Die S3-Leitlinie zu Diagnostik und Therapie von Autismus-Spektrum-Störungen ist seit über einem Jahr veröffentlicht. Die Nachfrage von betroffenen Menschen nach Diagnostik und Therapie ist hoch, das Angebot jedoch sehr gering. Während Spezialambulanzen oft lange Wartezeiten haben, wird die Diagnostik und Therapie in den Vertragsarztpraxen kaum angeboten. Es wird die Forderung nach einem Nationalen Aktionsplan erhoben. Die WHO und andere Länder wie Großbritannien haben Forderungen nach einer nationalen Strategie formuliert.
10:37 Uhr
Forschung zu ASS an Unikliniken
C. Falter-Wagner (München, DE)
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C. Falter-Wagner (München, DE)
Als neuronale Entwicklungsstörung zeigen sich erste Frühwarnzeichen für das Vorliegen einer Autismus-Spektrum-Störung in aller Regel in der frühen Kindheit. Die Früherkennung und Frühintervention steht damit im Vordergrund und Forschungsbemühungen in diesen Bereichen zeigen gute Fortschritte.
Gleichzeitig hat die Anerkennung der Persistenz von tiefgreifenden Entwicklungsstörungen bis in das Erwachsenenalter auch zu einer Zunahme von Forschungsaktivitäten zum Thema Autismus-Spektrum-Störung im Erwachsenenbereich geführt. Besonders aus der Unterversorgung von Personen mit Autismus-Spektrum-Störung erwachsen relevante Forschungsbemühungen, um Diagnostik und Intervention vor allem hinsichtlich der Aspekte Verlässlichkeit und Zugänglichkeit zu verbessern. Im Vortrag wird ein Überblick über aktuelle Forschungsprioritäten durch Interessensvertreter gegeben. Besondere Anforderungen an die Studienrekrutierung von Studienprobanden mit Autismus-Spektrum-Störung sowie Kontrollprobanden werden vorgestellt. Zudem wird der Beitrag von partizipativen Forschungsansätzen herausgearbeitet.
Ein Überblick über eigene aktuelle Forschungsprojekte zum Autismus in Adoleszenz und Erwachsenenalter wird gegeben sowie zukünftige Richtungen diskutiert.
10:59 Uhr
Aspekte von Autismus als Normvarianten
L. Tebartz van Elst (Freiburg im Breisgau, DE)
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L. Tebartz van Elst (Freiburg im Breisgau, DE)
In Fachkreisen ist es durchaus umstritten, ob Autismus im Sinne einer nosologischen Kategorie und damit als Krankheit im engeren Sinne des Begriffs verstanden werden soll oder als dimensionales, medizinisches Phänomen, welches wie die Körpergröße mehr oder weniger stark ausgeprägt in Erscheinung treten kann, ohne dass zwingende Cut-Off-Kriterien benannt werden können.
In der Theorie der Krankheiten (Nosologie) können starke ätiologische Krankheitsbegriffe identifiziert werden, bei denen der Begriff auf eine klare ätiologische Erstursache verweist wie z.B. bei der Neurohsyphilis. Weiter können pathogenetische Krankheitsbegriff erkannt werden, bei denen der Begriff auf Teilaspekte der Sekundärursachen (Pathogenese) Bezug nimmt, ohne aber die Erstursache zu spezifizieren wie z.B. bei der Epilepsie. Sodann existieren die schwächsten, syndromalen Krankheitsbegriffe, bei denen der Begriff Querschnitts- und Längsschnittsapekte von Symptomen zusammenfasst, ohne einen unmittelbaren Bezug zu nehmen auf die Ursächlichkeit.
In dem Beitrag soll darauf hingewiesen werden, dass der Autismus-Begriff (Autismus-Spektrum-Störung) seiner Natur nach rein deskriptiv ist (Syndromdiagnose), praktisch aber auch im Sinne eines echten kausalen Krankheitsbegriffs zur Anwendung kommt.
Wahrscheinlich muss in der Mehrzahl der heute vergebenen Diagnosen eher von einem Autismus im Sinne einer Normvariante ausgegangen werden wie bei einer gegebenen markanten Persönlichkeitsstruktur. Resultieren aus dem Besonders- und Anders-Sein dysfunktionale Auswirkungen in mehreren Lebensbereichen und Leidensdruck, sind die allgemeinen Störungskriterien erfüllt und der Autismus erscheint wie eine Persönlichkeitsstörung.
ein möglichst valides Verständnis des Phänomens Autismus kann helfen, ein adäquates Selbstbild zu generieren, die medizinische Versorgung zu optimieren und sozialmedizinisiche Regelungen optimal zu gestalten.