragten sowohl auf der Patient*innenseite als auch im eigenen Arbeitsalltag. Auf ärztlicher Seite wurden ebenfalls strukturelle Aspekte als Barriere gesehen. Dazu zählen z.B. Ärzt*innenmangel in ländlichen Regionen und unzureichender interdisziplinärer Austausch unter den Versorgenden. In Bezug auf die Patient*innen wurden eine unzureichende Therapietreue bemängelt. Die Förderung der Selbstwirksamkeit der Patient*innen wurden aus ärztlicher Sicht als wichtige Faktoren für eine gelingende Versorgung gesehen. Schlussfolgerungen: Um den Wunsch des interdisziplinären Austausches zu ermöglichen, können Netzwerkbildungen von Ärzt*innen einen (in)formelle Austausch ermöglichen und so zu einer gelingenden Versorgung beitragen.
17:37 Uhr
Barrieren und Ressourcen in der somatischen Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen aus Betroffenensicht
I. Schellartz (Köln, DE)
I. Klee (Köln, DE)
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Autor:innen:
I. Schellartz (Köln, DE)
I. Klee (Köln, DE)
S. Weber (Köln, DE)
L. Schlomann (Köln, DE)
S. Groß (Köln, DE)
E. Gouzoulis-Mayfrank (Köln, DE)
Hintergrund
Menschen mit somatischen Erkrankungen haben ein erhöhtes Risiko, auch an einer psych. Störung zu erkranken. Zusätzlich nehmen Personen mit psych. Störungen weniger somatische Versorgungsleistungen in Anspruch. Welchen Herausforderungen psychisch Erkrankte in der Inanspruchnahme von somatischen Versorgungsleistungen begegnen und welche Faktoren sich als hilfreich erweisen, ist bisher nur wenig erforscht. Diese sollen nachfolgend explorativ mit Patient*inneninterviews identifiziert werden.
Methode
Es wurden 45 leitfadengestützte Interviews mit Patient*innen der TK mit somat. und psych. Komorbiditäten durchgeführt. Die Interviews dauerten durchschnittlich etwa eine Stunde. Alle Interviews wurden transkribiert und pseudonymisiert. Die Transkripte wurden mittels einer kategoriengestützten Inhaltsanalyse ausgewertet. Die Kategorien wurden in einem kombinierten deduktiv-induktiven Verfahren gebildet.
Ergebnisse
Die psychische Erkrankung selbst, z.B. eine Angststörung, kann Betroffene hemmen, Versorgungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Einige Patient*innen berichten von Stigmatisierungserfahrungen im somatischen Versorgungskontext, die wiederum eine zusätzliche Barriere darstellen. Patient*innen, die sich nicht ernst genommen fühlen, waren in diesem Zusammenhang oft gehemmt, ihre somatischen Symptome vollumfänglich abklären zu lassen. Patient*innen mit hoher Eigeninitiative und Gesundheitskompetenz berichten, dass diese ihnen dabei helfen, die Versorgung ihrer somatischen Erkrankungen zu verbessern. Verschiedene Lots*innen wurden als hilfreich empfunden, die richtigen Ansprechpartner*innen für bestimmte Anliegen zu finden.
Schlussfolgerung
Gerade komplexe somatische und psychische Beschwerden machen es für die Betroffenen schwer, die richtigen Diagnose- und Behandlungsmaßnahmen zu finden. Eine offene Gesprächsatmosphäre kann den genannten Barrieren entgegenwirken und eine weitreichende Beurteilung der Symptomatik gewährleisten.
17:59 Uhr
Förderung der Nutzung von (somatischen) Gesundheitsleistungen durch Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen: ein Scoping-Review
F. Jacobi (Berlin, DE)
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Autor:innen:
F. Jacobi (Berlin, DE)
M. Strunz (DE)
N. Jiménez (DE)
L. Gregorius (DE)
J. Pollmanns (DE)
K. Viehmann (DE)
W. Hewer (DE)
Hintergrund: Eine reduzierte Nutzung von Leistungen der somatischen Gesundheitsversorgung trägt bei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen (severe mental illness; SMI) zum ungünstigeren Verlauf komorbider somatischer Erkrankungen und erhöhter Mortalität bei. Dies ist mit erlebter Stigmatisierung assoziiert und verweist auf Defizite unserer gesundheitlichen Chancengerechtigkeit.
