Die frühen mundmotorischen Funktionen für die autonome Nahrungsaufnahme werden bereits intrauterin entwickelt und geübt. Der Fetus beginnt schon sehr früh während der Schwangerschaft an seinen Händen, Daumen oder Fingern zu saugen. Dabei schluckt er auch immer wieder kleine Mengen Fruchtwasser und trainiert dabei seine Saug-Schluck-Reaktion.
Nach der Geburt beginnt das Neugeborene seine intrauterin geübten Fähigkeiten Saugen und Schlucken aktiv einzusetzen und kompetent mit der Atmung zu koordinieren. Sind diese physiologischen Funktionen von Atmen – Saugen – Schlucken gestört, kann der Säugling seine sensomotorischen Fähigkeiten zur Nahrungsaufnahme nicht ideal weiter differenzieren und selbstbestimmt entfalten. Dadurch ist der Säugling nicht selbstwirksam dazu in der Lage, seine Ernährungsbedürfnisse ausreichend zu decken. Werden diese Fehlfunktionen des Säuglings erkannt, kann durch die orofaziale Stimulation eine gezielte Förderung zur Anwendung kommen.
Eine orofaziale Stimulation beinhaltet sensorische Reizsetzungen, die der Säugling in seine neuronalen Strukturen integriert und für seine funktionsspezifischen motorischen Aktivitäten nutzt. Das taktile, propriozeptive sowie das vibratorische Wahrnehmungssystem nehmen Reize auf, die für die direkte Steuerung des motorischen Systems eine wichtige Rolle spielen. Das Neugeborene sammelt beständig neue Erfahrungen, die mit den bereits abgespeicherten Kenntnissen abgeglichen werden und als Erweiterung integriert oder als unbedeutend vernachlässigt werden. Immer wiederkehrende aktive Lernsequenzen ermöglichen es den Säuglingen schnelle neuronale Netzwerke aufzubauen.
Insbesondere Frühgeborene brauchen eine kompetente Unterstützung, damit sie ihre individuellen Kompetenzen zur selbstständigen Ernährung entwickeln können. Angenehme Stimulationsimpulse befähigten Früh- und Neugeborenen ihre Kompetenzen im Prozess der Nahrungsaufnahme zielgerichtet zu entfalten. Eine positive Lernatmosphäre unterstützt diesen Prozess und führt zu einer gestärkten Interaktionsbeziehung. Für die Eltern stellt die Nahrungsaufnahme einen äußerst wichtigen Teil der einmaligen Beziehung zu ihrem Kind dar. Die Fähigkeit ihr Kind ernähren zu können gibt ihnen die Bestätigung, dass sie das Grundbedürfnis ihres Kindes stillen können. Hierauf gründet das Vertrauen der Eltern in ihr Kind und umgekehrt das des Kindes in seine Eltern. Diese einzigartige Beziehung gilt es individuell zu fördern und durch feinfühlige Unterstützung zu begleiten.
Das theoretische Wissen rund um die orale Nahrungsaufnahme stellt für alle professionellen Fachkräfte die Grundlage für eine verantwortungsbewusste Vorgehensweise dar. Wichtig für die zielgerichtete Unterstützung und Anleitung der Säuglinge ist der kompetente Blick auf die Entwicklung der sensomotorischen Fähigkeiten für die orale Nahrungsaufnahme. Sie bekommen einen Einblick in die neurophysiologischen Inhalte der Oralmotorik sowie in die praktische Umsetzung der orofazialen Stimulation.