12:15 Uhr
PO-05-01:
Von der Theorie in die (simulierte) Praxis – Pädiatrische Notfälle in Virtual Reality für PJ-Studierende und BlockpraktikantInnen
F. Keicher (Würzburg, DE)
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Autor:innen:
F. Keicher (Würzburg, DE)
M. Müller (Würzburg, DE)
K. Ruf (Würzburg, DE)
T. Mühling (Würzburg, DE)
S. König (Würzburg, DE)
C. Härtel (Würzburg, DE)
Fragestellung/Zielsetzung
65,8 % des ärztlichen Nachwuchses fühlt sich nach dem Praktischen Jahr nicht gut auf die Berufspraxis vorbereitet (1). Häufig ist es nicht möglich, dass Studierende in der Klinik die Versorgung von akut erkrankten Personen von Anfang bis Ende trainieren. Dies trifft insbesondere auf pädiatrische Notfälle zu. Simulationen tragen dazu bei, dass Studierende in geschützter Umgebung komplexe Fälle üben können. Zu diesem Zweck wurde ein Virtual Reality (VR)-basiertes Fallszenario zur Versorgung eines Neugeborenen mit Sepsis erstellt.
Methoden
Basierend auf dem VR-basierten Training internistischer Notfälle aus der Erwachsenenmedizin wurde das Fallszenario „neonatale Sepsis“ inklusive einer dynamischen Physiologie programmiert und in die bestehende software- und hardwareseitige Infrastruktur der virtuellen Notaufnahme integriert. Der VR-Fall wurde in ein Seminar (5-10 Teilnehmende) integriert, das sich an Studierende im Blockpraktikum und im Praktischen Jahr der Pädiatrie und Gynäkologie richtet. Das Fallszenario beinhaltet eine Fremdanamnese durch die Mutter, eine Erhebung der klinischen Untersuchungsparameter und der apparativen Diagnostik, u.a. mittels Sonographie, Lumbalpunktion und Blutabnahme. Zudem wird die adäquate Therapie mit Volumengabe und Antibiotika initiiert. Durch die Projektion der First-Person-Perspektive können die beobachtenden Peers verfolgen und aktiv unterstützen. Ein Pre- und Post-Test sowie eine Online-Evaluation zum Abschluss gibt Aufschluss über die Didaktik im Seminar, den subjektiven und objektiven Lernerfolg sowie inhaltliche und technische Komplexität des Falls. Hierzu werden validierte Fragebögen angepasst und erweitert (2).
Ergebnisse/Ausblick
Bis Ende Juni 2023 ist die Durchführung und Evaluierung von insgesamt zehn Seminaren geplant. Die Ergebnisse zur Machbarkeit, zur Zufriedenheit und Akzeptanz sowie zum Lernerfolg werden im Rahmen der Jahrestagung vorgestellt.
Diskussion
Aufgrund der bereits erfolgreichen Implementierung der internistischen Fälle werden positive Evaluationen zum neuen VR-Seminar mit dem pädiatrischen Notfall erwartet. Aus den Erkenntnissen dieser Studie soll abgeleitet werden, inwiefern VR-Simulationen den pädiatrischen Unterricht von Studierenden sinnvoll für solche Kompetenzen in vulnerablen klinische Kontexten ergänzen können, die nicht systematisch mit echten Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörigen trainiert werden können.
Take home message
Gerade in der Pädiatrie können VR-basierte Trainings zukünftig realitätsnahe und komplexe klinische Situationen simulieren, in denen Studierende in einem geschützten Rahmen die schrittweise Übertragung von theoretischem Wissen in die Praxis üben.
12:20 Uhr
PO-05-02:
Reifes männliches Neugeborenes mit schwerer hypoglykämischer Encephalopathie
B. Frerichs (Solingen, DE)
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Autor:innen:
B. Frerichs (Solingen, DE)
T. Schwarz (Solingen, DE)
J. Adler (Solingen, DE)
S. Propson (Solingen, DE)
Männliches Neugeborenes, vorgestellt am 3. Lebenstag über die Notaufnahme mit V.a. auf Krampfanfälle. Hausgeburt in 40+6 SSW mit einem Geburtsgewicht von 3900 g.
