Auf dem Kongress 2021 haben wir mehrfach zur Konzeption dieser laufenden randomisiert-kontrollierten Studie auf 55 psychiatrischen Stationen in Deutschland berichtet. Die Intervention war die operationalisierte Implementierung von 12 Handlungsempfehlungen für multiprofessionelle Teams. Geprüft wird, ob Anzahl und Dauer der Zwangsmaßnahmen und der Aggressionsereignisse reduziert werden (www.prevco.de). Bis zum Kongress liegen die wichtigsten Ergebnisse der Interventionsphase (Interventionsstationen vs. Kontrollstationen) und der qualitativen Begleitforschung vor. Außerdem können die auf den Stationen tätigen forschenden Implementierungsberater:innen umfangreiche Erfahrungen mit Implementierungsprozessen unter den Bedingungen der Pandemie berichten, die auch über die PreVCo-Studie hinausweisen. Wir haben insgesamt nur drei Vorträge vorgesehen, zwei davon aber mit mehreren Referent:innen.
13:30 Uhr
Wie wirksam war die Implementierung der Leitlinienempfehlungen? Ergebnisse des RCT
S. Hirsch (Biberach, DE)
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Autor:innen:
S. Hirsch (Biberach, DE)
PreVCo-Forschungsgruppe (DE)
E. Flammer (DE)
T. Steinert (DE)
National und international wird viel Geld für Leitlinienentwicklung ausgegeben. Es wird befürchtet, dass viele der Leitlinienempfehlungen nicht in der klinischen Praxis und damit beim Patienten ankommen, da es kaum Programme zur Einführung der Empfehlungen, deren wissenschaftliche Überprüfung oder zum Qualitätsmanagement gibt. Die PreVCo (Prevention of Violence and Coercion)-Studie ist ein deutschlandweites RCT. Sie begleitet die landesweite Implementierung der S3-Leitlinie zur Vermeidung von Zwang und zur Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens wissenschaftlich.
Ziel ist es die Leitlinie flächendeckend zu implementieren und zu zeigen, dass in Studien entwickelte Interventionen auch im klinischen Alltag zur Vermeidung von Zwang führen.
55 Stationen in ganz Deutschland können aus einem Set von 12 Implementierungsempfehlungen (z. B. Einführung von Safewards, Einstellung von Peers) wählen, die dann mit Hilfe von speziellen Implementierungsberatenden in multiprofessionellen Workshops eingeführt werden. Die Implementierung wird gemeinsam vorbereitet und während des Prozesses stehen die Implementierungsberatenden den Stationen für Nachfragen zur Verfügung.
Es wird ein Matched-Pair-Design mit Wartelistenkontrollgruppe verwendet. Die Studie läuft insgesamt 2 Jahre. Die Hälfte der Stationen erhält die Intervention im ersten, die andere Hälfte im zweiten Jahr. Der primäre Endpunkt sind Zwangsmaßnahmen pro Monat und belegtes Bett. Der sekundäre Endpunkt sind die Güte der Implementierung und damit Leitlinientreue der Arbeit der Station nach Implementierung. Diese wird mit einem extra hierfür entwickelten PreVCo-Score ermittelt. Als wichtige Kontrollvariable werden aggressive Übergriffe pro Monat und Bett miterhoben.
Erste Ergebnisse des RCTs (Vergleich der Stationen, die die Interventionen schon implementiert haben, mit Stationen der Warteliste) sowie ein Vergleich der RCT-Ergebnisse mit den Baselinedaten werden vorgestellt.
14:00 Uhr
Was hat gewirkt? Qualitative Ergebnisse zu Förderfaktoren und Barrieren bei der Implementierung der PreVCo-Leitlinienempfehlungen
S. Jaeger (Ravensburg, DE)
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Autor:innen:
S. Jaeger (Ravensburg, DE)
M. Kampmann (Ravensburg, DE)
PreVCo-Forschungsgruppe (DE)
Einleitung: Seit 2020 läuft die bundesweite PreVCo-Studie zur extern begleiteten Implementierung von Handlungsempfehlungen der S3-Leitlinie in Form eines RCTs mit Warte-Kontrollgruppen-Design auf insgesamt 55 allgemeinpsychiatrischen Stationen. Neben den möglichen Effekten der Intervention bezogen auf die Häufigkeit und Dauer von Zwangsmaßnahmen auf den teilnehmenden Stationen interessierte auch, welche Faktoren aus Sicht der Stationsmitarbeitenden den Implementierungsprozess begünstigt und welche ihn erschwert haben; außerdem, ob und welche Veränderungen im Rahmen der Studienteilnahme im Stationsalltag wahrgenommen wurden.
