Auch in diesem Jahr präsentiert ein deutsches Netzwerk aus Psycholog:innen und Psychiater:innen auf dem DGPPN-Kongress die Herausforderungen und aber auch Chancen für eine erfolgreiche Behandlung schwerhöriger und gehörloser Patient:innen. Auf der Grundlage wissenschaftlicher Daten werden Erfahrungen aus der Praxis vorgestellt und eingeordnet.
Aktuelle Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (2021) gehen von weltweit 1,5 Milliarden Menschen aus, die unter einer Form des Hörverlustes leiden. Schulze & Zahnert (2001) gehen von einer Erhöhung dieser Anzahl der Betroffenen auf Grund von Lärmexposition und demographischem Wandel aus. So wird Akzeptanz und Umgang mit der Hörminderung einerseits selbst ein Thema psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung, während die Hörminderung andererseits auch eine Kommunikationseinschränkung bei der Behandlung anderer psychischer Erkrankungen darstellt. Auf diese spezifischen inhaltlichen Anforderungen sowie kontextabhängigen Bedürfnisse der Betroffenen muss daher gezielt eingegangen werden, um Behandlungserfolge zu erzielen.
Ziel des Symposiums ist, verschiedene Blickwinkel in der Arbeit mit hörgeschädigten Menschen zu betrachten: so wird vorgestellt, wie Selbsthilfe-Interventionen auch in der Versorgung von schwerhörigen Menschen integriert werden können und wie die psychotherapeutische Versorgungslage konkret verbessert werden kann. Ergänzend wurde ein 1-Tages-Workshop zum Thema „Kommunikationsbehinderungen: Möglichkeiten und Grenzen der therapeutischen Arbeit“ beim DGPPN eingereicht.
08:30 Uhr
Taub, schwerhörig, gehörlos? Deaf awareness in der medizinischen Ausbildung
J. Kruse (Leipzig, DE)
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Autor:in:
J. Kruse (Leipzig, DE)
Kommunikation hörender Mediziner:innen mit tauben Patient:innen kann alltäglich von unüberwindbar scheinenden Barrieren geprägt sein. Angehörige medizinischer Fachberufe sehen sich im Kontakt mit schwerhörigen und gehörlosen Patient:innen oft überfordert. Die Implementierung von spezifischen Lerneinheiten zur Sensibilisierung Studierender für die kommunikativen Bedürfnisse hörgeschädigter Patient:innen in das Curriculum der medizinischen Fakultäten erlaubt diese Barriere von ärztlicher Seite aus abzubauen und allen Patient:innen eine angepasste medizinische Versorgung zu ermöglichen. Die Evaluation eines niedrigschwellig einsetzbaren Workshops soll hier näher betrachtet werden.
09:00 Uhr
Vorstellung einer Einzelermächtigungspraxis für Menschen mit Hör- und Kommunikationsstörungen am Uniklinikum Leipzig
K. Tretbar (Leipzig, DE)
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K. Tretbar (Leipzig, DE)
Der Zugang zu psychotherapeutischen Angeboten ist für Menschen mit UND durch eine Hör- und Kommunikationsbehinderung erschwert. Spezialisierte Angebote sind mit weiten Anfahrtswegen (z. B. nach Berlin, Erlangen) und langen Wartezeiten verbunden. Zudem ist diese „unsichtbare Behinderung“ oft auch mit (von außen herangetragenen) Vorurteilen, Hilflosigkeitserleben (auf Seiten der Betroffenen, aber auch bei seinen Gesprächspartner:innen), Schamgefühlen und sozialem Rückzugsverhalten der Betroffenen verknüpft. Es besteht die Gefahr, dass es durch die Kommunikationsbehinderung und die daraus entstehenden Missverständnisse überhaupt nicht zu einer Therapie oder zu ungeklärten Kontakt-/Therapieabbrüchen kommt. Durch die ungenügende Versorgungslage und teils unangepassten Interventionen besteht die Gefahr einer Progredienz und/oder Chronifizierung der Symptomatik.
Psychisch belastete Hörgeschädigte benötigen eine interdisziplinäre Behandlung, die durch die Kommunikation und Kooperation der einzelnen Fachdisziplinen (HNO, Phoniatrie, Psychologie, Psychotherapie, Psychiatrie, Neurologie, Orthopädie) erfolgreich gelingen kann.
Durch meine mehrjährige berufliche Erfahrung mit hörbehinderten Menschen, meinen wissenschaftlichen Hintergrund in diesem Bereich, der Etablierung an der universitären HNO-Klinik sowie am Cochlea-Implantat-Zentrum Leipzig ist es mir möglich, eine an die Bedürfnisse hörbehinderter Menschen angepasste Psychotherapie anzubieten.
Seit September 2020 bietet die Einzelermächtigungspraxis psychotherapeutische Behandlung für Menschen mit folgenden Hörstörungen an: Hörverlust, Auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS), Morbus Menière sowie Hyperakusis. In meinem Vortrag möchte ich die Patientenklientel sowie die Möglichkeiten und Grenzen der psychotherapeutischen Praxis vorstellen und mit Ihnen diskutieren.
09:30 Uhr
Selbstmanagement für Menschen mit Hörbehinderung – ein Überblick zu Interventionsansätzen und deren Wirksamkeit
S. Geßner (Leipzig, DE)
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Autor:in:
S. Geßner (Leipzig, DE)
Hintergrund: Menschen mit Hörbehinderungen wenden zahlreiche Strategien an, um Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der eigenen Höreinschränkung bewältigen zu können – dieser Prozess wird als Selbstmanagement bzw. Selbsthilfe bezeichnet. Das Ziel dieses systematischen Reviews bestand darin, einen Überblick bestehender Selbstmanagement-Interventionen für Menschen mit Hörbehinderungen zu geben.
Methoden: Es wurde eine systematische Literaturrecherche auf PubMed durchgeführt, um Studien mit entsprechenden Interventionsansätzen zu identifizieren. Wenn die vordefinierten Einschlusskriterien erfüllt werden konnten, wurden Informationen zur Publikation, Intervention und Evaluation aus den einzelnen Studien extrahiert. Die methodische Qualität der Studien wurde mithilfe eines speziell für Interventionsstudien validierten Instruments bewertet.
Ergebnisse: Insgesamt konnten 23 Artikel eingeschlossen werden. Die einzelnen Interventionen verfolgten verschiedenste Ziele, thematisierten ein breites Spektrum von Inhalten (Informationsvermittlung, Aspekte zur Kommunikationsverbesserung, psychosoziale, technische oder spezifische Aspekte) und wurden entweder gruppenbasiert, individuumsbasiert oder selbstangeleitet implementiert. Im Rahmen der Evaluationen konnten, mit Ausnahme weniger Studien, positive Interventionseffekte bezüglich des wahrgenommenen Hörhandicaps, des psychosozialen Wohlbefindens und der Kommunikation der InterventionsteilnehmerInnen festgestellt werden.
Diskussion: Anzumerken ist, dass die eingeschlossenen Studien eine starke Heterogenität bezüglich der methodischen Qualität, der durchgeführten Intervention und des Evaluationsdesigns aufwiesen. Eine Zusammenfassung der Befunde war deshalb nur qualitativ möglich. Insgesamt scheint es sich bei Selbstmanagement-Interventionen um eine gewinnbringende Ergänzung zur alleinigen technischen Geräteversorgung und -anpassung zu handeln, die auch im deutschsprachigen Raum weiter forciert werden sollte.