Anamnestisch bestanden bereits wenige Stunden nach der Geburt ein verminderter Such- und Saugreflex mit notwendiger Gabe von Muttermilch und Pre-HA Nahrung durch die Hebamme. Ein Gestationsdiabetes (GDM) der Mutter bestand in der vorherigen Schwangerschaft, wurde in dieser jedoch nicht diagnostiziert.
Klinisch präsentierte sich ein apathisches Neugeborenes in lebensbedrohlich reduziertem Allgemeinzustand mit grau-ikterischem Hautkolorit, halonierten Augen, flacher Atmung, ausgeprägter muskulärer Hypotonie, Tachykardie und einer Rekapillarisierungszeit von 3 Sekunden.
Unmittelbar bei Eintreffen Zugangsanlage und Blutentnahme. Hierbei zeigte sich ein Blutzucker (BZ) von 5 mg/dl. Unter wiederholter Gabe von G10% Anstieg des BZ auf 18mg/dl, im Verlauf Normoglykämie.
Kurz nach Aufnahme zeigten sich erste tonisch-klonische Krampfanfälle, die sich im aEEG bestätigten und trotz Gabe von Midazolam, Phenobarbital und Levetiracetam nicht sistierten. Erst nach zusätzlicher Gabe von Phenytoin und Midazolam DTI ließen sich die Krampfanfälle durchbrechen. Danach Einleitung einer Dauertherapie mit Levetiracetam.
Eine Liquorpunktion blieb ohne wegweisenden Befund, laborchemisch ergaben sich abseits einer Polyglobulie keine Auffälligkeiten.
Zur weiterführenden Abklärung des Status epilepticus führten wir eine cMRT durch. Hier zeigte sich ein ausgeprägtes zytotoxisches Hirnödem parietooccipital bds., typisch (aber nicht exklusiv) für eine hypoglykämische Encephalopathie.
Sekundär erfolgte eine ausführliche Hypoglykämiediagnostik ohne pathologischen Befund.
Diskussion und Fazit
Bis zu 25% aller Neugeborenen haben Risikofaktoren für die Entstehung einer Hypoglykämie. Durch gute Überwachung und frühzeitige Intervention lassen sich in aller Regel Spätfolgen verhindern. Auf Grund des in der ersten Schwangerschaft erkanntem GDM der Mutter, der Polyglobulie des Kindes sowie oben genannter Diagnostik muss ein passagerer Hyperinsulinismus hier als Ursache diskutiert werden. Auch eine alimentär bedingte Hypoglykämie scheint möglich, wofür ein niedriges Aminosäureprofil in der Stoffwechseldiagnostik sprach. Abschließend ließ sich die Genese der Hypoglykämie jedoch nicht klären. Radiologische Verlaufskontrollen ergaben einen Rückgang des zytotoxischen Hirnödems, welches bis zur Entlassung aber nicht vollständig regredient war. 30-50% aller betroffenen Kinder behalten nach einer hypoglykämischen Encephalopathie neurologische Defizite.
Eine engmaschige postnatale Kontrolle hätte mit großer Wahrscheinlichkeit die fulminante Hypoglykämie verhindern, in jedem Fall aber früher demaskieren können. Entsprechend muss diskutiert werden, ob nach dem GDM der ersten Schwangerschaft eine Entbindung in einem Perinatalzentrum hätte erfolgen sollen, auch wenn nach unauffälliger Schwangerschaft keine harte Indikation hierzu bestand.
12:25 Uhr
PO-05-03:
Primäre bilaterale Lungenhypoplasie - letaler Verlauf auf Grund einer homozygoten Variante der mitochondrialen Alanyl-tRNA-Synthestase (AARS2): case report des ersten deutschen Falles
T. Humpl (Lörrach, DE)
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Autor:innen:
C. Celanowski (Lörrach, DE)
T. Humpl (Lörrach, DE)
Primäre bilaterale Lungenhypoplasie - letaler Verlauf auf Grund einer homozygoten Variante der mitochondrialen Alanyl-tRNA-Synthestase (AARS2): case report des ersten deutschen Falles
Celanowski C1, Lattermann U1, Wagner D1, Kohlhase J2, Pantea MA3, Cabrita Figueiredo AE3,, Humpl T1
1St. Elisabethen Krankenhaus Lörrach, Neonatologie, 2Synlab MVZ Humangenetik Freiburg, 3Institut für Klinische Pathologie, Universitätsklinikum Freiburg
Zielsetzung: Bei erschwerter respiratorischer Anpassung sollte immer an eine Lungenhypoplasie bzw. strukturelle Lungenveränderungen gedacht werden. Weiterführende Diagnostik kann seltene genetische Ursachen registrieren, die für betroffene Familien mit erneutem Kinderwunsch wichtig sind.
