Die Ausübung von Zwang ist ein Stigma der Psychiatrie, das Betroffene wie Professionelle belastet und auch das Bild des Fachgebiets in der Öffentlichkeit prägt. Unter Berufung auf die UN-Behindertenrechtskonvention wurden in den letzten Jahren seitens des UN-Komitees zur Umsetzung der Konvention und der WHO sehr dezidierte Forderungen vorgetragen, die Anwendung von Zwang grundsätzlich zu verbieten und entsprechende Gesetze abzuschaffen. Die Vorstellung einer Psychiatrie ohne Zwang, die sich dieses Stigmas entledigen könnte, ist für Professionelle auf den ersten Blick mindestens so verheißungsvoll wie für potentiell Betroffene. Eine derartige Psychiatrie würde dann mündigen Bürgern lediglich Behandlungen anbieten, über die sie frei entscheiden könnten. Bei näherer Betrachtung würden sich allerdings zahlreiche Probleme gerade im reklamierten Bereich der Menschenrechte ergeben. Auch handelt es sich bei der Ausübung von Zwang in bestimmten Situationen gerade nicht um eine historisch entstandene Besonderheit der Psychiatrie, sondern um eine zuweilen auftretende Notwendigkeit in vielen Bereichen der Medizin. Das Bundesverfassungsgericht hat das in vielen tiefgehend begründeten Entscheidungen ausgeführt und zugleich klargestellt, dass ihm die Interpretation der UN-Behindertenkonvention, die im Rang eines Bundesgesetzes steht, für Deutschland obliegt. Die Medizinethik stimmt mit diesen Auffassungen überein, z.B. in den Ausführungen des Deutschen Ethikrats. Demnach ist das wesentliche Kriterium zur Legitimierung von Zwang eine aufgehobene Selbstbestimmungsfähigkeit auf Grund einer psychischen Störung oder Erkrankung. Bei hinzutretender Selbst- oder Fremdgefährdung ergibt sich daraus ethisch und juristisch nicht nur das Recht, sondern schnell auch die Pflicht, mit Maßnahmen zur Gefahrenabwendung einzugreifen. Diese grundsätzliche Legitimierung der Anwendung von Zwang entbindet allerdings nicht von der Pflicht, stets die Verhältnismäßigkeit strikt zu beachten und Zwang nur als letztes Mittel anzuwenden, in kürzestmöglicher Dauer und unter Berücksichtigung von Menschenwürde und geteilter Entscheidungsfindung. Das bedarf hoher professioneller Expertise unter persönlich oft erheblich belastenden Rahmenbedingungen. Die dafür notwendigen gut ausgebildeten Fachkräfte verdienen hohen Respekt und werden in der psychiatrischen Versorgung dringend benötigt.