10:15 Uhr
Forschungs- und Behandlungsbedarf in der Psychiatrie aus Sicht von Menschen mit Schizophrenie, ihren Angehörigen sowie Peers
P. Nickel (Ulm, DE)
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Autor:innen:
P. Nickel (Ulm, DE)
M. Wigand (Rendsburg, DE)
Ziel dieser Arbeit ist es, den psychiatrischen Forschungs- und Behandlungsbedarf aus der Sicht von Menschen mit Psychiatrieerfahrung und ihren Angehörigen zu erfassen. Hintergrund der Fragestellung ist die Beobachtung, dass es in der psychiatrischen Forschung ein großes Interesse an genetisch-biologischen Forschungsfragen gibt. Dabei ist aber unklar, ob diese Themen für die Betroffenen selbst gleichermaßen relevant sind. Ein besseres Verständnis der Bedarfe von Betroffenen kann helfen, mögliche Forschungs- und Implementierungslücken aufzudecken.
Für die Fragestellung wurde ein qualitatives Forschungsdesign mit partizipativen Elementen gewählt. Dafür wurden von 9/2021 bis 2/2022 insgesamt 31 Proband:innen (Patienten mit Schizophrenie oder schizoaffektiver Störung, ihre Angehörigen und psychiatrieerfahrene Experten) in leitfadengestützten Einzelinterviews zu ihren Erfahrungen in der Psychiatrie und zu aus ihrer Sicht nötigem Behandlungs- sowie Forschungsbedarf befragt. Rekrutiert wurde im BKH Günzburg/Psychiatrie II der Universität Ulm, über Angehörigen- und Peergruppen, sowie im Schneeballprinzip. Die durchschnittlich einstündigen Interviews wurden im Anschluss codiert und mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz ausgewertet.
Ein zentraler Wunsch aller Befragten war eine „Psychiatrie auf Augenhöhe“, in der Behandler in Beziehung mit den Patienten gehen und nahbar sind. Des Weiteren wurden neben konkreten Forschungsideen das System Klinik (u.a. Aufnahme- und Entlassprozesse), der subjektive Blick auf die Erkrankung, Medikamente, Hilfsangebote im stationären wie auch ambulanten Bereich, Zwangsmaßnahmen sowie weitere Bereiche wie Sexualität, Religion, Stigmatisierung, Arbeit, Betreuung, Wohnen und Forschung thematisiert.
Insgesamt wurde deutlich, dass sozialpsychiatrische Themen für die Proband:innen einen hohen Stellenwert haben.
Zugleich zeigte sich, dass für viele der Bedarfe schon Konzepte bestehen, die aber noch nicht ausreichend implementiert sind.
10:27 Uhr
Gespräche mit Schizophrenen
H. Rohen (Nürtingen, DE)
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Autor:in:
H. Rohen (Nürtingen, DE)
Gespräche mit Schizophrenen
Vertiefung linguistischer Gesprächstechnik mit therapeutischer Wirkung
Der erweiterte Beitrag ist auf der Grundlage der Affektlogik und den Anregungen von Prof. Luc Ciompi entstanden, basierend auf dem Vortrag des letzten DGPPN Kongresses. Die Beitragseinreichung erfolgt auf Empfehlung von Prof. Ciompi.
Einleitung
Es wird eine linguistisch fundierte, auf Konzept der Affektlogik basierende Methode
vorgestellt, die es erlaubt, Gesprächsabbrüche bei an Schizophrenie leidenden Menschen
auf eine einfache und therapeutisch entspannende Weise zu überbrücken (vgl. Rohen 2016
und 2020).
Methode
Nach dem Konzept der Affektlogik von Luc Ciompi ( www.ciompi.de ) sind an Schizophrenie
Leidende besonders empfindliche Menschen, die dazu neigen, auf übergroße emotionale
Spannungen häufig mit psychotischen Ausbrüchen zu reagieren. Außerdem besteht bei
ihnen ein Defizit, strukturbildende Elemente miteinander zu einem affektkonformen
Denkgebäude zu verbinden, was in der Methode vertieft einbezogen wird.
Linguistisch betrachtet besteht die Sprache aus der Referenz (Substantivteil) und der
Prädikation (Verbalteil). Durch das bloße Wiederholen des Referenzteils ohne
spannungserhöhenden Widerspruch oder Fragen werden Patienten aufgemuntert
ihren Gesprächsfaden aufzugreifen.