Material und Methode: Notsectio in Periduralanästhesie bei mütterlicher Hypotonie nach unauffälliger Schwangerschaft, Eltern nicht konsanguin. Das reifgeborene männliche Neugeborene ist deutlich deprimiert (APGAR 1/1/4), Beginn kardiopulmonaler Reanimation mit Intubation in Lebensminute 2, Wiederherstellung des Spontankreislaufs in Lebensminute 7. Verlegung beatmet auf die Intensivstation. Bei gemischt respiratorischer, metabolischer Azidose im Rahmen der perinatalen Asphyxie wird die Hypothermietherapie eingeleitet. Radiologisch kleiner Thorax im Vergleich zum Abdomen, echokardiographisch kein angeborener Herzfehler. Bei erschwerter Oxygenierung Umstellen der Beatmung auf HFOV und Beginn mit iNO (20 ppm). Nach Stabilisierung verschlechtert sich der Zustand des Patienten in Lebensstunde 20 rapide. Ein rechtsseitiger Pneumothorax wird entlastet, bei plötzlichem Herz-Kreislaufstillstand Beginn von Reanimationsmaßnahmen, bei ausbleibendem Erfolg Abbruch nach 20 Minuten.
Ergebnisse: Die Obduktion zeigte eine isolierte bilaterale Lungenhypoplasie mit vermindertem Wachstum der postbronchiolären Atemwegsabschnitte bei kongenitaler alveolärer Dysplasie und konsekutivem Rechtsherzversagen.
Die genetische Diagnostik ergab einen unauffälligen männlichen Chromosomensatz. Die exombasierte Panelanalyse bestätigte eine homozygot, pathogen Variante im AARS2-Gen welches für ein Atmungskettenenzym kodiert.
Phänotypisch zeigen rezessive Träger der AARS2-Mutation letale Kardiomyopathien oder Leukodystrophien. Unser Patient hingegen litt wie auch zwei zuvor beschriebenen australischen Geschwistern an einer isolierten bilateralen Lungenhypoplasie ohne weitere Fehlbildungen. Auf Grund der mitochondrialen Lokalisation lässt sich auch der schlechte Zustand des Patienten nach Entbindung erklären.
Zusammenfassung: Dieses Fall zeigt eine phänotypische Variabilität bei AARS2 Mutation. Die genetische Beratung der Eltern des verstorbenen Patienten mit weiterem Kinderwunsch ist dringend empfohlen.
12:30 Uhr
PO-05-04:
Diagnose einer Septischen Granulomatose (Chronic granulomatous disease [CGD]) bei einem Patienten mit Aspergillus-Pneumonie.
L. Belevskaia (Hannover, DE)
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Autor:innen:
L. Belevskaia (Hannover, DE)
S. Kleiner (Hannover, DE)
H. Köditz (Hannover, DE)
Zielsetzung/Hintergrund:
Die Septische Granulomatose ist ein primärer Immundefekt. Monozyten und Granulozyten bilden bei Funktionseinschränkung der NADPH-Oxidase keine reaktiven Sauerstoffmetabolite. Betroffene Patienten haben ein erhöhtes Risiko für lebensbedrohliche Infektionen mit katalase-positiven Bakterien und Pilzen.
Fallvorstellung:
Heimatnahe Aufnahme eines 3-jährigen Jungen bei rezidivierenden Fieberschüben mit Husten und respiratorischer Verschlechterung in normalem Ernährungs- und Entwicklungszustand. Radiologisch: Bilateral basal fleckige Infiltrate. Unter empirischer antibiotischer Therapie verschlechterte sich der Allgemeinzustand weiter. Das Kind entwickelte O2-Bedarf, persistierendes Fieber und ansteigende Entzündungsparameter. Die antibiotische Therapie wurde auf Meropenem und Vancomycin eskaliert. Bei progredienter Verschlechterung erfolgte die Verlegung in unser Zentrum.
