Sachverständigenräte, Fachgesellschaften, Patienten- und Angehörigenorganisationen haben Empfehlungen für das deutsche Versorgungsystems formuliert, diese sind aber größtenteils nicht Teil der Regelversorgung und wenn, dann gesetzlich wie inhaltlich nicht nach Evidenz implementiert.
RECOVER ist das Synonym für ein gestuftes, integriertes und koordiniertes Versorgungsmodell psychischer Erkrankungen, dessen Erprobung von 2017 bis 2021 durch den Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gefördert wurde. RECOVER erprobt damit erstmals weltweit eine gestufte Versorgung diagnoseübergreifend in einem gesamten Versorgungssektor. Um den Transfer des Modells zu erproben und systematisch zu untersuchen, wurde RECOVER noch in der Projektlaufzeit in den Versorgungsektor des Klinikums Itzehoe transferiert.
Effektivität und Effizienz von RECOVER versus Regelversorgung wurde in Hamburg in einer mono-zentrischen, prospektiven randomisiert-kontrollierten Studie untersucht. Die Studie hatte drei primäre Erfolgsparameter: Kosten, Psychosoziale Gesundheit, Kosteneffektivität. Verglichen wurden diese auf der Basis einer individueller Randomisierung für die RECOVER-Interventionsgruppe und eine Treatment As Usual Kontrollgruppe (Regelversorgung) bei 905 Patienten.
Das Symposium informiert ausführlich in vier Vorträgen über Rationalen, Strukturierung und Implementierung des RECOVER-Modells, über die Ergebnisse bzgl. Kosten, psychosoziale Gesundheit und Kosteneffektivität und abschließend über die Schlussfolgerungen und Empfehlungen für das deutsche Versorgungssystem, die dem Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gegeben wurden.
17:15 Uhr
Rationalen, Strukturierung und Implementierung des RECOVER-Modells
M. Lambert (Hamburg, DE)
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Autor:in:
M. Lambert (Hamburg, DE)
RECOVER ist das Synonym für ein Versorgungsmodell, dessen Implementierung und Erprobung vom 1.7.2017 bis 30.6.2021 durch den G-BA gefördert wurde. RECOVER hat erstmals weltweit eine gestufte, integrierte und koordinierte Versorgung diagnoseübergreifend in einem gesamten Versorgungsektor umgesetzt und erprobt.
Die Ausganglage ist, dass ca. 27 % der Bevölkerung pro Jahr von einer psychischen Erkrankung betroffen sind, bei ca. 20% (13,1 Millionen) führt die Erkrankung zu relevanten Einschränkungen der Funktionalität. Bei diesen 20% bestehen Unterschiede bezüglich des Schweregrades: 9-12% haben einen leichten Schweregrad, 4-6% einen Mittleren, 2% einen Hohen und 2% leiden unter einer schweren und anhaltenden psychischen Erkrankung. Die durch psychische Erkrankungen entstehenden Kosten waren 2015 (Referenzjahr): 146 Milliarden € direkte und indirekte Kosten, 44,4 Milliarden € direkte Kosten und davon 24,9 Milliarden € Krankenhauskosten.
Die drei Grundsätze des Modells sind: (1) die effektivste und am meisten ressourcensparende Behandlung ist immer die erste Therapieoption, (2) die Versorgung ist sektoren- und fachübergreifend mit Versorgungsprozessen und Qualitätssicherung, (3) es sind nur Behandlungskomponenten integriert, die im Sinne der evidenzbasierten Medizin einen Wirksamkeitsnachweis erbracht haben, denn nur diese können effizient sein.
Auf Basis dieser Vorgaben gehörten zur Entwicklung und Implementierung (a) die Bildung eines sektorenübergreifenden Versorgungsnetzwerks mit zuletzt 275 Partnern/-institutionen, (b) die Implementierung gestufter, integrierter und koordinierter Versorgungsprozesse nach Managed Care Prinzipien, (c) die Integration evidenzbasierter Behandlungsmodelle inkl. Crisis Resolution Team (CRT), Assertive Community Treatment (ACT), Case Management (CM) und Supported Employment (SE), (d) die Entwicklung und Integration von E-Mental-Health (eRECOVER) und (e) eine sektorenübergreifende Qualitätssicherung mit 12 Qualitätssicherungsmanualen.
