Die stationsäquivalente Behandlung nach § 115d SGB V (StäB) ist eine besondere Form des international anerkannten und evidenzbasierten Home Treatment (HT). Für diese komplexe Intervention existieren bis dato v.a. Erfahrungsberichte und Umsetzungsempfehlungen; kontrollierte, multizentrische Studien, welche StäB als Sonderform des HT hinsichtlich unterschiedlicher Zielparameter, Perspektiven und methodischer Ansätze evaluieren, stehen aus. Die quasi-experimentelle „AKtiV-Studie“ mit Propensity-Score-gematchter Kontrollgruppe füllt diese Forschungslücke. Sie hat eine Laufzeit von 36 Monaten und wird vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschuss gefördert. In diesem Zeitraum werden neben der Untersuchung klassisch klinischer Endpunkte wie der stationären Wiederaufnahmerate, der Psychopathologie und Recovery-Orientierung auch Fragen zu Zielpopulationen, Implementierungsbedingungen, Behandlungsprozessen und Wirkfaktoren beantwortet. Dabei werden sowohl die Perspektiven von Patient*innen, Angehörigen und Mitarbeitenden als auch die Standpunkte und Erfahrungen von Akteur*innen aus Politik und Selbstverwaltung eruiert. Damit kann erwartet werden, dass die Studienergebnisse für ein breites Publikum interessant sein und zur praxiswirksamen Weiterentwicklung der StäB beitragen können. Im vorliegenden Symposium werden erste Ergebnisse aus allen Teilprojekten des Forschungsverbundes vorgestellt und kritisch diskutiert. Dies umfasst eine Analyse der Studienpopulation, von Behandlungsabbrüchen in der StäB im Vergleich zur stationären Versorgung, von Routinedaten der StäB in den zehn beteiligten Studienzentren, der Behandlungszufriedenheit der Patient*innen, der verschiedenen Zugangswege in die StäB, der Inanspruchnahme und Kosten von Gesundheitsleistungen in den 6 Monaten vor Beginn der Indexbehandlung sowie eine qualitative Darstellung der Erfahrungen von Nutzer*innen der StäB und deren Angehörigen.
08:30 Uhr
Beschreibung der Studienpopulation und Evaluierung von Prädiktoren für Behandlungsabbrüche von stationsäquivalent behandelten im Vergleich zu stationär behandelten Nutzer:innen
A. Bechdolf (Berlin, DE)
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Autor:innen:
A. Bechdolf (Berlin, DE)
K. Nikolaidis (DE)
P. Brieger (DE)
G. Längle (DE)
J. Timm (DE)
S. von Peter (DE)
Die AKtiV-Studie zielt auf eine erste systematische Untersuchung der Implementierung, Wirksamkeit und der Kosten der Stationsäquivalenten Behandlung (StäB) im Vergleich zur vollstationären Regelbehandlung. Sie wird seit dem 01.01.2021 in zehn Krankenhäusern deutschlandweit, sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten, durchgeführt. In der AKtiV-Studie wurde das Propensity-Score (PS) Matching eingesetzt, um eine vergleichbare Verteilung wichtiger Kovariablen in der Interventionsgruppe und der Kontrollgruppe zu erreichen. 200 Nutzer:innen von StäB-Leistungen und 200 mittels eines PS Matching-Verfahrens ausgewählte Nutzer:innen von Leistungen stationärer Behandlung wurden über einen Zeitraum von 12 Monaten in der Interventionsgruppe und Kontrollgruppe entsprechend rekrutiert. Die zwei Studiengruppen unterscheiden sich in den wesentlichen Kovariablen des PS (Alter, Anzahl der stationären Voraufenthalte inklusive StäB-Aufenthalte, Geschlecht und Diagnosegruppe), nicht signifikant voneinander. Demographische Variablen und klinische Charakteristika der Studienpopulation zum Zeitpunkt der Rekrutierung sowie Parameter betreffend die Indexbehandlung (Behandlungsabbrüche, Behandlungsdauer) und den Studienverlauf (schwerwiegende unerwünschte Ereignisse) werden in Bezug auf die Gruppenzugehörigkeit und die Hypothese des guten Äquivalenten der StäB zur vollstationären Regelbehandlung untersucht. Beobachtete Protokollverletzungen während der Baseline Erhebung werden hinsichtlich der Untersuchung der Zielparameter, nämlich der Wiederaufnahmerate im 12-Monats-Follow Up, diskutiert.
