Nach Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems sind psychische Störungen die zweithäufigste Ursache für eine Arbeitsunfähigkeit (AU). Sie führen zu den durchschnittlich längsten AU-Zeiten, verursachen mit 42% fast jede zweite Frühverrentung und können langfristig in die Arbeitslosigkeit führen. Der Umgang mit psychischen Störungen stellt somit sowohl die Betroffenen als auch die Betriebe und die Gesellschaft vor große Herausforderungen. Eine zentrale Aufgabe wird es daher zukünftig sein, die Rückkehr in die Arbeit nach erfolgter Behandlung möglichst nachhaltig zu gestalten.
Es wird ein im Rahmen des Innovationsfonds zur Förderung von neuen Versorgungsformen gefördertes Projekt (01NVF19010) zur Erstellung und Evaluation eines Versorgungskonzepts an der Schnittstelle der medizinisch-therapeutischen Behandlung und der betrieblichen Maßnahmen für die Wiedereingliederung für Menschen mit psychischen Störungen vorgestellt. Es beinhaltet eine komplexe Intervention zur Wiederherstellung und zum Erhalt der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit der betroffenen Beschäftigten. Die neue Versorgungsform beinhaltet eine modulare arbeitsbezogene Behandlung und intensivierte Nachsorge, die neben der Behandlung in einer Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA) sowohl aus einzel- als auch aus gruppentherapeutischen Interventionen und einer webbasierten Nachsorge im Sinne von Blended Care besteht.
Zu Beginn wird auf die aktuelle Situation der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und psychischer Erkrankung eingegangen. Ferner werden das RTW-PIA-Versorgungsmodell vorgestellt sowie dessen Verzahnung mit einem webbasierten Programm zur Nachsorge im Rückkehrprozess und erste Erfahrungen aus der Implementierung der Intervention sowohl in städtischen als auch in ländlichen Versorgungszentren geschildert. Im letzten Beitrag wird das Design der multizentrischen, zweiarmigen, 1:1 randomisierten kontrollierten Studie mit ersten Angaben zu der erhobenen Stichprobe vorgestellt.
12:30 Uhr
Zur Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und psychischer Erkrankung – auf welche Situationen treffen psychisch erkrankte Arbeitnehmer bei der Rückkehr in den Job?
C. Schneller (Berlin, DE)
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Autor:in:
C. Schneller (Berlin, DE)
Die Arbeitswelt wünscht sich belastbare und einsatzbereite Mitarbeitende, die eine möglichst konstante und planbare Arbeitsleistung einbringen. Abweichungen dieser „idealen Beschäftigten“, etwa durch Zeiten vermehrter Care-Arbeit (wie Elternzeit, Unterstützung von Angehörigen etc.), Weiterbildungen oder Langzeiterkrankungen sind für betriebliche Abläufe herausfordernd, gehören aber zu vielen Erwerbsbiografien dazu.
Angesichts einer 12-Monatsprävalenz von 33% in der deutschen Bevölkerung sind psychische Erkrankungen längst Teil der Arbeitswelt. Dennoch werden sie dort aktuell wenig sichtbar. Akutphasen psychischer Erkrankung gehen in der Regel mit deutlichen Einschränkungen in den Alltags- oder sozialen Kompetenzen sowie dem Leistungsbereich einher und trotzdem halten die Betroffenen ihre Arbeitstätigkeit oft noch so lange wie möglich aufrecht (Präsentismus), da in unserer Leistungsgesellschaft die Arbeitstätigkeit als hohes Gut gilt und längere Fehlzeiten oder der Ausblick auf eine Berentung die Existenz bedrohen können. Im Rahmen der Wiedereingliederung am Arbeitsplatz beschäftigen die Betroffenen Stigmatisierungsängste und -erfahrungen, was mit Vermeidungsverhalten einhergehen kann, während die betrieblichen Akteure von Unsicherheit und fehlenden Informationen berichten.
Der Vortrag gibt einen Überblick über die Verbreitung betrieblicher Instrumente zur Unterstützung der Wiedereingliederung am Arbeitsplatz und zeigt das Spannungsfeld an der Schnittstelle der Sektoren Arbeitswelt und psychiatrisch-psychotherapeutischer Versorgung auf, in dem psychisch erkrankte Arbeitnehmende gegenwärtig ihren individuellen Weg der Rückkehr in die Berufstätigkeit finden.
12:52 Uhr
Das RTW-PIA-Versorgungsmodell: Konzept der intensivierten RTW-Begleitung und Nachsorge durch ein interdisziplinäres Behandlungsteam für psychisch erkrankte Arbeitnehmer
A. Borgolte (Hannover, DE)
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Autor:innen:
A. Borgolte (Hannover, DE)
B. Wellmann (Hannover, DE)
S. Ghaneirad (Hannover, DE)
G. Szycik (Hannover, DE)
„Intensivierte Return to Work-Nachsorge (RTW) in Psychischen Institutsambulanzen (PIA)“ (RTW-PIA) ist eine modular aufgebaute Intervention, die von einem interdisziplinären Behandlungsteam begleitet wird. Das Konzept wurde im Rahmen einer vom Gemeinsamen Bundesausschuss geförderten Studie entwickelt und orientiert sich an den Lebenswelten von Menschen, die nach längerer Krankschreibung mit einer psychischen Erkrankung an den Arbeitsplatz zurückkehren möchten.