Außerdem finden sie im Verlauf mehrerer Gespräche selbst verschiedene Themen in
verschiedenen Kontexten.
Ergebnisse
Diese Gesprächstechnik bewirkt eine nachhaltige Entspannung durch Vertrauen,
persönliche Beziehung und Berücksichtigung der jeweiligen Affektlage.
Zusätzlich zeigt sich die Tendenz, strukturbildende Elemente besser miteinander zu
einem affektkonformen Denkgebäude verbinden zu können.
Ausblick
Die erzielten Erkenntnisse sollen in einer Zusammenarbeit mit einem Therapeuten vertieft werden.
10:39 Uhr
Resilienzfaktoren und ihr prädiktiver Wert auf das psychosoziale Funktionsniveau bei Psychose-Risikosyndromen: eine prospektive Studie
P. Do Lan (Zürich, CH)
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Autor:innen:
P. Do Lan (Zürich, CH)
B. Kleim (CH)
K. Heekeren (DE)
W. Rössler (DE)
A. Theodoridou (CH)
Einführung: Die Verbesserung der Früherkennung von Psychosen ist nach wie vor eine große Herausforderung in der Forschung und in der klinischen Praxis. Das frühzeitige Erkennen der ersten Anzeichen ist bedeutend, um den Ausbruch einer Psychose zu vermeiden oder eine Verschlimmerung zu verhindern. Derzeit gibt es nach EPA-Guidance zwei empfohlene Ansätze zur Klassifizierung eines klinischen Hoch-Risikos (CHR) bei sich anbahnenden Psychosen: das Ultra-High-Risk-Kriterium und die Basissymptome. Zusätzlich sollten weitere Faktoren zu den CHR-Kriterien, wie z.B. nicht-psychopathologische und vor allem protektive Schutzfaktoren in Betracht gezogen werden, die Übergang oder Verringerung der Risikowahrscheinlichkeit für eine Psychose verändern können. Resilienz kann als ein multimodal-dynamischer Prozess und auch als eine stabile innere Widerstandsfähigkeit bei widrigen Lebensereignissen betrachtet werden (Bonanno et al., 2004). Methode: Die prospektive Längsschnittstudie untersuchte N=116 Personen mit einem Hochrisikopotenzial für Psychose, im Alter von 18-35 Jahren. Die dynamischen Zusammenhänge zwischen Resilienz, Funktionsniveau (GAF) und den psychopathologischen Symptomen (SIPS, SPI-A), alltäglichen Stressoren und Ärgernisse (DHSS) werden mittels Netzwerk-Analyse bei Baseline und 12-monats Follow-Up untersucht. Ergebnisse: Der Resilienzfaktor (RF) ist ein Index aus Selbstwirksamkeit (SWE), Selbstüberzeugung (RSE) und Lebensqualität (MANSA). Es zeigte sich eine direkte Verbindung zwischen dem Resilienzfaktor (RF) mit den Psychose-Risikosyndromen und alltäglichen Stressoren. Besonders stark hängt der RF positiv mit dem Funktionslevel zusammen. Im Netzwerk ist RF ein zentraler Knotenpunkt für alle anderen Symptome. Schlussfolgerung: Weitere Schutzfaktoren sollten als Marker bei der Prädiktion von Psychosen und bei dem Funktionsniveau bei Hochrisikopersonen für Psychosen sowohl in zukünftigen Studien aber auch in der klinischen Praxis verstärkt berücksichtigt werden
10:51 Uhr
Schizotype Merkmale und Angst- und Depressionssymptome während des ersten Jahres der COVID-19-Pandemie in Deutschland und Großbritannien
S. Daimer (München, DE)
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Autor:innen:
S. Daimer (München, DE)
L. Mihatsch (DE)
S. Neufeld (GB)
G. Murray (GB)
F. Knolle (München, DE)
