Die AGATE ist ein länderübergreifender, interdisziplinärer Verbund aus Kliniken, Praxen, Apotheken und Forschungseinrichtungen, der sich der Förderung und Unterstützung einer sowohl rationalen wie rationellen Pharmakotherapie verschrieben hat. Die AGATE ist von Lobbyinteressen im Gesundheitswesen unabhängig. Das Symposion stellt klinisch relevante Forschungs- und Entwicklungsdaten (F&E-Daten) vor, die exemplarisch aufzeigen, wie eine solche Kooperation zwischen Wissenschaft und klinischer Praxis für ganzheitliche Therapiekonzepte aus gezielter Abstimmung verschiedener Arzneimittelverordnungen mit anderen Therapiemaßnahmen zur Anpassung an die individuellen Bedürfnisse einzelner Patienten und Patientinnen genutzt werden kann.
In diesem Jahr demonstriert der Gynäkologe und Geburtshelfer Dr. Wolfgang Paulus von der Universitätsfrauenklinik Ulm die interdisziplinäre Arbeit an Hand der Diskussion der aktuellen Warnhinweise zur Anwendung von Pregabalin in der Schwangerschaft. Herr Prof. Dr. Thomas Messer (Psychiater, Danuviusklinik Pfaffenhofen) stellt die Fakten zur Auslösung bzw. Verhinderung von Suiziden durch Medikamente zusammen. Der Klinische Pharmakologe Prof. Dr. Dr. Ekkehard Haen (Universität Regensburg und Institut AGATE) berichtet eine Gutachten Kasuistik mit fatalen Folgen eines medikamentösen Therapieversuches von Aggressivität ohne Beachtung der Pharmakologie. Frau Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl (Psychiaterin, MHH Hannover) schlägt mit einem Beitrag zu Cannabinoiden bei post-traumatischen Belastungsstörungen eine weitere Brücke zwischen Psychosomatik und biologischer Psychiatrie.
13:30 Uhr
Pregabalin in der Schwangerschaft – Beunruhigung durch neue Warnhinweise
W. Paulus (Ulm, DE)
Details anzeigen
Autor:innen:
W. Paulus (Ulm, DE)
U. Friebe-Hoffmann (Ulm, DE)
Fragestellung: Bei Pregabalin handelt es sich um ein Gamma-Aminobuttersäure-Analogon, das oft langfristig zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen, Epilepsie und Angststörungen eingesetzt wird. Die Fachinformationen für Präparate mit Pregabalin enthalten auf Veranlassung der European Medicines Agency (EMA) seit April 2022 eine Warnung vor einem Einsatz in der Schwangerschaft, da es Hinweise auf erhöhte Fehlbildungsrisiken gäbe.
Methoden: Im Rahmen einer prospektiven Followup-Studie wurden von unserem nationalen Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum zwischen 2006 und 2020 110 Schwangerschaftsausgänge nach mütterlicher Therapie mit Pregabalin in der Frühgravidität dokumentiert. Die Befunde wurden unter Einsatz des Fisher's Exact Testes mit den Daten eines Kontrollkollektives (n=353) aus demselben Zeitraum verglichen, das nicht oder unproblematisch exponiert war.
Ergebnisse: 16,4% der exponierten Patientinnen (18/110) entschlossen sich ohne sonographische Hinweise auf eine gestörte Embryonalentwicklung zum Schwangerschaftsabbruch, während der Anteil im Kontrollkollektiv lediglich bei 2,0% lag (7/353; p < 0,001). Die Spontanabortrate unter Einnahme von Pregabalin unterschied sich mit 12,1% (11/91) nicht signifikant (p=0,22) vom Kontrollkollektiv mit 8,1% (28/347). Nach intrauteriner Exposition mit Pregabalin im ersten Trimenon wurden drei Kinder mit kongenitalen Anomalien registriert. Im Vergleich zum Kontrollkollektiv lag das Fehlbildungsrisiko unter Medikation mit Pregabalin nicht über dem Signifikanzniveau (3/80=3,7% vs 6/318=1,9%; p=0,39; relatives Risiko 1,99; 95%-Konfidenzintervall: 0,51 – 7,78). Ein homogenes Fehlbildungsmuster fiel nicht auf.
Zusammenfassung: Ein hohes teratogenes Potential bei mütterlicher Therapie mit Pregabalin im ersten Trimenon ließ sich in unserem Kollektiv nicht bestätigen. Allerdings sollte der Wirkstoff angesichts der widersprüchlichen Bewertungen derzeit in der Schwangerschaft möglichst vermieden werden.
14:14 Uhr
Risiken bei der medikamentösen Therapie von Aggressivität – ein Gutachtenfall
E. Haen (Pentling, DE)
14:36 Uhr
Cannabinoide bei posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS)
K. Müller-Vahl (Hannover, DE)
Details anzeigen
Autor:in:
K. Müller-Vahl (Hannover, DE)
Auch wenn die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Sertralin und Paroxetin zur Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zugelassen sind, wird ihr Gebrauch wegen der unzureichenden Wirksamkeit nur dann empfohlen, wenn eine Trauma-fokussierte Psychotherapie nicht wirksam ist oder komorbide Störungen bestehen.
Kontrovers wird diskutiert, ob Cannabis-basierte Arzneimittel eine sinnvolle Behandlungsalternative darstellen. Aus Umfragen ist bekannt, dass viele Personen mit PTBS über eine deutliche Symptomverbesserung nach Einnahme von Cannabis bzw. Cannabis-basierten Arzneimitteln berichten mit einer Verminderung von sich aufdrängenden Gedanken, Flashbacks, Reizbarkeit, Hyperarousal, Stress, Angstzuständen, Schlafstörungen, nächtlichen Schweißausbrüchen, Alpträumen, depressiven Episoden und Suizidgedanken.
Die Daten aus einer bisher nur geringen Zahl kleiner, kontrollierter Studien sind allerdings zum Teil widersprüchlich mit einerseits klinischer Verbesserung und andererseits fehlendem positiven Effekt. Nach prospektiven Beobachtungsstudien könnte die Einnahme von Cannabis sogar zu einer Verstärkung von Trauma-assoziierten Intrusionen oder einer Zunahme suizidaler Gedanken und suizidalem Verhalten führen.
Trotz der uneinheitlichen Datenlage zur Wirksamkeit Cannabis-basierter Arzneimittel kommen die Autoren einer 2021 veröffentlichten systematischen Übersichtsarbeit zu dem Ergebnis, dass „verschiedene medizinische Cannabinoide in unterschiedlichen Dosierungen und Formulierungen vielversprechende Behandlungsstrategien zur Verbesserung der gesamten PTBS-Symptomatik sowie spezifischer Symptombereiche (z. B. Schlafstörungen, Erregungszustände, Suizidgedanken) darstellen und auch die Lebensqualität, Schmerzen und sozialen Folgen positiv beeinflussen könnten.“ Unklar ist derzeit, ob die günstigsten Effekte durch Tetrahydrocannabinol (THC), Cannabidiol (CBD), das THC-Analogon Nabilon (Canemes®) oder Cannabisextrakte oder –blüten zu erzielen sind.