08:52 Uhr
Erfahrungen von Nutzer:innen und Angehörigen mit der stationsäquivalenten psychiatrischen Behandlung – aktueller Stand der qualitativen und kollaborativen Prozess- und Outcome-Evaluation
J. Schwarz (Berlin, DE)
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Autor:innen:
J. Schwarz (Berlin, DE)
L. Göppert (DE)
J. Ziegenhagen (DE)
R. Glück (DE)
S. von Peter (DE)
Hintergrund: Insbesondere im englischsprachigen Raum wurden die Erfahrungen der Nutzer:innen mit aufsuchender psychiatrischer Akutbehandlung untersucht. Unerforscht ist hingegen, wie StäB – als intensive Form des Home Treatment in Deutschland – von Nutzer:innen und Angehörigen erlebt wird und welche Aspekte jeweiliger StäB Umsetzungen für die Genesung als förderlich bzw. hinderlich wahrgenommen werden. Dies zu untersuchen ist Gegenstand des vorliegenden Teilprojektes der AKtiV-Studie (Modul B).
Methode: Um die Sichtweise von Nutzer:innen, Angehörigen und Mitarbeitenden in StäB möglichst angemessen zu erfassen, wurde ein kollaboratives Forschungsdesign gewählt. Das heißt, sowohl Forscher:innen mit und ohne eigene psychiatrische Behandlungserfahrung führen den Forschungsprozess durch. Es kommen qualitative, ethnographische und Mixed-Method-Analysen zum Einsatz.
Ergebnisse: 1. Es wurden qual. Interviews (n=57) mit StäB-Nutzer:innen sowie deren Angehörigen analysiert; 2. hierauf aufbauend sowie auf Basis weiterer empirischer Quellen werden Mindestmerkmale guter aufsuchender psychiatrischer Akutbehandlung aus Sicht von Nutzer:innen entwickelt und durch ein partizipatives Beratungsgremium diskutiert; 3. Schwerpunktthemen (Rolle der Angehörigen, Nähe- und Distanz, Behandler:innenkontinuität) wurden mit Hilfe von Fokusgruppen und Forschungstagebüchern vertiefend untersucht.
Diskussion: Dies ist die erste Studie, welche mittels eines kollaborativen Ansatzes die Erfahrungen mit StäB aus Sicht von primär Nutzer:innen und Angehörigen untersucht. Die Ergebnisse sollen zu einer bedürfnis- und qualitätsorientierten Weiterentwicklung von StäB beitragen. Die entwickelten Versorgungsmerkmale stellen wiederum eine Grundlage für künftige Entwicklungen von nutzer:innenbasierten Qualitätsindikatoren dar.
09:14 Uhr
Analyse von StäB-Routinedaten sowie erster Überblick der Behandlungszufriedenheit der Patient:innen und der Zugangswege in die stationsäquivalente Behandlung
G. Längle (Zwiefalten, DE)
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Autor:innen:
G. Längle (Zwiefalten, DE)
S. Raschmann (DE)
P. Brieger (Haar, DE)
J. Hamann (München, DE)
Die multizentrische quasi-experimentelle „AKtiV-Studie“ gliedert sich inhaltlich in unterschiedliche Forschungsschwerpunkte. Im Fokus des Moduls der Beitragenden dieses Vortrags stehen neben den Analysen der organisatorischen und strukturellen Unterschiede der beteiligten Studienzentren, die Routinedatenanalysen der StäB Behandlung. Auch die Prozessevaluation in den beteiligten StäB-Teams sowie die Zufriedenheit der an der Behandlung beteiligten Personengruppen (Patient:innen, Angehörige, Mitarbeitende) ist grundlegender Teil des Forschungsschwerpunktes in diesem Modul. Zudem werden die verschiedenen Zugangswege in die StäB sowie die empfundene Einbeziehung in die medizinischen Entscheidungswege beleuchtet.
