08:30 Uhr
Hilft die MindDoc-App Menschen mit psychischen Beschwerden? Ergebnisse einer randomisierten kontrollierten Studie
I. Beintner (München, DE)
Details anzeigen
Autor:innen:
A. Kerber (Berlin, DE)
I. Beintner (München, DE)
S. Burchert (Berlin, DE)
C. Knaevelsrud (Berlin, DE)
Psychische Erkrankungen bleiben oft unerkannt und unbehandelt. Externe Faktoren und intrapersonelle Barrieren tragen zu dieser Behandlungslücke bei. Natürlich können Apps keine Behandlung ersetzen, jedoch die Erkennung und Einordnung von Symptomen unterstützen, das Selbstmanagement fördern und dazu beitragen, Symptome zu reduzieren und die Lebensqualität zu verbessern.
Die MindDoc App ist ein transdiagnostisches, niedrigschwelliges Monitoring- und Selbstmanagement-Tool für Personen mit leichter bis mittelschwerer Psychopathologie, insbesondere aus dem internalisierenden Spektrum. Sie bietet automatisiertes, maßgeschneidertes Feedback und eine umfassende Bibliothek KVT-basierter Kurse und Übungen.
Wir haben die MindDoc App in einer randomisierten kontrollierten Studie mit 1075 Teilnehmer:innen untersucht. Die Interventionsgruppe erhielt direkten Zugang zur MindDoc App für 6 Monate und die Empfehlung, die App mindestens 8 Wochen lang zu nutzen. Die Kontrollgruppe bekam den Zugang nach Abschluss der letzten Befragung. Untersucht wurden sowohl patientenrelevante Versorgungseffekte wie Gesundheitskompetenz, die Patientensouveränität und Inanspruchnahmeverhalten als auch der klinische Nutzen, d.h. Symptombelastung und Lebensqualität. Datenerhebungen wurden wurden zur Baseline sowie 8 Wochen und 6 Monate nach der Randomisierung online durchgeführt.
Die Teilnehmer:innen der Interventionsgruppe griffen während des 6-monatigen Beobachtungszeitraums im Durchschnitt an 83 Tagen auf die App zu. Die Intervention war mit einer Verbesserung der Einstellung zum Hilfesuchverhalten bei psychischen Problemen, des Selbstmanagement-Verhaltens, der Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung, der Psychopathologie und der Lebensqualität assoziiert, mit Effektgrößen zwischen d = .17 (OR = 1,36) und d = .37 (OR = 1,96).
Die hohe Akzeptanz und die moderaten Effekte der MindDoc App machen sie zu einer wertvollen Ergänzung im Spektrum der Versorgung von Menschen mit psychischen Beschwerden.
08:42 Uhr
Perspektiven digitaler Interventionen zur Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen: wissenschaftliche Evidenz und kritische Betrachtung nach zwei Jahren DiGA
A. Etzelmüller (München, DE)
Details anzeigen
Autor:innen:
A. Etzelmüller (München, DE)
E. Heber (DE)
M. Guth (DE)
U. Sprick (DE)
K. Spiegelhalder (DE)
D. Ebert (DE)
Einführung. Seit Oktober 2020 können in Deutschland Online-Programme als “Digitale Gesundheitsanwendungen” (DiGA), auch als “App auf Rezept” bekannt, zertifiziert werden. Derartige Interventionen sind jedoch aktuell unzureichend in der Routineversorgung implementiert, obwohl die Wirksamkeit der digitalen kognitiven Verhaltenstherapie (dKVT) durch Studien gut belegt ist. Studien zu patienten- und systemrelevanten Faktoren können zusätzlich Einblicke in Effekte digitaler Interventionen ermöglichen.
Methode. Dieser Beitrag fasst die Ergebnisse von fünf Wirksamkeits- und Implementierungsstudien zusammen, die a) die Wirksamkeit von dKVT unter Routinebedingungen (u.a. Etzelmueller et al., 2020, Montag et al., in prep.), b) die Akzeptanz, Zufriedenheit und Sicherheit seitens der Patient:innen (Etzelmueller et al., sub., Etzelmueller et al., in prep.), und c) die Verschreiber- und Anwenderperspektive behandeln (Netter et al., 2022). Diese aggregierten Ergebnisse werden in Relation zu den aktuellen Erkenntnissen zur Wirksamkeit und dem Implementierungserfolg von DiGA gesetzt (DiGA Report GKV Spitzenverband, 2022, TK, 2022).