17:37 Uhr
RECOVER versus Regelversorgung: Verbesserung von psychosozialer Gesundheit und Partizipation
J. Peth (Hamburg, DE)
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Autor:innen:
J. Peth (Hamburg, DE)
A. Karow (Hamburg, DE)
M. Lambert (Hamburg, DE)
J. Gallinat (Hamburg, DE)
A. Zapf (Hamburg, DE)
A. Hot (Hamburg, DE)
A. Ozga (Hamburg, DE)
H. König (Hamburg, DE)
A. Konnopka (Hamburg, DE)
H. König (Hamburg, DE)
H. Schulz (Hamburg, DE)
Das RECOVER Modell wurde in Hamburg im Rahmen eines RCT evaluiert. Die Interventionsgruppe (IG) konnte für 12 Monate die RECOVER Behandlung nutzen, die Kontrollgruppe (KG) erhielt die Regelversorgung. Dabei sollte unter anderem untersucht werden, inwiefern RECOVER im Vergleich zur Regelversorgung nicht nur gesundheitsökonomische Vorteile bringt, sondern auch eine größere Verbesserung im „Psycho-Sozialen-Funktionsniveau“ ermöglicht. Studienteilnehmende wurden zur Baseline einem von vier Schweregraden zugeordnet, wobei die Behandlungsintensität von Stufe 1 bis Stufe 4 zunahm.
Das „Psycho-Sozialen-Funktionsniveau“ wurde als gleichgewichteter kombinierter Wert aus dem Modul A des HEALTH-49, dem Wert im GAF und der psychischen Summenskala des SF-12 errechnet. Für den Differenzwert zwischen Baseline und Zeitpunkt nach 12 Monaten Studienteilnahme wurde ein lineares Model (ANCOVA) berechnet mit den Kovariaten Gruppe (IG, KG), Schweregrad (Stufe 1-4) und Baselinewert des „Psycho-Sozialen-Funktionsniveau“. Interaktion zwischen Gruppe und Schweregrad wurden ggf. berücksichtigt. Fehlende Werte zur Baseline und für Verlaufsdaten wurden imputiert.
Für die intention-to-treat Stichprobe von 901 Personen zeigte sich eine größere Verbesserung im „Psycho-Sozialen-Funktionsniveau“ in der IG gegenüber der KG um für die Kovariaten adjustiert -.38 (p = .014). Dieser Vorteil war unabhängig vom Schweregrad.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Versorgung mit dem RECOVER Modell der Regelversorgung hinsichtlich der Verbesserung im „Psycho-Sozialen-Funktionsniveau“ leicht überlegen zu sein scheint, wobei sie erhebliche direkte und indirekte Kosten einspart.
17:59 Uhr
RECOVER versus Regelversorgung: Kosten und Kosteneffektivität
A. Konnopka (Hamburg, DE)
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Autor:innen:
A. Konnopka (Hamburg, DE)
H. König (Hamburg, DE)
J. Gallinat (Hamburg, DE)
M. Lambert (Hamburg, DE)
A. Karow (Hamburg, DE)
J. Peth (Hamburg, DE)
H. Schulz (Hamburg, DE)
A. Zapf (Hamburg, DE)
H. König (Hamburg, DE)
Einleitung
Das Ziel dieser Studie war es, mögliche Potentiale für Kosteneinsparungen durch RECOVER zu identifizieren und die Kosteneffektivität von RECOVER aus einer gesellschaftlichen Perspektive abzuschätzen.
Methode
Im Studienzeitraum wurde die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen erfasst, die anschließend mit standardisierten Kostensätzen monetär bewertet wurde. Dabei berücksichtigten wir sowohl medizinische Behandlungskosten als auch Produktivitätsverluste. Als Effektmaß wurden QALYs berechnet. Die Unsicherheit wurde in Szenario-Analysen durch die Schätzung von Kosten-Effektivitäts-Akzeptanzkurven abgebildet.
