Zehn Jahre nach der Gründung des Vereins EX-IN Deutschland ist die Bedeutung von Genesungsbegleitung als ergänzende Perspektive im psychiatrischen Versorgungssystem weitgehend anerkannt. Auf der Basis von eigenem Erfahrungswissen mit Krisen und deren Bewältigungsstrategien werden die Nutzenden auf ihrem je individuellen Recovery-Weg im Sinne des Peergedankens begleitet.
Wie konnte es ohne staatliche Berufsanerkennung dieser neuen Gruppe von Mitarbeitenden und ohne institutionelle Förderung des bundesweit aktiven Vereins oder eine breitenwirksame Öffentlichkeitskampagne gelingen, dass Peer-Begleitung in ethischer Hinsicht das weitgehend ökonomisierte Versorgungssystem um den Faktor „Mensch“ in einer Weise so bereichert, dass das Angebot in seiner Daseinsberechtigung außer Frage steht?
Dieses Symposium lädt dazu ein, die Frage zu stellen, welche Ethik im Jahr 2022 gebraucht würde, um das Phänomen einer ehrenamtlichen Bottom-Up-Bewegung durch Krisenerfahrene angemessen so zu beschreiben, dass seine gesellschaftliche Relevanz sichtbar würde?
Überlegungen zur Bewältigung dieser Aufgabe aus den Perspektiven einer Peer-Mitarbeiterin, die Mitglied des Ethik-Rates einer Klinik ist, und einer Ärztin, die ebenfalls Mitglied des Ethik-Rates derselben Klinik ist, sowie der Relevanz von Recht und Ethik aus der Praxis, der praxisorientierten Einbindung in den Stationsalltag und darüber hinaus, die Vergleichbarkeit zu bestehenden Berufsgruppen im Sinne einer finanziellen Vergütung und der gesellschaftlichen Bedeutung des Ganzen sowie die eigentliche Tätigkeit als Genesungsbegleiterin geben Impulse, damit alle Interessierten an der offenen Diskussion im großen Kreis teilnehmen können.
Ziel ist es, möglichst konkrete Lösungsideen gemeinsam zu erarbeiten, damit sie als Anregungen für die eigene Tätigkeit und für weitere Auseinandersetzungen des Vereins EX-IN Deutschland mit diesem Thema dienlich werden können.
08:30 Uhr
Zu den Herausforderungen einer gesellschaftlichen Relevanz „der Psychiatrie als Praxisort für Ethik“
S. Ackers (Karlsbad, DE)
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Autor:in:
S. Ackers (Karlsbad, DE)
Bis ins 5. Jahrhundert vor Christus führt uns die abendländische Tradition zum Begriff „Ethik“ zurück. Dabei fallen große Namen wie Sokrates und Aristoteles. Die drei Fragen nach dem „höchsten Gut“, dem richtigen Handeln in bestimmten Situationen und der Freiheit des Willens stehen im Zentrum.
Genesungsbegleiter:innen sind selbst krisenerlebende Menschen gewesen, die auf ihrem Weg in die Stabilisierung „Er-fahrungen“ mit dem Gesundheitssystem aus der Perspektive der Nutzenden sammeln konnten und nun diejenigen begleiten, die derzeit Unterstützung auf ihrem je eigenen Weg zur Genesung benötigen.
Durch deren Implementierung ins Gesundheitssystem stellen sich die ethischen Fragen neu.
Wie unter einem Brennglas treten gesellschaftlich relevante Themen in der Psychiatrie als Praxisort für Ethik zutage.
Wer übernimmt hier die Deutungshoheit über Wohlbefinden und Glückseligkeit?
Wie gestaltet sich Partizipation nicht nur in der akuten Krise, sondern auch darüber hinaus als gesellschaftliche Teilhabe?
Warum ist das Sprechen über seelische Erschütterungen gesellschaftlich immer noch tabuisiert?
08:52 Uhr
Erfahrungen zur Bedeutung von Peers in Bezug auf/bei der Gratwanderung von Ethik, Recht und Alltag psychiatrischer Behandlung
C. Flader (Karlsbad, DE)
09:14 Uhr
Herausforderungen für das Ethik-Forum bei psychiatrischen Themen
I. Hein (Karlsbad, DE)
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Autor:in:
I. Hein (Karlsbad, DE)
Wenn eine ethische Fallmoderation angefragt wird, besteht der Konflikt häufig zwischen dem ethischen Prinzip der Autonomie und dem der Fürsorge. Was aber, wenn die Autonomie des Patienten durch die Erkrankung selbst beeinträchtigt ist? Was bedeutet es, wenn dafür keine Einsicht besteht? Kann ein Patient eine indizierte Behandlung ohne Begründung ablehnen, wie in der somatischen Medizin? Wenn nicht, wer setzt die Grenze zur Selbstbestimmung (Autonomie) wohin und warum?
Was lösen Fragen und das Hinterfragen zur indizierten Therapie bzw. zur gewünschten oder abgelehnten Therapie beim Patienten aus? Welche Bedeutung hat das offene Erörtern für das weitere therapeutische Vertrauensverhältnis? Viele Fragen ergeben sich für ein klinisches Ethik-Forum. Und damit letztlich auch die Frage: Ist die ethische Fallmoderation dann wirklich hilfreich oder eher gar schädlich?
09:36 Uhr
Perspektiven einer Peer-Mitarbeiterin, die zugleich Mitglied des Ethik-Teams ist
T. Ruf (Karlsbad, DE)
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Autor:in:
T. Ruf (Karlsbad, DE)
Tone Wibe Ruf arbeitet seit 2016 im SRH-Klinikum in Karlsbad-Langensteinbach. Sie arbeitet als Ex-In Genesungsbegleiterin auf einer offenen Trauma-Station und ist seit 2020 Teil des klinikinternen Ethik-Teams. In ihrer Rolle als Genesungsbegleiterin versucht sie die Brücke zwischen Betroffenen, Angehörigen und Fachpersonal zu schlagen und dabei verschiedene Perspektiven der Behandlung zu berücksichtigen. Ganz ähnlich ist die Aufgabe auch im Ethik-Team: bei ethischen Fragen muss es zwar nicht immer gleich um Leben und Tod gehen, ihrer Meinung nach entsteht die Problematik viel früher, wie sie anhand verschiedener Beispiele darstellen wird.