Der Vortrag geht detailliert auf die einzelnen Behandlungsbestandteile ein und beschreibt den spezifischen Ablauf der Intervention. Diese setzt sich sowohl aus Einzel- als auch Gruppenbehandlungen sowie einer themenspezifischen Online-Nachsorge zusammen. Das im Vortrag dargestellte Versorgungsmodell adressiert gezielt Herausforderungen im Rückkehrprozess an den Arbeitsplatz und berücksichtigt sowohl rechtliche Rahmenbedingungen und die allgemeine Versorgungslage im Zusammenhang mit der Wiedereingliederung als auch individuelle therapeutische Bedarfe der Betroffenen bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz. Dabei erfolgt eine gezielte Integration der medizinisch-therapeutischen Regelversorgung in Psychiatrischen Institutsambulanzen, themenspezifischer Einzelgespräche und dem Austausch Betroffener untereinander im Gruppensetting. Der Kurzvortrag vermittelt einen Überblick über die inhaltlichen Schwerpunkte sowie die formalen Abläufe des RTW-PIA-Versorgungsmodells.
13:14 Uhr
Nachhaltige Rückkehr an den Arbeitsplatz durch eine Online-Intervention im Rahmen des RTW-PIA-Projekts
H. Unger (Hamburg, DE)
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Autor:in:
H. Unger (Hamburg, DE)
Zur stabilen und nachhaltigen Rückkehr an den Arbeitsplatz wird im RTW-PIA-Projekt vom 6. bis 18. Monat ein Web-basiertes Nachsorgemodul angeboten. Dazu haben die RTW-PIA-Teams der fünf beteiligten Kliniken mit der Minddistrict GmbH die Onlineintervention „Gesund durchs Arbeitsleben“ entwickelt Das geleitete Online-Programm besteht aus 8 Modulen, ihre Reihenfolge kann individuell zusammengestellt werden. Inhaltlich basiert die Intervention auf Prinzipien der KVT und der Achtsamkeit. Um die Adhärenz zu verbessern und Dropouts zu vermeiden werden zusätzlich feste Termine zur Videotelefonie vereinbart. Die inhaltliche Entwicklung der Intervention auf der Grundlage der RTW-Praxis der beteiligten Versorgungskliniken und die ersten Erfahrungen in der Umsetzung mit den Patient*innen werden beschrieben.
13:36 Uhr
Studiendesign RTW-PIA: Details zum Ablauf der multizentrischen, zweiarmigen, randomisierten kontrollierten Evaluationsstudie und erste Angaben zur erhobenen Stichprobe
F. Starke (Berlin, DE)
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Autor:innen:
F. Starke (Berlin, DE)
L. Knebel (Berlin, DE)
Arbeit hat einen wichtigen Einfluss auf das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit. Auf der einen Seite stellen hohe Arbeitsbelastungen und Arbeitsplatzverlust Risiken für psychische Störungen, deren Wiederauftreten und eine Chronifizierung dar. Auf der anderen Seite gehören psychische Störungen zu den häufigsten Gründen für lange Krankschreibungen und Frühberentungen und bergen somit ein erhebliches Risiko einer Erwerbsminderung. Die bisherige Forschung zu Return to Work (RTW) fokussiert vor allem auf den Zeitpunkt bis zur Rückkehr an die Arbeit und weniger auf die Zeit während und nach der Rückkehr.
In der Studie zur Evaluation der neuen Versorgungsform “RTW-PIA“ zur intensivierten RTW-Nachsorge innerhalb psychiatrischer Institutsambulanzen (PIAs) werden die individuellen, sozialen und (über-)betrieblichen Faktoren, die zu einer nachhaltigen Wiederherstellung und dem Erhalt der Erwerbsfähigkeit von psychisch erkrankten Beschäftigten beitragen, näher erforscht. Die “RTW-PIA“ Studie beinhaltet eine Wirksamkeits-, Prozess- und gesundheitsökonomische Evaluation. Zudem ist die Evaluationsstudie als multizentrische, zweiarmige, randomisiert-kontrollierte Studie konzipiert. Über einen 24-monatigen Beobachtungszeitraum (Intervention + Nachbeobachtung) werden zu fünf Erhebungszeitpunkten regelmäßig quantitative Daten zur Wirksamkeits- und gesundheitsökonomischen Evaluation gesammelt. Im Rahmen der Prozessevaluation werden Interventionstreue, Reichweite, Kontext, Patientenzufriedenheit und in Anspruch genommene Leistungen erhoben. Darüber hinaus werden mit einer Teilstichprobe qualitative Vorher-Nachher-Interviews geführt, um die Ergebnisse der Wirksamkeits- und Prozessevaluation erweitert interpretieren zu können und eine bessere Nachvollziehbarkeit subjektiver Erfahrungen der Intervention zu ermöglichen. Die Studienrekrutierung begann im August 2021. Der Vortrag gibt einen Einblick in das “RTW-PIA“ Studiendesign und stellt den aktuellen Stand der Studie vor.