Vorgeschichte: Schwangerschaft und Geburt unkompliziert. Stationäre Therapie im Alter vor drei Wochen bei Late-onset-Sepsis. Im Verlauf zwei weitere hospitalisierungsbedürftige Infektionen (ca 1/ Jahr, keine Otitiden oder Pneumonien). Während der Infektionen blieb der Patient trotz ausgeprägter Leukozytose (bis 45 Tsd./µl) stabil und erholte sich rasch. Einmalig trat ein trockenes Exanthem mit vereinzelten Pusteln, einmalig ein Perianalabszess mit Nachweis von E.coli und Streptococcus agalactiae auf. Eine immunologische Diagnostik (12/2021) ergab: Unauffälliger Immunglobulinstatus, adäquate Impfantwort, normale Lymphozytentypisierung.
Bei Übernahme sahen wir: Kind mit ausgeprägter Tachydyspnoe. Auskultatorisch ubiquitär mittel- bis grobblasige RG, Hepatomegalie bis III Querfinger unter dem Rippenbogen. Radiologisch: Bilateral diffuse fleckförmig-konfluierende Infiltrate. Eine respiratorische Globalinsuffizienz erforderte invasive Beatmung mit hohen Beatmungsdrücken und später eine Eskalation auf HFOV. Bronchoskopisch: Putrid-glasiges Sekret, kein Hinweis auf alveoläre Hämorrhagie. In der BAL vereinzelter Nachweis von Aspergillus fumigatus. Die erweiterte immunologische Diagnostik ergab einen auffälligen Granulozytenfunktionstest. Die genetische Untersuchung bestätigte die Diagnose CGD. Wir eskalierten die Antiinfektiva-Therapie um Flucloxacillin und Voriconazol und behandelten mit Steroiden, da Patienten mit CGD zu einer überschießenden Immunreaktion neigen. Trotz konventioneller Maximaltherapie und Eskalation auf VV-ECMO verstarb der Patient leider am 6. Tag nach Übernahme an der Infektion.
Ergebnisse/Zusammenfassung:
Bei akuter invasiver pulmonaler Aspergillose ohne iatrogene Immuninsuffizienz oder HIV-Infektion sollte unabhängig vom Alter des Patienten an CGD gedacht werden. Trotz aggressiver Therapie bleibt die Apergillus-Pneumonie bei Patienten mit CGD die häufigste Todesursache.
12:35 Uhr
PO-05-05:
Erfahrungsbericht zu Neugeborenen, deren Mütter Venlafaxin bzw. Flupentixol in der Schwangerschaft eingenommen haben
W. Nürnberger (Schwedt, DE)
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Autor:innen:
N. Burshan (Schwedt, DE)
D. Jedrzejczak (Schwedt, DE)
W. Nürnberger (Schwedt, DE)
In der Klinik stellen sich immer öfters schwangere Patientinnen vor, die an Depressionen leiden und dementsprechend medikamentös behandelt werden. Einzelfälle weisen auf ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko und zur Adaptationsstörung des Neugeborenen unter Velafaxin und/oder Flupentixol während der Schwangerschaft hin. Wir stellen die 2 Fallbeispiele von unserer Klinik vor.
Fallgeschichte 1: Eine 35jährige Schwangere, Gravid III, Para I wurde ohne Rücksprache mit dem betreuenden Gynäkologen wegen einer Depression mit Venlafaxin behandelt. In der 39+1. SSW kam es nach 15stündigem Blasensprung zum Geburtsstillstand und zur Entbindung des Kindes mittels sekundärer Sectio in PDA. APGAR 7-9-10, pH 7,349, Initial eingeschränkte Atmung und Zyanose, zweimal je 5 blähende Atemhübe notwendig, jedoch keine Sauerstoffgabe. Herzfrequenz >100/min., Muskeltonus gut, im Verlauf reguläre Atmung.
