In Deutschland sind psychische Erkrankungen der zweithäufigste Grund für Krankschreibungen und verursachen durchschnittlich 28,5 Tage Arbeitsausfall. Zudem sind sie mit über 40% nach wie vor die Hauptursache für Frühberentung. Das etablierte System zur Förderung der beruflichen Teilhabe erreicht mit seinen aktuellen Maßnahmen keine hinreichende Inklusion von (schwer) psychisch erkrankten Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Um diese Versorgungslücke zu schließen, hat der Bund 2018 einen ersten Förderaufruf gestartet: „Innovative Wege zur Teilhabe am Arbeitsleben – rehapro“. Mittlerweile werden über 100 Projekte gefördert. Drei Projekte mit Fokus auf psychische Erkrankung und Supported-Employment sollen vorgestellt werden: 3for1 (Baden-Württemberg, 2. Förderaufruf), IPS-ZIB (Mecklenburg-Vorpommern & NRW, 1. Förderaufruf) und LIPSY (Leipzig, 1. Förderaufruf).
Einsteigend werden Daten von ca. 500 (Langzeit-)Arbeitssuchenden aus LIPSY zu psychischen Erkrankungen, arbeitsbezogenen Variablen und der Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen präsentiert. Es folgt die Vorstellung des 3for1-Projektes, welches die Wirksamkeit einer Intervention mit drei Bausteinen untersucht: (i) Psychologische Sprechstunde, (ii) Jobcoaching nach Supported-Employment und (iii) Begleitung durch Peerlotsende. Ziel ist es, psychisch belastete Jobcenter-Kunden und -Kundinnen bei Genesung und Arbeitssuche individuell zu unterstützen. Anschließend wird das IPS-ZIB Projekt vorgestellt, welches bereits seit Januar 2020 umgesetzt wird. Es werden Daten präsentiert, die Hinweise zu notwendigen Anpassungen des ursprünglich angloamerikanischen Individual Placement and Support (IPS) Ansatzes auf den deutschsprachigen Raum geben. Abschließend werden Erfahrungen aus dem LIPSY-Projekt referiert, die Einblick darin geben sollen, wie schwer psychisch erkrankte Arbeitssuchende mittels IPS auf den ersten Arbeitsmarkt zurückfinden können. Alle Projekte zeigen Möglichkeiten und Grenzen der zu prüfenden Ansätze auf.
08:30 Uhr
Bezug von Grundsicherung und psychische Erkrankung – Ergebnisse aus dem LIPSY-Projekt
M. Koschig (Leipzig, DE)
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Autor:innen:
M. Koschig (Leipzig, DE)
F. Hußenöder (Leipzig, DE)
I. Conrad (Leipzig, DE)
M. Alberti (Leipzig, DE)
K. Stengler (Leipzig, DE)
S. Riedel-Heller (Leipzig, DE)
Einleitung: In Deutschland sind psychische Erkrankungen der zweithäufigste Grund für Krankschreibungen und verursachen durchschnittlich 28,5 Tage Arbeitsausfall. Zudem sind sie mit über 40% nach wie vor die Hauptursache für Frühberentung. Das etablierte System zur Förderung der beruflichen Teilhabe erreicht mit seinen aktuellen Maßnahmen keine hinreichende Inklusion von psychisch erkrankten Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Methoden: LIPSY setzt bei einem niedrigschwelligen Screening von Menschen mit Grundsicherungs-Bezug und unerkannten psychischen Erkrankungen innerhalb des Jobcenters an. Im zweiten Schritt findet eine psychologische Diagnostik statt. Diese wird durch eine umfangreiche Psychometrik u.a. zur Erwerbsbiographie, Soziodemographie, psychischer Belastungen, bisherigen Inanspruchnahme des Versorgungssystems und zum Arbeitswunsch ergänzt. Für vorläufige Auswertungen wurde der Datensatz bei 340 Probanden eingefroren (LIPSY data freeze 340).
Ergebnisse: Die Probanden von freeze 340 waren bei Einmünden in LIPSY im Mittel 35 Jahre und zu 54,3% weiblich. Der überwiegende Teil war ledig und lebte eigenständig. Jede vierte Frau war alleinerziehend. Knapp mehr als die Hälfte gaben Schulden an. Der Großteil wies einen Realschulabschluss auf. Jedoch zeigte sich knapp jeder Zweite ohne Berufsabschluss. Die häufigsten Erstrang-Diagnosen waren depressive Erkrankungen (43,6%) und belastungsbezogene Störungen (30,6%). Knapp die Hälfte war dennoch nie in psychotherapeutischer/fachärztlicher Behandlung. Ein Wunsch nach Arbeit wurde von ca. 80% angegeben.
Schlussfolgerung: LIPSY erreicht psychisch belastete Arbeitslose. Die Daten zeigen besondere Unterstützungsbedarfe auf; wie z.B. der hohe Anteil Alleinerziehender unter den weiblichen Probanden. Trotz starker Belastung gab ein beachtlicher Teil an, arbeiten zu wollen. Die Daten sind vorläufig, da es sich um einen eingefrorenen Datensatz handelt. Die Rekrutierung wird bis Ende 2024 erfolgen.