Erster Teil des Beitrags bildet die Darstellung und Diskussion der vielfältigen und heterogenen Strukturen der beteiligten StäB-Teams. Mittels verfügbarer Routinedaten aus der abgeschlossenen Baseline-Erhebung erfolgt eine erste deskriptive Beschreibung der StäB-Behandlung an den jeweiligen Studienzentren sowie ein Vergleich dieser Daten zu den im gemeinsamen Bericht zu den Auswirkungen der StäB von GKV, PKV und DKG (12/2021) dargestellten Ergebnissen. Erste Ergebnisse zur Behandlungszufriedenheit der Patient:innen in den beiden Behandlungsformen werden beschrieben und einander gegenübergestellt.
In der Analyse des Studienzentrums München (C2) wurden Direktaufnahnmen ins StäB mit Verlegungen von Station verglichen. Dies waren dort ca. 50% aller StäB-Aufnahmen. Patient:innen mit Direktaufnahmen litten häufiger unter affektiven Erkrankungen, waren weniger schwer krank, zeigten selten eine Sprachbarriere und gingen öfter einer Erwerbstätigkeit nach. Die Dauer der StäB-Behandlung unterschied sich in den beiden Gruppen nicht.
09:36 Uhr
Inanspruchnahme und Kosten von Gesundheitsleistungen der AKtiV-Studienpopulation im Vorfeld der Indexbehandlung
R. Kilian (Günzburg, DE)
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Autor:innen:
R. Kilian (Günzburg, DE)
T. Waldmann (Günzburg, DE)
C. Frank (Günzburg, DE)
Hintergrund: Neben einer Steigerung der Bedarfsorientierung der psychiatrischen Akutbehandlung soll die stationsäquivalente psychiatrische Behandlung (StäB) dazu beitragen, das Verhältnis von Ressourceneinsatz und Ergebnissen der psychiatrischen Versorgung zu verbessern. Bislang liegen zur gesundheitsökonomischen Evaluation von StäB Angeboten in Deutschland keine aussagekräftigen Studien vor.
Untersuchungsziel: Im Teilprojekt zur gesundheitsökonomischen Evaluation der AKtiV Studie soll überprüft werden, inwieweit diese Zielsetzung im Rahmen der aktuell implementierten Form der StäB erreicht wird.
Methode: Im Rahmen der AKtiV Studie wird eine Kosten-Nutzwertanalyse aus der volkswirtschaftlichen Perspektive für die Kosteneffektivität der StäB im Vergleich zur stationären psychiatrischen Akutbehandlung (TAU) durchgeführt. Die Erfassung der Jährlichen Krankheitskosten erfolgt mit der deutschen Version des Client Sociodemografik and Service Receipt Inventory (CSSRI-D). Die Berechnung qualitätsadjustierter Lebensjahre (QALYs) erfolgt auf Basis der 5L Version des EuroQol (EQ-5D-5L) und des aktuellen deutschen Nutzwertdatensets. Die Berechnung der Kostennutzwertrelation erfolgt nach der Nettonutzenmethode. Die Schätzung der stochastischen Unsicherheit erfolgt mittels nonparametrischem Bootstrapping.
Ergebnisse: Aktuell liegen für insgesamt 399 (200 STäB; 199 TAU) StudienteilnehmerInnen Daten zur Inanspruchnahme und Kosten von Gesundheitsleistungen für den Zeitraum von 6 Monaten vor Studienbeginn vor. Die durchschnittlichen halbjährlichen Gesamtkosten für alle StudienteilnehmerInnen liegen bei 7.873,40 € (SD = 10.047,01 €), dabei belaufen sich die Kosten für die Kontrollgruppe auf 6.964,64 € (SD = 9.693,05 €) und für die StäB Gruppe auf 8.777,63 € (SD = 10.332,20 €), wobei die Differenz zwischen den Gruppen nicht signifikant ist. In beiden Untersuchungsgruppen bilden die Kosten für die stationäre psychiatrische Behan