Ergebnisse. Wirksamkeitsstudien zu dKVT-Interventionen in der Routine unterstützen eine Übertragbarkeit gefundener Effekte aus randomisierten kontrollierten Studien in die Routine. In Bezug auf Akzeptanz und Inanspruchnahme-Verhalten der dKVT in der Routine zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei traditionellen psychotherapeutischen Interventionen. Psychotherapeut:innen hatten eine überwiegend positive Grundeinstellung gegenüber dKVT, und mehrheitlich die Absicht, die dKVT-Intervention zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig zeigt sich, dass das Potential von 50.000 tatsächlich verschrieben DiGA bis September 2021 nicht ausgeschöpft wurde.
Diskussion. Das systematische Zusammenspiel von routinenahen Studien und Routinedaten ermöglicht es, die Wirksamkeit, Akzeptanz und Relevanz von digitalen Gesundheitsanwendungen für die Behandlung psychischer Erkrankungen
08:54 Uhr
Global Digital Mental Health – ethische Implikationen
E. Kuhn (Bonn, DE)
Details anzeigen
Autor:innen:
K. Böge (DE)
T. Hendl (DE)
P. Kellmeyer (DE)
T. Klein (DE)
E. Kuhn (Bonn, DE)
M. Saleem (DE)
Weltweit werden zur Diagnostik und Behandlung psychischer Erkrankungen sowie zur Prävention vermehrt digitale Technologien eingesetzt. Größtenteils sind dies Apps, die entweder im Rahmen einer Psychotherapie unterstützend oder ohne ärztliche/therapeutische Rückbindung genutzt werden. Naturgemäß verwenden dabei Menschen unterschiedlicher nationaler, kultureller, sozio-ökonomischer und ethnischer Herkunft dieselbe App.
Diese Entwicklung wirft nicht nur Fragen des gerechten und gleichen Zugangs zu solchen Apps im Sinne der Equity auf. Vielmehr ist auch zu hinterfragen, welches Verständnis und wessen Konzepte von psychischer Gesundheit und Krankheit der Technologie zugrunde liegen. Eine besondere Rolle spielt dabei der fehlende Rückbezug der Apps an das jeweilige Gesundheitssystem und die regional divergierenden Gesundheitspraktiken (von ‚westlicher‘ Medizin bis zu vorwiegend ethnomedizinisch geprägten Praktiken). Dies kann bei fehlender Berücksichtigung und Mitsprache der Nutzer*innen respektive Patient*innen Wissensunterschiede verfestigen oder gar verstärken und hat somit direkte klinische Relevanz. Schließlich ist dadurch, dass die Mehrzahl der Apps von privaten Akteuren entwickelt und vertrieben wird, auch die Verantwortung der Technologieunternehmen sowie Software-Entwickler*innen zu beleuchten. Neben herkömmlichen wirtschafts- wie unternehmensethischen Erwägungen spielt dabei insbesondere auch die Vulnerabilität der Zielgruppe psychisch belasteter oder erkrankter Personen eine entscheidende Rolle.
Die Kartierung dieser und weiterer ethischer Implikationen der globalen Verbreitung von Apps im Bereich psychischer Gesundheit zeigt, dass kein bestehendes Framework angewandter Ethik – Global Health Ethik, Public Health Ethik, Medizinethik und Wirtschafts- sowie Unternehmensethik – das Phänomen gänzlich fassen kann, sondern Prinzipien aller Frameworks für eine umfassende ethische Reflexion der Global Digital Mental Health heranzuziehen sind.
