Autor:innen:
S. Le Beherec (München, DE)
K. Bernhardt (München, DE)
J. Uppendahl (München, DE)
M. Klosinsi (München, DE)
V. Mall (München, DE)
A. Hahnefeld (München, DE)
Ziele: Untersuchung der Einflussfaktoren auf IQ-Testleistungen bei Kindern mit Fluchterfahrung.
Studiendesign: Durchführung der sprachfreien Skala der Kaufman Assessment Battery for Children (KABC-II-SFI) mit 181 drei bis sechs Jahre alten Kindern, darunter 70 Kinder mit Fluchterfahrung sowie 111 in Deutschland geboren und aufgewachsene Kinder einer klinischen Kontrollgruppe. Neben Informationen zu Umwelt- und Bildungsvariablen wurden potentiell traumatisierende Erlebnisse und Traumafolgesymptome der Kinder in der Elterneinschätzung mit dem Child and Adolescent Trauma Screening (CATS) erhoben. Zudem wurden die Eltern zu ihrem eigenen Befinden mit dem Refugee Health Screener (RHS-15) befragt.
Ergebnisse: Kinder mit Fluchterfahrung zeigten niedrigere IQ-Testwerte (MIQ = 81,10, SD = 16,15) als die klinische Kontrollgruppe (MIQ = 90,03, SD = 17,35; U = 2100,50, Z = -3,39, p < 0,001). Das Ausmaß der potentiell traumatisierenden Erfahrungen korrelierte dabei signifikant mit dem IQ-Testwert in der Gesamtgruppe (rs = -0,23, p = 0,003), während die von den Eltern berichteten Traumafolgesymptome der Kinder und die psychische Gesundheit der Eltern keinen Zusammenhang mit der IQ-Testleistung zeigten. In der klinischen Kontrollgruppe ergaben sich signifikant positive Korrelationen der elterlichen Bildung (rs = 0,34, p = 0,002) und dem Besuch einer institutionalisierten Bildungseinrichtung der Kinder (rs = 0,26, p = 0,01) mit der IQ-Testleistung. Der adaptierte IQ (IQadap), eine klinisch geleitete Kurzversion der KABC-II, führte zu signifikant höheren Testwerten in der Gruppe mit Fluchterfahrung (M = 89,66, SD = 12,19), die sich nun nicht mehr von der Kontrollgruppe unterschied (M = 91,35, SD = 13,58, t(122) = -0,73, p = 0,47). Die Testwerte des IQadap zeigten in der Kontrollgruppe keinen Zusammenhang mehr mit elterlicher und kindlicher Bildung.
Schlussfolgerung: Elterliche Bildung und der Zugang der Kinder zu institutionalisierten Bildungseinrichtungen beeinflussten IQ-Testleistungen in der klinischen Kontrollgruppe und potentiell traumatisierende Erfahrungen in der Gesamtstichprobe. Kinder mit Fluchterfahrung sind in all diesen Aspekten strukturell benachteiligt. Mit dem IQadap konnten die Unterschiede der beiden Gruppen nivelliert werden. Der IQadap bietet damit möglicherweise ein besseres Maß zur Einschätzung des kognitiven Potentials der Kinder mit Fluchterfahrung als die IQ-Testleistung. Dieses Vorgehen sollte in weiteren Stichproben auf seine Validität hin überprüft werden.