Methoden: Mehrere Mitarbeitende der Stationsteams wurden mittels eines problemzentrierten Interviews zu verschiedenen Zeitpunkten der Implementierung zu ihren Erfahrungen im Prozess befragt. Die Zuteilung des Interviewzeitpunkts erfolgte zufällig. Die Transkripte wurden mit einem Analyseschema in Anlehnung an den Consolidated Framework for Implementation Research (CFIR) inhaltsanalytisch ausgewertet.
Ergebnisse: Die vorgestellte Auswertung beruht auf 27 Interviews mit Mitarbeitenden der Stationen der Interventionsgruppe nach erstem, zweiten oder dritten Implementierungsworkshop. Die Einführung der von den Stationen gewählten Maßnahmen zur Reduktion von Aggression und Zwang auf Station stieß generell auf großes Interesse. Bei der praktischen Umsetzung im Stationsalltag stellten u.a. ungünstige organisatorische Strukturen, personelle Engpässe und vor allem pandemiebedingte Veränderungen des Routinebetriebs besondere Herausforderungen für die Teams dar. Besonders gewürdigt wurde aber auch der Beitrag der Studienteilnahme zu einer stärkeren Sensibilisierung für Patient*innenbedürfnisse und die Spielräume des eigenen Handelns zugunsten einer zwangfreieren Psychiatrie.
14:30 Uhr
Die strukturierte Implementierung der 12 Empfehlungen zur Verhinderung von Zwang und Gewalt: Was hat bei wem gewirkt?
D. Sauter (Ravensburg, DE)
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Autor:innen:
D. Sauter (Ravensburg, DE)
J. Junghanss (Berlin, DE)
F. Bühling-Schindowski (Berlin, DE)
Die Implementierung komplexer Interventionen in multiprofessionellen Stationsteams erfordert ein strukturiertes wie auch situationsadaptives Vorgehen. Im Rahmen der PreVCo-Studie haben deutschlandweit 55 psychiatrische Stationsteams 3 der 12 PreVCo Implementierungsempfehlungen zur Verhinderung von Zwang und Gewalt über ein Jahr implementiert. Die Teams wurden von Implementierungsberatenden kontinuierlich beraten und begleitet. In Orientierung an das Ottawa Model of Reseach Use wurden vier umfängliche Workshops sowie Maßnahmen für das fortlaufende Monitoring angeboten. Die Implementierungsprozesse und -erfolge wurden gemeinsam fortlaufend eingeschätzt.
Die Einschätzung des aktuellen Umsetzungsgrades einzelner Empfehlungen für leitliniengerechtes Handeln (PreVCo-Rating) ist für Teams sehr impulsgebend. Psychiatrische Teams sind motiviert den Umgang mit Aggression und Zwang zu verbessern. Hinsichtlich der gewählten Empfehlungen und bei der Auswahl geeigneter Umsetzungsstrategien unterschieden sich die Teams sehr. Viele, aber nicht alle Barrieren und Förderfaktoren konnten beeinflusst werden. V.a. aufgrund der coronabedingten Restiktionen und Belastungen mussten Implementierungsziele und –pläne fortlaufend angepasst und teilweise bescheidener definiert werden. Der Zeitraum von über einem Jahr ermöglichte neben vertrauensvoller Zusammenarbeit auch das Wahrnehmen und Abschließen von Veränderungsprozessen.
Eine erfolgreiche Implementierung von Handlungsempfehlungen zur Verhinderung von Zwangsmaßnahmen profitiert von einer strukturierten Begleitung und Beratung des gesamten multiprofessionellen Stationsteams. Um Veränderungen nachhaltig zu erwirken, muss das Thema außerhalb der Alltagsroutinen explizit bearbeitet werden. Wichtig und motivationsfördernd sind realisierbare Meilensteine, die Unterstützung durch Führungspersonen, die Identifikation von gemeinsamen Zielen im multiprofessionellen Team, und v.a. das auf die spezifischen Belange der Teams zugeschnittene Vorgehen.