08:52 Uhr
3for1 – psychisch belastete Jobcenterkunden auf verschiedenen Ebenen unterstützen
S. Schlachter (Ulm, DE)
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Autor:innen:
S. Schlachter (Ulm, DE)
R. Erschens (Tübingen, DE)
J. von Wietersheim (Ulm, DE)
H. Gündel (Ulm, DE)
N. Rüsch (Ulm, DE)
„3for1 – Drei Wege, ein Ziel“ ist ein Modellprojekt, das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Rahmen des Bundesprogrammes "Innovative Wege zur Teilhabe am Arbeitsleben - rehapro" gefördert wird. Es untersucht die Effektivität einer komplexen Intervention zur Förderung psychischer Gesundheit und Arbeitssuche bei psychisch belasteten, arbeitssuchenden Jobcenterkund*innen. Die Intervention hat drei Bausteine: (i) psychologische Gespräche, (ii) Supported Employment in Form von Jobcoaching bei Arbeitsuche und am neuen Arbeitsplatz und (iii) Unterstützung durch Peerlots*innen, d. h. Begleitung und Unterstützung durch Menschen mit eigener Erfahrung psychischer Erkrankung und Arbeitslosigkeit.
Die Überprüfung der Effektivität der Intervention erfolgt durch einen Vergleich einer passiven Kontrollgruppe (Jobcenterkund*innen ohne Intervention) mit der anschließend aufgenommenen Interventionsgruppe (Jobcenterkund*innen, die an der Intervention teilnehmen). Interventionsteilnehmende können ein bis drei der Bausteine für bis zu 12 Monate in Anspruch nehmen, nacheinander oder parallel. Für beide Gruppe wurden bzw. werden jeweils bis zu 250 Personen rekrutiert. Beide Gruppen beantworten in denselben Zeitabständen Fragebögen und nehmen an qualitativen Interviews teil (T0 = bei Projekteintritt; T1 = 12 Monate nach Projekteintritt; T2 = 18 Monate nach Projekteintritt). Primäres Outcome stellt die die Rate der Arbeitsaufnahme 12 Monate nach Projekteintritt zwischen den beiden Gruppen dar. Sekundäre Outcomes beinhalten u. a. Veränderung von psychischen Gesundheitsoutcomes, Erleben von sozialer Inklusion, Selbststigma in Bezug auf psychische Belastung und Selbstwirksamkeit bei der Arbeitssuche.
Der Beitrag stellt das 3for1-Projekt vor. Des Weiteren wird ein Überblick über die eingeschlossene Vergleichsgruppe gegeben und erste qualitative Beobachtungen aus der Interventionsphase geteilt.
09:14 Uhr
IPS-Coaching – ist in Deutschland alles anders?
I. Steinhart (Greifswald, DE)
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Autor:innen:
I. Steinhart (Greifswald, DE)
L. Dehn (Bielefeld, DE)
J. Schreiter (Greifswald, DE)
J. Bergdolt (Bielefeld, DE)
S. Jenderny (DE)
Das Modellprojekt „IPS-Coaching: Zurück ins Berufsleben“ (IPS-ZIB) verfolgt das Ziel, psychisch kranke Menschen mit komplexem Unterstützungsbedarf direkt aus der psychiatrischen Krankenhausbehandlung bei der nachhaltigen beruflichen (Wieder)Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu unterstützen. Seit Projektbeginn im Januar 2021 konnten insgesamt n=152 Teilnehmende aufgenommen werden, für die ein individualisiertes, bedarfsorientiertes, langfristiges Jobcoaching nach dem „Individual Placement and Support“ (IPS) Ansatz angeboten wurde. Dabei handelt es sich um eine manualisierte Form des international etablierten und evidenzbasierten „Supported Employment“-Konzeptes, welches hierzulande allerdings noch nicht Teil der Regelversorgung ist. Im Hinblick auf eine mögliche reguläre Implementierung des IPS-Ansatzes in Deutschland wollen wir auf Basis erster Analysen der Frage nachgehen, welche notwendigen Anpassung des ursprünglich angloamerikanischen Konzeptes (und seiner Qualitätsbewertung in Form der IPS-Fidelity-Scale) dafür notwendig wären. Relevante Aspekte sind hierbei beispielsweise die integrierte Arbeit in Behandlungsteams, das Fehlen jeglicher Ausschlussgründe für die Teilnahme, das Ausbleiben von vorbereitenden Arbeitstrainings, die zügige Kontaktaufnahme mit Arbeitsstellen, die Offenlegung der Erkrankung am Arbeitsplatz oder der regelmäßige Austausch mit Arbeitgebenden sowie auch die angestrebte ggf. unbefristete Dauer der Unterstützung. Auf der Grundlage einer ersten Analyse von quantitativen Daten der standardisierten Prozessdokumentation sowie systematisch eingeholter Erfahrungsberichte der im Modellprojekt tätigen IPS-Coaches sollen Hinweise für eine mögliche Adaptation des IPS-Konzeptes bzw. zur Überarbeitung der Fidelity-Scale für den deutschen Gebrauch präsentiert werden.
09:36 Uhr
Der IPS-Coaching-Prozess bei der Risikogruppe der Menschen mit Bezug von Grundsicherung
M. Alberti (Leipzig, DE)
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Autor:innen:
M. Alberti (Leipzig, DE)
M. Koschig (Leipzig, DE)
F. Hußenöder (Leipzig, DE)
I. Conrad (Leipzig, DE)
S. Riedel-Heller (Leipzig, DE)
K. Stengler (Leipzig, DE)
Das hier vorgestellte Kooperationsprojekt (LIPSY) des Jobcenters, des Helios Park-Klinikum und der Universität in Leipzig auf der Basis des Individual Placement and Support-Konzepts (IPS) setzt bei einem niedrigschwelligen Screening von Langzeitarbeitslosen mit bislang unerkannten psychischen Erkrankungen und Unterstützungsbedarfen an. Herausfordernd sind dabei einerseits die am 1. Arbeitsmarkt orientierten Job-Coachings und andererseits die erfolgreiche Inklusion von IPS und Krankenhausbehandlung.