Angesichts der COVID-19-Pandemie gelten Menschen mit psychischen Erkrankungen als besonders vulnerabel für negative Effekte auf die psychische Gesundheit. Zugleich erhöhen psychische Erkrankungen das Risiko für COVID-19-assoziierte Morbidität und Mortalität.
Was können wir aus den pandemiebedingten Herausforderungen für die psychiatrisch-psychotherapeutische Regelversorgung lernen? Hauke Wiegand präsentiert Ergebnisse der COVID Ψ-Studien, in denen ambulante Psychiater:innen und Leitungspersonal von Kliniken befragt sowie Routinedaten ausgewertet wurden. Schwerpunkte sind Veränderungen der Inanspruchnahme, Risikogruppen für eine schlechtere Versorgung sowie Telemedizin.
Die Pandemie hat auch den Bedarf an (tages-)aktuellen Informationen zu Veränderungen der Krankheitslast und Versorgungssituation für eine gezielte Handlungssteuerung aufgezeigt. Routinedaten aus Notaufnahmen haben ein hohes Potenzial zur Nutzung für eine Mental Health Surveillance in Krisenzeiten, da Häufigkeiten/Verteilungen spezifischer Anwendungsfälle in Echtzeit abgebildet werden können. Julia Thom und Carmen Schlump präsentieren den methodischen Ansatz sowie Ergebnisse der Notaufnahmesurveillance von Suizidversuchen, psychiatrischen Notfällen und Alkoholintoxikationen während der Pandemie.
Angela Kunzler stellt ein systematisches Review zu Auswirkungen auf Menschen mit psychischen Erkrankungen auf Basis von Longitudinalstudien vor. Neben Veränderungen im Vergleich zu vor der Pandemie werden peripandemische Verläufe betrachtet und Schlussfolgerungen für verschiedene Diagnosegruppen gezogen.
Schwere psychische Erkrankungen gehen generell mit einer 'mortality gap' im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung einher, weshalb hohe Impfraten von hoher Public Health-Priorität sind. Kristina Adorjan präsentiert Ergebnisse der COVID Ψ Vac Studie zu Impfquoten bei psychiatrischen Patient:innen und diskutiert Praxisbeispiele sowie Empfehlungen zum Impfen von Risikopopulationen in der psychiatrischen Versorgung.
13:30 Uhr
Was können wir aus den Problemen, Herausforderungen und bewährten Praktiken während der COVID-19-Pandemie lernen? – Erkenntnisse für die psychische Gesundheitsversorgung aus den NUM egePan COVID Ψ-Studien
H. Wiegand (Mainz, DE)
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Autor:in:
H. Wiegand (Mainz, DE)
1. In den initialen Hochinzidenzphasen 2020/2021 kam es zu deutlichen Angebots-Reduktionen im (teil-)stationären Sektor um Hygienekonzepte und Isolations-Kapazitäten umzusetzen und aufgrund gesundheitspolitischer Fehlanreize. Es wurden als Folge und wegen fehlender Möglichkeiten zu ambulanter Kompensation vielfach vermehrte Komplikationen und akute Aufnahmen berichtet. Diese Ergebnisse zeigen die Folgen stationärer Kapazitätsreduktionen ohne Aufbau koordinierter ambulanter Alternativen und die Relevanz einer Auflösung der strikten Sektorengrenzen zugunsten Gesamtverantwortung für die regionale Versorgung.
2. Sie zeigen, wie problematisch starke gesundheitspolitische Eingriffe ohne ausreichendes wissenschaftliches datenbasiertes Monitoring sind. Es sind für die Versorgungsforschung datenschutzkonform zugängliche, alle Sektoren umfassende aktuelle Routinedatenbanken erforderlich.
3. Im ambulanten Sektor zeigte sich ein Rückgang der Inanspruchnahme zu Beginn der Pandemie, hingegen eine Zunahme in deren Verlauf. Die initiale Abnahme wurde insbesondere Schutzmaßnahmen und Infektionsängste zugeordnet, die spätere Zunahme sozialen und wirtschaftlichen Belastungen. Auch gab es vermehrt Kontakte bei V.a. Post-COVID-Syndrom, für die Versorgungsangebote erforderlich sind.