Ergebnisse
Insgesamt waren Daten für n=447 Probanden in der RECOVER- und n=444 in der Kontrollgruppe verfügbar. Die durchschnittlichen adjustierten Kosten waren 17.911€ in der RECOVER- und 22.950€ in der Kontrollgruppe, was einer Kosteneinsparung durch RECOVER von durchschnittlich 5.039€ entsprach. Für die Effektivität fand sich ein nicht-signifikanter QALY-Gewinn von durchschnittlich 0,01 QALYs, was im Punktschätzer Dominanz von RECOVER entsprach. Die Kosten-Effektivitäts-Akzeptanzkurven zeigten, dass RECOVER für alle untersuchten Szenarien außer die Subgruppe „Schweregrad 1“ mit mehr als 95 % Wahrscheinlichkeit kosteneffektiv war.
Schlussfolgerung
RECOVER war mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit kosteneffektiv. Dieses Ergebnis beruht auf erheblichen mit RECOVER verbundenen Kosteneinsparungen, die vor allem im stationären Bereich auftraten und teilweise von erhöhten ambulanten Kosten kompensiert wurden. Auch wenn die Ergebnisse nicht repräsentativ sind, liegt die Vermutung nahe, dass durch Behandlungsstrategien wie RECOVER erhebliche Ressourcen im stationären Bereich freigesetzt werden könnten, die anschließend für ambulante Behandlungen zur Verfügung stünden. Da letztere erheblich kostengünstiger sind, könnten insgesamt deutlich mehr Patienten behandelt und die Versorgung psychisch kranker Menschen insgesamt verbessert werden.
18:21 Uhr
Schlussfolgerungen, Empfehlungen und Transfer für und in das deutsche Versorgungssystem
A. Karow (Hamburg, DE)
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Autor:innen:
A. Karow (Hamburg, DE)
A. Deister (DE)
H. König (DE)
A. Konnopka (DE)
D. Lüdecke (DE)
H. Peter (DE)
J. Peth (DE)
H. Schulz (DE)
A. Zapf (DE)
J. Gallinat (DE)
M. Lambert (DE)
Die gestufte, integrierte und koordinierte Versorgung für Menschen mit psychischen Erkrankungen nach dem RECOVER-Modell wurde in einem großstädtischen Versorgungssektor (Hamburg) implementiert und wissenschaftlich hinsichtlich der Hauptfragestellungen: 1. direkte und indirekte Versorgungskosten, 2. psycho-soziales Funktionsniveau und 3. Kosteneffektivität, sowie sekundärer Fragestellungen in einer randomisiert-kontrollierten Studie im Vergleich zu der Regelversorgung diagnoseübergreifend evaluiert. Zudem wurde das Modell in eine ländlich-kleinstädtische Region (Kreis Steinburg Itzehoe) transferiert.
Die Ergebnisse bestätigten die erfolgreiche Implementierung und Erprobung der gestuften, integrierten und koordinierten Versorgungsprozesse nach den Prinzipien des Managed Care in dem Versorgungsnetzwerk mit den beteiligten Krankenkassen hinsichtlich der Effektivität und Effizienz.
Für das RECOVER-Modell wird somit ein großes Potential für die Verstetigung und Implementierung in anderen Regionen gesehen, Umsetzungsschwierigkeiten insbesondere hinsichtlich der sektorübergreifenden Versorgung schwer erkrankter Patienten und der strukturellen Implementierung werden diskutiert. Manuale wurden für alle Kernelemente des RECOVER Modells (u.a. Crisis Resolution Team (CRT), Assertive Community Treatment (ACT), Supported Employment (SE), Peer Support und e-Therapie) entwickelt und stehen für eine qualitätsgesicherte zur Verfügung (frei erhältlich über www.recover-hamburg.de). Darüber hinaus werden ein mögliches Kostenerstattungsmodell und die vertragliche Umsetzung nach §118a PIA Ergänzungsvereinbarung diskutiert.