Wir untersuchten die Entwicklung psychischer Belastung und affektiver Symptome im Allgemeinen und im Speziellen die Entwicklung schizotyper Merkmale über vier Zeitpunkte innerhalb eines Jahres der COVID-19-Pandemie mittels eines Online-Fragebogens. Mit Hilfe von Strukturgleichungsmodellen wurde der Einfluss von Lebenssorgen wie finanzielle Notlagen, die aufgrund von COVID-19 aufgetreten waren, und COVID-19 bedingte soziale Notlagen, wie Einsamkeit, auf schizotype Merkmale und depressive und angstbezogene Symptome in Verbindung mit bestimmten gesunden (u.a. Schlaf) und ungesunden Verhaltensweisen (u.a. übermäßige Mediennutzung) untersucht. Während sich die Häufigkeit und Intensität affektiver Symptome nach einem anfänglichen hohen Anstieg zu Beginn der Pandemie wieder reduzierten, verstärkte sich die schizotype Merkmalsausprägung noch zwischen Frühling und Herbst 2020 und stagnierte auf diesem Niveau. Lebenssorgen und soziale Notlage wirkten sich sowohl auf schizotype Merkmale als auch Angst- und Depressionssymptome negativ aus. Übermäßiger Medienkonsum erklärte dabei vollständig den Zusammenhang zwischen COVID-19 bezogenen Lebenssorgen und schizotypen Merkmalen. Zudem stand übermäßiger Medienkonsum bei Personen, die durch Lebenssorgen belastet waren, auch in Verbindung mit einer Zunahme depressiver und angstbezogener Symptome. Zusammenfassend zeigen unsere Ergebnisse, dass in Extremsituationen wie einer globalen Pandemie soziale Beziehungen und ein gesunder Lebensstil für den Erhalt der psychischen Gesundheit unerlässlich sind. Darüber hinaus konnten wir feststellen, dass pandemiespezifische Stressfaktoren das Ausmaß der Schizotypie verstärken, insbesondere durch übermäßigen Medienkonsum, der das Risiko für die Entwicklung einer Psychose erhöht. Unsere Ergebnisse unterstreichen daher die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen wie soziale Unterstützungsnetze, Psychoedukation und Medienerziehung sowie eine bessere Verfügbarkeit von Behandlungen für psychische Störungen.
11:03 Uhr
Leitlinienkonformität der Behandlung von Psychosen in stationärer und stationsäquivalenter Behandlung
J. Richter (Tübingen, DE)
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Autor:innen:
J. Richter (Tübingen, DE)
L. Wohlbold (DE)
D. Wildgruber (DE)
Die Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Tübingen bietet seit den 90er Jahren ein psychosespezifisches stationäres psychiatrisch-psychotherapeutisches Behandlungsprogramm an. Seit Januar 2019 wird dieses um die stationsäquivalente Behandlung (StäB) stationär behandlungsbedürftiger Patient*innen mit Psychose-Erkrankungen ergänzt. In diesem Vortrag wird das Konzept der StäB vorgestellt und mit dem stationären psychotherapeutischen Schwerpunktprogramm kontrastiert. Es liegen detaillierte (Psycho-)Therapiezeiten für beide Angebote ab 2019 vor.
Weiter werden Daten zur Umsetzung von für die stationäre Behandlung relevanten A-Empfehlungen der S3-Leitlinie Schizophrenie in beiden Behandlungsformen präsentiert - dies auch aufgeschlüsselt für die Bereiche Medikation, Psychotherapie und Behandlung von Komorbiditäten.
Evidenzbasierte Leitlinien haben in der Versorgung psychisch erkrankter Menschen eine zunehmende Bedeutung erlangt. Es gibt jedoch vergleichsweise wenige Untersuchungen, die die Konformität tatsächlich erfolgter Behandlung mit Leitlinien überprüfen. Es ist Anspruch der universitären stationären Krankenversorgung neuste, wissenschaftlich begründete Empfehlungen bestmöglich in die Standardversorgung zu integrieren.
Mit einem neu entwickelten Beurteilungsinstrument wurde unsere Routinedokumentation auf das Ausmaß ihrer Übereinstimmung mit den Leitlinien-Empfehlungen überprüft. Eingeschlossen wurden alle StäB-Patient*innen mit F2-Diagnose, die zwischen 03/19 bis 02/21 behandelt wurden (n=35) sowie nach Alter, Geschlecht und Diagnose gematchte Patient*innen der Psychotherapiestation für Psychosen (n=35).
Es fanden sich keine signifikanten Unterschiede für das Ausmaß der Leitlinienkonformität zwischen den Behandlungsformen. Die Behandlungsdauer scheint maßgeblich für die Leitlinienkonformität der Behandlung. Die Diagnose hat Einfluss auf Leitlinienkonformität der pharmakologischen Behandlung.