4. Ambulant wie stationär wurde in der Pandemie vielfach eine telemedizinische Infrastruktur aufgebaut und insbesondere bei affektiven und Angststörungen erfolgreich genutzt. Zusatzaufwand, technische Hürden für viele schwer betroffene Patient:innen und eine unklare Vergütungssituationen stellen die Weiternutzung z.T. in Frage.
5. Sowohl bei der Behandlung von Menschen mit schweren psychischen Störungen und komorbider SARS-CoV-2-Infektion wie bei der Herausforderung ausreichender Impfraten bei psychisch kranken Risikogruppen, um eine Aufweitung der Mortality Gap zu verhindern, zeigt sich die Relevanz der Integration somatischer Medizinangebote in psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgungsstrukturen.
13:52 Uhr
Nutzung von Routinedaten aus Notaufnahmen zur Surveillance psychiatrischer Notfälle während der COVID-19-Pandemie
C. Schlump (Berlin, DE)
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Autor:innen:
C. Schlump (Berlin, DE)
J. Thom (Berlin, DE)
B. Erdmann (Wolfsburg, DE)
R. Otto (Magdeburg, DE)
M. Schranz (Berlin, DE)
Hintergrund: In Krisenlagen wie der COVID-19-Pandemie benötigt eine effektive Handlungssteuerung kontinuierliche Informationen zum Gesundheitszustand der Bevölkerung. Routinedaten aus Notaufnahmen ermöglichen die syndromische Surveillance in Echtzeit für eine Vielzahl an Gesundheitsphänomenen. Um das Potenzial der Datenquelle für Aussagen zur Entwicklung der psychischen Gesundheit der Bevölkerung optimal zu nutzen, müssen Herausforderungen dieser Sekundärdaten berücksichtigt werden.
Methoden: Am RKI wurden zur Exploration von psychiatrischen Notfällen, Suizidversuchen und akuten Alkoholintoxikationen Daten aus dem AKTIN-Notaufnahmeregister und dem ESEG-Projekt genutzt. Durch die Kombination von Vorstellungsgründen und Diagnosen konnten jeweils Fälle identifiziert und in Zeitreihen dargestellt werden. Erfasste Fallzahlen und Verteilungen wurden in den Forschungsstand eingeordnet bzw. mit Daten der stationären Versorgung verglichen. Klärungsbedarfe zugunsten einer aussagekräftigen Interpretation wurden identifiziert.
Ergebnisse: Die prinzipielle Durchführbarkeit einer syndromischen Surveillance psychischer Gesundheit bietet einen Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung einer Mental Health Surveillance mit Notaufnahmedaten. Herausforderungen bestehen in Differenzen der Fallschätzungen zwischen Kliniken oder nach Einbezug unterschiedlicher Dokumentationssysteme und -anforderungen sowie Vollständigkeit in der Variablenerhebung.
Diskussion: Die Nutzung von Routinedaten aus Notaufnahmen für die syndromische Surveillance erfordert den Umgang mit Abweichungen der Vollständigkeit und Konsistenz der Daten für die zuverlässige Abbildung zeitlicher Veränderungen der psychischen Gesundheit während der Pandemie. Zu einer optimalen Evidenzbasis können u.a. eine Erweiterung der Anzahl teilnehmender Kliniken und eine Anpassung der Syndromdefinitionen an die gegenwärtige Kodierpraxis beitragen. Validierungsstudien können die Optimierung von Syndromdefinitionen unterstützen.
14:14 Uhr
Psychische Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Menschen mit psychischen Erkrankungen – Ergebnisse eines systematischen Reviews zu längsschnittlichen Beobachtungsstudien
S. Schäfer (Mainz, DE)
14:36 Uhr
COVID-19-Impfraten bei hospitalisierten Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung in Deutschland – Ergebnisse der COVID-Psy-Vac-Studie
K. Adorjan (München, DE)