Methoden: Wir präsentieren ein Scoping-Review (Zeitraum 2000-2021; entsprechend PRISMA-Kriterien) zu international publizierten Interventionen, welche die Förderung der Inanspruchnahme von somatischen Gesundheitsleistungen (FIS) bei Menschen mit SMI untersuchen, sowie eine Online-Befragung SMI-Betroffener in Deutschland zu erlebter Stigmatisierung (entsprechend Mental Illness Stigma Framework) bei der Inanspruchnahme des somatischen Versorgungssystems.
Ergebnisse: 1. Review: Identifikation von N=58 Studien zur FIS, Ergebnisdarstellung erfolgt entlang Interventionsart und Outcomes. 2. Stigmatisierungs-Umfrage: Alle 15 Items wurden von 30-80% der Befragten schon mindestens einmal erlebt; weitere Ergebnisdarstellung schließt Beispiele aus Freitextantworten mit ein.
Diskussion: Es finden sich national und international kaum Befunde dahingehend, dass zunächst vielversprechende Ansätze zur FIS (Selbstmanagementtrainings, Einsatz von Case-Managern und Gesundheitslots:innen) auch in eine somatische Regelversorgung überführt werden. Hinsichtlich Stigmatisierung bedeutsam sind insbesondere die mit Diskriminierung verbundenen Konsequenzen für Betroffene (u.a. Unterdiagnostizieren somatischer Erkrankungen, Demoralisierung hinsichtlich des Gesundheitsverhaltens). Sensibilisierung des Gesundheitspersonals für negative Erfahrungen von Betroffenen mit dem Gesundheitswesen und die Förderung der Inanspruchnahme sind Ausgangspunkte für Verbesserungen. Neue Versorgungsformen (Beispiel: PSY-KOMO) sollen dazu beitragen, Barrieren bei der Nutzung von (somatischen) Gesundheitsleistungen abzubauen.
18:21 Uhr
PSY-KOMO – Verbesserung der Behandlungsqualität bei schwer psychisch kranken Menschen zur Reduktion somatischer Komorbidität und Verhinderung erhöhter Mortalität
N. Wege (Düsseldorf, DE)
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Autor:innen:
N. Wege (Düsseldorf, DE)
A. Viehmann (Düsseldorf, DE)
E. Meisenzahl-Lechner (DE)
C. Scholl (DE)
R. Weber (DE)
H. Grabe (DE)
W. Hewer (DE)
M. Hahn (DE)
M. Köhne (DE)
A. Icks (DE)
S. Wilm (DE)
Einführung: Menschen mit SMI (Severe Mental Illness) haben ein höheres Risiko für somatische Komorbiditäten, die zu einer reduzierten Lebenserwartung beitragen können. Aufgrund einer eingeschränkten körperlichen und psychischen Gesundheit, kann der Zugang zur Regelversorgung erschwert sein. Ziel von PSY-KOMO ist es, die Erkennung und Prävention somatischer Erkrankungen bei SMI-Betroffenen und die Behandlungsqualität zu verbessern.
Methode: Es handelt sich um eine multizentrische, nicht-randomisierte, prospektive Längsschnitt-Studie: In vier Regionen Deutschlands werden SMI-Betroffene als an PSY-KOMO Teilnehmende eingeschlossen. Die Evaluation erfolgt auf Basis von Routinedaten. PSY-KOMO setzt auf eine gestufte Versorgung von Patient*innen mit hohem Risiko für somatische Komorbiditäten und den Auf- und Ausbau interdisziplinärer lokaler und regionaler Netzwerke. PSY-KOMO Gesundheitsbegleiter*innen (GBs) koordinieren die Versorgungsnetzwerke und unterstützen bei der Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen (inkl. Prävention). Psychiater*innen erhalten die Möglichkeit, konsiliarisch Pharmakotherapieberatung in Anspruch zu nehmen.
Ergebnisse: Es ist zu erwarten, dass die neue Versorgungsform zu einer besseren Erkennung von somatischen Erkrankungen bei SMI-Betroffenen führt. Außerdem wird erwartet, dass eine stärkere Orientierung der Behandlung an Leitlinien sowie durch die Inanspruchnahme von Tele-Konsilen unerwünschte Arzneimittelwirkungen reduziert werden.
Diskussion: Der Auf- und Ausbau interdisziplinärer Zusammenarbeit und die Etablierung bedarfsorientierter Unterstützungsleistungen können einen Beitrag zur Verbesserung der Versorgung leisten. Das Telemedizinische Konsilangebot kann durch individuelle Beratungsleistungen der behandelnden Ärzt*innen zur Auswahl und Verordnung der psychotropen und somatischen Medikation, gerade im Hinblick auf die Interaktion somatischer und psychotroper Substanzen, zur besseren Qualität der Versorgung beitragen.