Autor:innen:
O. Andres (Würzburg, DE)
K. Faust (Lübeck, DE)
S. Dartsch (Würzburg, DE)
M. Müller (Würzburg, DE)
C. Dame (Berlin, DE)
A. Franz (Tübingen, DE)
U. Thome (Leipzig, DE)
J. Essers (Ulm, DE)
A. Stein (Essen, DE)
M. Rüdiger (Dresden, DE)
P. Meybohm (Würzburg, DE)
E. Herting (Lübeck, DE)
W. Göpel (Lübeck, DE)
C. Härtel (Würzburg, DE)
Hintergrund: Sehr unreife Frühgeborene weisen ein hohes Risiko für eine Anämie, Thrombozytopenie oder operative Intervention mit Transfusionsbedürftigkeit auf. Die am häufigsten verabreichten Blutkomponenten sind Erythrozytenkonzentrat (EK), Thrombozytenkonzentrat (TK) und gefrorenes Frischplasma (FFP). Lange Zeit fehlten belastbare Daten zum Überleben und neurokognitiven Outcome in Abhängigkeit eines liberalen oder restriktiven Transfusionsregimes. Ob die zunehmende Evidenz für die Sicherheit restriktiver Transfusionsgrenzen durch die randomisierten, kontrollierten klinischen Studien zu Erythrozyten (ETTNO-/TOP-Trials) und Thrombozyten (PlaNet-2/MATISSE-Study) zu einer geringeren Verabreichung von Blutprodukten führte, ist bislang offen.
Fragestellung: Ziele der retrospektiven Datenanalyse aus dem German Neonatal Network (GNN) sind die Erfassung der Transfusionsrate bei sehr unreifen Frühgeborenen in Deutschland und die Identifikation von Risikofaktoren, die mit Transfusionen assoziiert sind.
Material und Methoden: Alle vollständigen Datensätze (n=6.601) von im GNN erfassten Frühgeborenen mit einem Gestationsalter (GA) von 22+0 bis 26+6 Schwangerschaftswochen (SSW) wurden univariat und mittels multivariater logistischer Regression analysiert. Zudem unterteilten wir das Gesamtkollektiv in Frühgeborene, die vor (Zeitraum 2009–2019) und nach (Zeitraum 2020–2022) Publikation der ETTNO-/TOP- und PlaNet-2/MATISSE-Studien geboren wurden.
Ergebnisse: Im Kollektiv 2009–2019 (n=5.564) erhielten 81.7 % mindestens ein EK, 2020–2022 (n=1.037) waren es nur 76.5 % bei einem Median von jeweils 2.0. Bei 21.5 % vs. 18.3 % der Frühgeborenen wurde mindestens ein TK, bei 27.5 % vs. 25.0 % mindestens ein FFP verabreicht. Die Wahrscheinlichkeit für die Transfusion von EK sank ab 2020 um 27 %, von TK um 17 % signifikant ab (p < 0.001). Als wesentliche Risikofaktoren für die EK-Transfusion (p < 0.001) identifizierten wir das GA pro SSW (OR 0.43, 95 % CI 0.40–0.47), Hypotrophie (small for gestational age, SGA) (OR 3.7, 95 % CI 2.9–4.8), klinische Sepsis (OR 2.4, 95 % CI 2.0–2.8), Hirnblutung (OR 2.8, 95 % CI 2.4–3.3), abdominelle Operation (OR 7.1, 95 % CI 4.5–11.2), Teilnahme an der ETTNO-Studie (OR 1.19, 95 % CI 1.04–1.36) und Vorliegen eines Nabelarterienkatheters (OR 2.5, 95 % CI 2.1–2.9).
Diskussion: Diese Studie dokumentiert eine hohe Transfusionslast von über 75 % für EK und über 20 % für TK in einem sehr großen deutschen Kollektiv von Frühgeborenen unter 27+0 SSW. Es besteht eine signifikante Korrelation mit neonatalen Risikofaktoren (GA, SGA, klinische Sepsis, Hirnblutung oder abdominelle Operation), aber auch iatrogenen Einflüssen (Teilnahme an der ETTNO-Studie oder Vorliegen eines Nabelarterienkatheters als Surrogat für höheres Entnahmevolumen). Seit Erscheinen der ETTNO-/TOP- und PlaNet-2/MATISSE-Studien sind die Transfusionsraten signifikant rückläufig. Die erhobenen Daten bieten eine Basis für die Etablierung eines neonatalen Patient Blood Management.