Autor*innen:
D. Hertle (Wuppertal, DE)
D. Wende (Wuppertal, DE)
F. zu Sayn-Wittgenstein (Osnabrück, DE)
Hintergrund:
Wochenbettbetreuung durch Hebammen ist in Deutschland aufsuchend möglich und zwar über einen im internationalen Vergleich recht langen Zeitraum von drei Monaten nach der Geburt und bei Bedarf sogar darüber hinaus. In Befragungsstudien haben über 90% der Mütter die Auskunft gegeben, eine aufsuchende Wochenbettbetreuung erhalten zu haben (Sander et al. 2019; Bauer et al. 2020). Allerdings werden durch Befragungen eher gut situierte Bevölkerungsschichten erreicht und der response-bias kann die Ergebnisse beeinflussen. Ein ergänzender Einbezug von Routinedatenanalysen einer Krankenkasse zur Abbildung der Versorgungswirklichkeit erscheint daher sinnvoll. Auswertungen zu abgerechneten Hebammenleistungen wurden in Deutschland bisher nur vereinzelt durchgeführt (Hertle et al. 2021). Diese bieten den Vorteil, dass eine hohe Zahl von Versicherten sektorenübergreifend und unter Einbezug der sozioökonomischen Lage beobachtet werden kann. Nachteilig ist, dass Familienhebammen nicht über die Krankenkasse abgerechnet und somit nicht erfasst werden.
Zielsetzung:
Ziel der Analyse war es, die Abbildung der Versorgungslage auf der Basis von Abrechnungsdaten der BARMER zu ergänzen und darzulegen, wie viele und welche Frauen im Wochenbett in welchem Umfang und über welchen Zeitraum aufsuchende Hebammenbetreuung erhalten haben.
Methode:
Analyse der abgerechneten Hebammenleistungen bei Frauen, die in den Jahren 2017-2020 ein lebendes Kind geboren haben und die während des gesamten Beobachtungszeitraums bei der BARMER versichert waren. Ausgewertet wurden die Abrechnungsziffern für die aufsuchende Hebammenbetreuung nach dem Hebammenhilfevertrag unter Berücksichtigung der sozioökonomischen Lage der Versicherten.
Ergebnisse:
Die Studienpopulation umfasste 227.088 Frauen, von denen 26% nach der Definition des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung über eine niedriges, 46% über ein mittleres und 29% über ein hohes Einkommen verfügten. Es zeigten sich große Unterschiede hinsichtlich der aufsuchenden Hebammenbetreuung. Während 90,5% der Frauen mit hohem Einkommen aufsuchende Wochenbettbetreuung erhielten, waren es bei den Frauen mit mittlerem Einkommen nur 83,5% und bei den Frauen mit niedrigem Einkommen sogar nur 67,9%. Die Gruppen unterschieden sich hinsichtlich weiterer Merkmale wie Sectiorate, Frühgeburten, Mehrlingsschwangerschaften, Alter oder Begleiterkrankungen nicht in einem Ausmaß, das den Unterschied in der Versorgung erklären könnte.
Diskussion:
Die Ergebnisse werfen die Frage auf, ob und inwiefern Frauen mit niedrigem Einkommen einen ausreichenden Zugang zur häuslichen Wochenbettbetreuung durch Hebammen haben. Im Gegensatz zur Schwangerenvorsorge können Frauen im Wochenbett nicht auf andere Leistungserbringer*innen ausweichen, da aufsuchende Wochenbettbetreuung eine Vorbehaltstätigkeit von Hebammen ist. Wir können allerdings in den Daten nicht erkennen, ob Frauen stattdessen von einer Familienhebamme betreut werden. Möglicherweise sind aber Frauen mit niedrigem Einkommen im Wochenbett deutlich schlechter versorgt als Frauen der höheren Einkommensschichten, obwohl von einem höheren Unterstützungsbedarf ausgegangen wird (Eickhorst et al. 2016).