09:06 Uhr
Remote psychotherapy past the pandemic: directions for future research
G. Aranyi (Wien, AT)
Details anzeigen
Autor:innen:
G. Aranyi (Wien, AT)
C. Eichenberg (Wien, AT)
Introduction
A large corpus of academic work has accumulated recently regarding remote psychotherapy as a silver lining to the Covid-19 pandemic. Comparing and contrasting traditional f2f delivery to remote methods received great attention; however, a widespread adoption of online therapy has already occurred, shifting the focus from ‘if’ practitioners should consider remote alternatives to ‘how’, to use them effectively and ‘when’. This concerns the question of differential indication. We demonstrate and discuss how future studies can be designed and analysed to address these types of question.
Methods
We applied a mixed-methods approach to assess switching from f2f therapy to online therapy, then back again, in the following areas: perceived quality of therapeutic alliance, expectations to online therapy, and experiences during both settings. 120 client-therapist pairs provided data spanning three months prior to, during, and after the 2020 spring Covid lockdown at the Sigmund Freud University Adult Outpatient Clinic Vienna.
Results
Our quantitative findings support the feasibility of online therapy in terms of therapeutic alliance; however, clients rated the quality of relationship with their therapists consistently higher than vice versa, while evaluations of clients and therapists were not affected differently over time. The qualitative findings are briefly discussed to inform avenues for future quantitative work.
Conclusio
Questions related to ‘when’ an effect occurs can be formulated as moderation, where effects of an intervention are conditional on certain therapist and client characteristics (e.g. therapist experience, therapeutic modality and client diagnosis). We demonstrate this in an analysis of interaction between factors driving the quality of therapeutic alliance. Conversely, ‘how’ an effect occurs can be thought of as mediating factors in path analyses. We argue for a conditional process analysis approach to future work in in psychotherapy research.
09:18 Uhr
Der Digital Divide und dessen Auswirkungen auf die telemedizinische Versorgung von Menschen mit psychischen Problemen während der COVID-19-Pandemie: ein Scoping-Review
D. Stelzmann (Berlin, DE)
Details anzeigen
Autor:innen:
D. Stelzmann (Berlin, DE)
E. Berg (Berlin, DE)
Einführung: Wegen der Covid-19-Pandemie wurden viele therapeutische Angebote für Menschen mit psychischen Problemen (MmpP) durch telemedizinische Alternativen wie Videokonsultationen ersetzt, um weiterhin eine Versorgung zu gewährleisten. Auch wenn diese Implementierung viele Vorteile hat, kann es bei den Patient*innen und Behandler*innen zu einer gehemmten Nutzung führen. Der sogenannte Digitale Divide geht davon aus, dass nicht alle Menschen Zugang zu Kommunikationstechnologien wie das Internet haben und selbst bei Zugang unterschiedlich davon profitieren. So können zum Beispiel für MmpP, die keinen Zugang zum Internet haben, oder über eine begrenzte Medienliteralität verfügen, telemedizinische Angebote eine Barriere darstellen. Um die Barrieren telemedizinischer Versorgung zu verringern und so benachteiligten Gruppen den Zugang zu erleichtern, zielt dieser Beitrag auf die Synthese von Studien ab, die den Digital Divide und dessen Auswirkungen auf die telemedizinische Versorgung von MmpP während der Pandemie untersucht haben.
Methode: Für das Scoping Review wurden gängige Datenbanken (z.B. PubMed) mittels verschiedener Suchtermini gesichtet. Inkludiert wurden Studien, die die Auswirkungen des Digital Divides auf die telemedizinische Versorgung von MmpP während der Pandemie empirisch untersuchten und auf Deutsch oder Englisch in einem Journal publiziert wurden.
Ergebnisse: Erste Synthesen der 14 Studien zeigen, dass die telemedizinische Versorgung von MmpP eher als Komplementierung zum regulären Angebot gesehen wird und die Nachfrage im Verhältnis geringer ist, wobei letzteres vor allem durch soziodemographische Faktoren (z.B. Alter) beeinflusst wird. Darüber hinaus zeigt sich, dass ältere Behandler*innen die in ruraler Umgebungen tätig sind, seltener telemedizinische Versorgung während der Pandemie anbieten.
Bei Annahme des Beitrags wird eine detaillierte Analyse der Studien mit aktualisierten Daten und abgeleiteten praktischen Implikationen vorgestellt.