Fallgeschichte 2: Eine 35jährige Schwangrere, Gravid IV, Para II wurde bei schizpaktiver Psychose mit Flupentixol behandelt. Eine Feindiagnostik wurde nicht durchgeführt; die Schwangerschaft war durch Nikotinkonsum 30-40 Zigaretten am Tag kompliziert. Primäre Sectio bei fetaler Makrosomie und Z.n. Sectio in 38+2. SSW, reguläre Adaptation, jedoch klinisch auffälliges Neugeborenes mit Finnegan Score und 13 und 12 Punkten an den ersten beiden Lebenstage. Bei dem Neugeborenen haben wir äußerlich soweit bei ausführlicher Sonographie keine Fehlbildungen gesehen.
Wegen der grundsätzlich bekannten Nebenwirkungen der Medikamente, wird empfohlen, dass bei Schwangeren mit Depression die antidepressive Therapie in Abstimmung mit den betreuenden Gynäkologen initiiert werden sollte, die Feindiagnostik essentiell ist und die Geburt in einer Klinik mit angemessener Neugeborenenversorgung durchzuführen ist.
12:40 Uhr
PO-05-06:
Lipschütz-Ulkus – Differentialdiagnose vaginaler Ulzerationen
J. Lohmann (Köln, DE)
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Autor:innen:
J. Lohmann (Köln, DE)
B. Mack-Detlefsen (Köln, DE)
K. Feld (Heidelberg, DE)
S. Banaschak (Köln, DE)
1912 stellte Lipschütz vier Fälle von akuten genitalen Ulzerationen (Ulcus vulvae acutum) bei jungen Frauen bzw. Mädchen vor, welche sehr schmerzhaft und von Fieber begleitet waren und sich innerhalb weniger Wochen spontan zurückbildeten [1]. Die mittlerweile als Lipschütz-Ulkus bekannte Erkrankung präsentiert sich typischerweise mit aphthösen bis nekrotisierenden Ulcera an den kleinen Labien und dem Introitus vaginae, häufig auch als „kissing ulcers“. Ein Erregernachweis gelingt selten, häufig entsteht das Ulcus nach akuten Infektionen (z.B. EBV). Unter Lokaltherapie heilen die Ulzerationen in der Regel narbenfrei ab [2,3].
Die Erkrankung ist selten und bei Kinder- und Jugendmediziner*innen und -chirurg*innen oft unbekannt, was zur Fehldiagnose und dem fälschlichen Missbrauchsverdacht führen kann. Anhand von drei Fallbeispielen der letzten Jahre aus unserer Klinik benennen wir die typischen Symptome, Therapiestrategien und Differentialdiagnosen. Die Abgrenzung von Läsionen die z.B. im Rahmen von sexualisierter Gewalt entstehen können, ist wichtig um Falschanschuldigungen zu vermeiden sowie um eine Übertherapie der spontan ausheilenden Ulcerationen zu vermeiden [4].
12:45 Uhr
PO-05-07:
Medizinische Vernachlässigung als Kindeswohlgefährdung: Daten der Medizinischen Kinderschutzhotline aus der Pädiatrie
J. Ewert (Hamburg, DE)
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Autor:innen:
T. Heimann (Ulm, DE)
Y. Öz (Ulm, DE)
O. Berthold (Berlin, DE)
J. Ewert (Hamburg, DE)
Zielsetzung:
Körperliche und emotionale Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen sind häufige Phänomene. Tätige im Gesundheitswesen haben immer wieder mit Fällen medizinischer Vernachlässigung zu tun, bei der medizinisch indizierte Diagnostik oder Therapien unterbleiben. Dies kann eine Kindeswohlgefährdung darstellen. Es soll untersucht werden, welchen Anteil diese Fälle innerhalb der Kontaktanfragen an die Medizinische Kinderschutzhotline aus dem Gesundheitswesen haben und welche Charakteristiken sie in Bezug auf betroffene Kinder und Jugendliche aufweisen.
Materialien und Methoden:
Deskriptive statistische Auswertung von 5883 Beratungsgesprächen zwischen 1.7.2017 und 31.3.2023, die mit den entsprechenden Fachkräften in der medizinischen Kinderschutzhotline geführt wurden sowie qualitative Darstellung prototypischer Fragestellungen.
Ergebnisse:
Aus 5883 Beratungsgesprächen wurden in 432 Beratungen eine "medizinische Vernachlässigung" vermutet. Die Ratsuchenden waren überwiegend Ärzt*innen (206 Anrufe), seltener Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen (93 Anrufe), oder andere (124 Anrufe). 195 Ratsuchende riefen aus dem niedergelassenen Bereich an, 97 aus der Klinik, 131 aus anderen Settings. 163 Beratungen wurden mit in der Kinder- und Jugendmedizin tätigen geführt, 150 mit Fachkräften der Kinder- und Jugendpsychiatrie/-psychotherapie. Nur in 19 Fällen ergaben sich aus den Beratungsgesprächen Hinweise für weitere Formen der Kindeswohlgefährdung. Die inhaltliche Auswertung der 163 pädiatrischen Fälle steht zum Zeitpunkt der Abstracteinreichung noch aus.
12:50 Uhr
PO-05-08:
Medizinische Kindesmisshandlung statt Münchhausen by proxy Syndrom: Die Notwendigkeit einer kindzentrierten Betrachtung
J. Ewert (Hamburg, DE)
H. Roese (Hamburg, DE)
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Autor:innen:
J. Ewert (Hamburg, DE)
H. Roese (Hamburg, DE)
Wenn eine Betreuungsperson Symptome übertreibt oder erfindet, bzw. absichtlich physische oder psychische Symptome bei einem Kind hervorruft und dieses Verhalten dazu führt, dass das Kind eine unnötige, schmerzhafte oder potenziell schädliche medizinische Versorgung erhält, wurde bisher vom Münchhausen by proxy Syndrom (MbpS) gesprochen. Diese Diagnose wurde international in den letzten Jahrzehnten zunehmend als unwissenschaftlich kritisiert und im englischen Sprachraum durch „Factitious disorder imposed on another“ (DSM-5) ersetzt. Das MbpS als Diagnose für Täter:innen wurde außerdem von verschiedenen Autor:innen als im pädiatrischen Kontext unzureichend für den vielgestaltigen medizinischen Formenkreis bezeichnet, in dessen Rahmen Kindern durch übermäßige Inanspruchnahme des Gesundheitswesens Schaden zugefügt wird [1]. Insbesondere in den USA hat sich daher der Begriff Medizinische Kindesmisshandlung (Medical Child Abuse) durchgesetzt, der kindzentriert und damit als pädiatrische Diagnose geeigneter ist [2]. Außerdem beschreibt der Terminus Medizinische Kindesmisshandlung ein breiteres Spektrum an Handlungen und Motivationen von Täter:innen (z.B. finanzielles Interesse, Symptomberichte ohne bewusste Täuschung, übermäßige Sorge und Ängstlichkeit, psychotisches Erleben), die vom im DSM-5 beschriebenen „Factitious disorder imposed on another“ nicht abgedeckt sind. Eine wichtige Ergänzung ist hierbei, dass die Schädigung auch unbewusst ablaufen und unabhängig von der Motivation der Betreuungsperson erfolgen kann, was sich weder im DSM-5 noch in der ICD-10 Klassifikation abbildet.
Zusammenfassung
Die übermäßige Inanspruchnahme des Gesundheitssystems, die daraus resultierenden Folgen für das Kind und die Herausforderungen in den Behandlungsteams benötigen eine interdisziplinäre Herangehensweise, fachliche Kompetenz und eine klare Sprache, um sichere Diagnosen stellen zu können. Der Begriff Medizinische Kindesmisshandlung reflektiert im Gegensatz zu MbpS sowohl die Tatsache, dass einem Kind Schaden zugefügt wird, als auch, dass die Heilberufe einen Beitrag zur Schädigung leisten. Eine kindzentrierte Perspektive und Nomenklatur sind unerlässlich, um gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung frühzeitig erkennen zu können und um nötige Schritte in der Betreuung und zur Einbeziehung weiterer Netzwerkpartner gehen zu können.
Die Autor:innen stellen anhand von mehreren Fallberichten typische Konsultationsanlässe, die Systematik der Medizinischen Kindesmisshandlung und die notwendigen interdisziplinären Interventionen dar.